Klingende Erinnerungen

Rodrigo Toro Madrid mit einer seiner klingenden Skulpturen, „Triturador (tromba marina)“, 2019. Fotos: Estudiorupa

Der chilenische Künstler und Fine-Arts-Absolvent Rodrigo Toro Madrid macht Kunst aus Müll und Elektronikabfall. Seine Werke sind halb Skulpturen, halb Musikinstrumente. Sie transportieren die Energie eines Ortes und seine Klänge. Ein Gespräch über die Flüchtigkeit von Erinnerungen.

VON TESSA APITZ
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Tessa Apitz: Wie bist du darauf gekommen, aus alten technischen Geräten Kunst zu machen?
Rodrigo Toro Madrid: 2012 war ich im Abschlussjahr meines Bachelorstudiums in Visual Arts in Chile und wollte mich als Maler weiterentwickeln. Aus Spass baute ich daneben Kameras aus Abfall und billigen Materialien. Ein Dozent bemerkte, ich sei ja stärker in meinem Kamerading gefangen als in der Malerei. Er meinte, ich solle das doch in meine künstlerische Arbeit integrieren. Anfangs sammelte ich jede vorstellbare Art von Müll wie zum Beispiel Küchenmaschinen, alte Fahrräder, Fleischwölfe, Abbruchholz usw. als Rohmaterial. Aus diesen isolierte ich brauchbare Teile und baute was Neues zusammen, einen Drucker zum Beispiel.

Wie gehst du ein Projekt an? Gibt es da klare Abläufe?
Am Anfang steht in der Regel etwas, was ich gelesen habe, oder ein Film, den ich gesehen habe. Dies liefert mir den poetischen und atmosphärischen Hintergrund. Parallel dazu bastle ich ständig irgendwelche Dinge zusammen, die mir so einfallen, und manchmal ergibt sich daraus eine Parallelität.

Was fasziniert dich an Klängen und der Art, wie man sie erzeugt?
Klang ist die einfachste Art, etwas rein Materiellem einen Impuls zu entlocken, der unsere Sinne anspricht. Auf dieser Basis habe ich begonnen, erst Lärmmaschinen zu bauen und dann alte Techniken für Tonaufnahmen und Tonwiedergabe mit einzubinden, zum Beispiel Plattenspieler und Vinylrecorder. Ich finde es faszinierend, dass das Aufnehmen und das Anhören etwas sehr Physisches haben. Sie hängen stark von der Oberflächenbeschaffenheit des Mediums, einem visuellen Aspekt und der Atmosphäre, in der man Klänge hört, ab.

Deine Skulpturen fangen die Energie eines Ortes ein und reflektieren sie – wie machst du das?
Die Bestandteile vieler meiner Skulpturen stammen von ganz bestimmten Orten. In den Aussenbezirken einer Stadt oder auf einer Abbruchstelle beispielsweise siehst du den Rost auf dem Metall, den Baustaub und die Risse im Holz. Diese Versehrungen treten dann auch im Klang der Materialien zu Tage.

Häufig vernichten deine Installationen materialinhärente Informationen und Klänge – wieso?
Persönliche und kollektive Erinnerungen stehen am Ursprung unseres täglichen Tuns. Doch jedes Mal, wenn wir uns an etwas erinnern, weicht die „neue“ Erinnerung von der vorhergehenden leicht ab. Eine Schallplatte beispielsweise leiert nach endlosem Abspielen. Dieses sowohl physische als auch psychologische Phänomen möchte ich in meinen Arbeiten ausdrücken, um eine Verbindung zwischen unserem Geist und dem Materiellen herzustellen.

Was inspiriert dich in deiner Arbeit und was gibt dir Energie?
Ich denke ständig darüber nach, was ich noch konstruieren könnte. Manchmal ist es ganz einfach das Hantieren mit Holz oder Metall in der Werkstatt, das mir neue Impulse gibt. Natürlich kann die Arbeit mit alten Gadgets auch sehr frustrierend sein, wenn etwas partout nicht funktionieren will. Funktioniert es dann aber doch, dann ist das sehr, sehr befriedigend.

Rodrigo Toro Madrid hat seinen Bachelor in Visual Arts an der Diego Portales University absolviert. 2022 hat er den Master in Fine Arts an der ZHdK gemacht und nimmt derzeit am Z-Kubator-Programm teil. Er lebt und arbeitet zwischen Basel und Zürich.
Tessa Apitz (mail@tessaapitz.com) schreibt freiberuflich Texte, Konzepte und Kommunikationsstrategien in Berlin.
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