
Singen macht glücklich. Davon ist der Dozent für Chorleitung Ernst Buscagne (rechts) überzeugt, hier bei der Probe mit seinen Studierenden. Fotos: Johannes Dietschi
Die Stimme ist ein faszinierendes Instrument, das wir in jedem Augenblick bei uns tragen. Ernst Buscagne lehrt Chorleitung im Profil Kirchenmusik. Er stimmt hier ein Loblied aufs Singen an.
VON ERNST BUSCAGNE
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Den Tag mit einem Freudenlied begrüssen, unter der Dusche eine Arie schmettern oder in einem unbeobachteten Moment des Glücks eine Melodie vor sich hin summen: Wir erheben unsere Stimme, ohne gross über ihre Rolle und über die ihres Klangs nachzudenken. Sie erscheint uns als etwas Banales. Dabei hat sie das Zeug, uns gesund und glücklich zu machen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde vermehrt über die positive Wirkung und stärkende Kraft des Singens geforscht. Zum Beispiel wurde bei Singenden ein erhöhter Sauerstoffgehalt im Blut nachgewiesen. Ein Nebeneffekt der tiefen Atmung, die wir für die Gestaltung längerer Phrasen brauchen. Auch von höheren Immunglobulin-A-Werten profitieren Sängerinnen und Sänger. Diese Eiweisse bilden sich an den Schleimhäuten und stärken den Schutz gegen Krankheitserreger. Besonders spannend sind die Ergebnisse der «Impact Study 2019» von Chorus America, einem Verband US-amerikanischer Chöre. Für diese Studie wurden singende Menschen aller Altersgruppen nach der Wahrnehmung des Singens in ihrem Alltagsleben befragt. Die Resultate decken sich mit meinen Beobachtungen aus der Praxis.
Singen ist Erfüllung
Singen wir in einem Chor, sind wir Teil einer Gemeinschaft. Es wird gemeinsam auf ein Ziel hingearbeitet. Die Gruppe bewältigt die schwierige Einsingübung und bringt danach ein Meisterwerk zur Aufführung. Oder sie hockt, wenn’s nicht gleich ums Ganze geht, nach einer Probe noch beieinander. Menschen, die Teil einer Chorgemeinschaft sind, investieren etwas, sie bringen sich ein – vom Einrichten des Probesaals bis zum Verkauf von Grillwürsten vor der Migros, um die leere Chorkasse zu füllen. Das Gemeinschaftserlebnis im Chor wird von den Beteiligten als bereichernd und erfüllend wahrgenommen. Diese positiven Effekte werden in den Alltag hinausgetragen und sind letztlich ein Gewinn für unsere Gesellschaft.
Singen bringt uns zusammen
In einer singenden Gemeinschaft kommen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund, aus verschiedenen Lebenssituationen und meist unterschiedlichen Alters zusammen. Singende lernen den Mitsingenden zuzuhören – auch nach den Proben. Man steht der Zusammenarbeit generell offener gegenüber, trainiert immer wieder seine Teamfähigkeit. Das gemeinsame Singen erhöht die Sozialkompetenz und die Toleranz anderen gegenüber. In einer Chorprobe sind Begegnungen, Blickkontakte und Gespräche wichtige Aspekte des Miteinanders. In unserer Welt sind Abermillionen Menschen auf der Flucht, noch immer werden Minderheiten im Alltag diskriminiert und Menschen, die sich durch Aussehen oder Herkunft von der Masse unterscheiden, ausgeschlossen. Die vielen Chöre von Geflüchteten oder die Chorgesang-Festivals von und für die LGBTQIA+-Gemeinschaft zeigen, dass Integration wesentlicher Bestandteil des gemeinsamen Singens ist. Wer einmal ein offenes Singen auf dem Fraumünsterplatz in Zürich zusammen mit Hunderten Mitsingenden erlebt hat, weiss: In diesem Moment sind alle Unterschiede aufgehoben und das Herz geht im gemeinsamen Klingen auf. Singen ist gelebte Integration.
Singen beflügelt
Wir werden immer älter. Wenn wir singend und zuhörend am Leben teilnehmen, fordern wir damit unsere physischen und kognitiven Kräfte und steigern unsere Lebensqualität. Bereits in den 1990er-Jahren haben Studien gezeigt, dass Mitglieder von Chören und Gesangsgruppen eine signifikant höhere Lebenserwartung haben als Menschen, die nicht singen. Besonders für ältere Menschen können wöchentliche Chorproben eine Bereicherung des eintönigen Alltags sein. Werden Singende nach dem Grund für ihre Leidenschaft gefragt, reichen die Antworten von der musikalisch-kreativen Herausforderung bis hin zum Spassfaktor. Die meisten Singenden würden aber unisono bestätigen, dass das Singen sie bewegt und die endlos kreisenden Gedanken, die Erschöpfung oder das nervöse Unwohlsein nach einem langen Sitzungstag in den Hintergrund treten lässt. Kurzum: Singen beflügelt! Erheben wir doch öfter unsere Stimme, um mit dieser Kraft den Weg zu einer positiven Grundeinstellung im Alltag zu finden.