
Ein Ort, um der Neugier zu folgen: Christopher Salter im Immersive Arts Space der ZHdK. Foto: Alan Maag
Christopher Lloyd Salter hat im Frühjahr 2022 das Steuer des Immersive Arts Space an der Zürcher Hochschule der Künste übernommen. Als Künstler, Wissenschaftler und Technologe verkörpert er die Grundfesten der immersiven Künste.
VON BIANCA BAUER
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Beim Kochen beginnt man mit einfachen Zutaten, der kreative Prozess gibt dem Gericht erst seine komplexe Tiefe. Das Gleiche gilt für die immersiven Künste. Lässt man sich unvermittelt auf sie ein, kann man ihnen vielleicht nicht gleich folgen. Versteht man aber die verschiedenen Komponenten, bekommt man zumindest einen Vorgeschmack dessen, was hier entstehen könnte. Der Begriff «Immersion» stammt aus dem Lateinischen und beschreibt den Prozess des physischen Eintauchens oder Aufgehens in etwas. Für Christopher Lloyd Salter, den neuen Leiter des Immersive Arts Space an der ZHdK, ist das Eintauchen der Akt, bei dem die Trennung zwischen dem Selbst und der Umgebung aufgehoben wird. Erweitern wir das Ganze um eine philosophische Komponente und zitieren wir hierzu Einstein: «Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als abgetrennt von allem anderen – eine Art optische Täuschung des Bewusstseins.» Demnach ist die hier verhandelte Trennung also nichts weiter als eine Illusion, weshalb keine Notwendigkeit mehr für ein Eintauchen besteht. Verfangen wir uns aber nicht in dieser Deutung. Kehren wir zurück zu Salter. Die Philosophie ist nämlich nur eine Facette, die ihn interessiert.
Scheitern als treibende Kraft
Salter lebte und arbeitete in Kanada, den Vereinigten Staaten und in Deutschland. Im Juni 2022 kam er in die Schweiz, im Gepäck Erfahrungen aus den Bereichen Wirtschaft, kontinentale Philosophie, Theater und Kunstinstallation. Ihn treiben die Leidenschaft für Klang, Textur, Licht und Architektur sowie das Interesse für aufkommende Technologien an, wobei ihn deren Auswirkungen auf das menschliche Verhalten faszinieren. Ausserdem kocht er gerne. Salters Lieblingsgericht sind Spaghetti mit Muscheln wegen ihres salzigen Geschmacks, des Geschmacks nach Meer. Auf Geschmacksrichtungen angesprochen, spricht Salter über seine eigene künstlerische Arbeit, die in der gegenseitigen Abhängigkeit von Körper und Umgebung gründet. Ihn interessiere, wie diese sich in zunehmend technischen Umgebungen gegenseitig formen, beeinflussen und verändern, wie man selbst Teil dieser neuen Umgebung werde. Ein Schlüsselelement seiner Arbeit sei «die Spannung zwischen der Erfahrung der Überforderung, dass etwas zu viel geworden ist, um es zu begreifen, und der Möglichkeit, es rational und kritisch zu betrachten». Wie der Schatten, der der Sonne folge, sei das Überwältigtsein eine menschliche Erfahrung, die eng mit der technologischen Entwicklung verknüpft sei und mit der Möglichkeit einhergehe, auszusteigen und sie kritisch zu betrachten. Diese Spannung ist für Salter unausweichlich.
Er selbst ist aber nicht nur daran interessiert, den Immersive Arts Space als Ort für Technologievorführungen zu nutzen. Ihm geht es auch darum, seinen Studierenden die Möglichkeit zu bieten, ihrer Neugier zu folgen, was Mut erfordert. «Scheitern ist die treibende Kraft hinter der Innovation. Und da ich zu einer Kultur gehöre, die das Scheitern fürchtet, möchte ich mir diese Kraft zueigen machen. Ich möchte meinen Studierenden die Möglichkeit geben, im Sinne eines kontinuierlichen Prozesses zu experimentieren und zu scheitern.»
Sich spielerisch entfalten
Aber zurück zum Kern der Geschichte – und zu Salters Vision: Der Immersive Arts Space ist ein Ort, an dem Menschen interagieren, miteinander in Kontakt treten, ihrer Neugier folgen und sich spielerisch entfalten können. Für Salter liegt der Schlüssel zu den immersiven Künsten nicht im Ineinanderauflösen von Technologie, Wissenschaft und Kunst. Sondern vielmehr darin, eine andere Art von gelebter Zeit zu erfahren. Seine eigene immersivste Erfahrung ist passenderweise denn auch eine analoge: als er das traditionelle Noh-Theater in Japan erlebte – jene Theaterstücke aus dem 14. Jahrhundert, die in sich wiederholenden Ritualen wurzeln und sich über viele Stunden hinziehen. Er sei von der hypnotisierenden, fast transzendenten Wirkung völlig absorbiert gewesen und habe sich in eine Zeit zurückgeworfen gefühlt, «als die Menschen noch Kunst für die Götter machten».