«Das Studium war für mich eine Auszeit vom Alltag»

Die Künstlerin Zilla Leutenegger wurde mit dem «Honorary Companion ZHdK» ausgezeichnet, der Musiker und Filmemacher Fabian Chiquet mit dem «Companion ZHdK». Foto: Johannes Dietschi

Zilla Leutenegger und Fabian Chiquet wurden am Hochschultag mit dem Ehrenpreis der ZHdK ausgezeichnet. Ein Gespräch über das Scheitern, neue Projekte und ob man Kunstmachen lernen kann.

VON TESSA APITZ
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Fabian, du machst Musik, Theater, Filme, Kunst – was bedeutet transdisziplinäres Arbeiten für dich? 
Fabian Chiquet: Es bedeutet vor allem grosse Abwechslung. Mein Grossvater hat mal gesagt, er sei ein professioneller Dilettant – damit kann ich mich recht gut identifizieren. Oft sehe ich Dinge und denke: «Wow, das würde ich auch gerne mal machen.» Und dann probiere ich es einfach, obwohl ich weiss, dass ich damit eventuell scheitern werde. Es ist eine Art Überlebensstrategie: Je länger ich in verschiedenen Disziplinen arbeite und je besser ich werde, desto weniger abhängig bin ich davon, wenn es mal an irgendeiner Front nicht so läuft.

Was ist euch aus eurer Studienzeit besonders geblieben?
Zilla Leutenegger: Das Studium war für mich eine Auszeit vom Alltag. Ich bin aus der Berufswelt ins Studium gekommen und musste mich erst daran gewöhnen, dass man mir nicht mehr sagte, was ich zu tun hätte. Ich war allein und musste dies erst verstehen.

Fabian Chiquet: Mein latent schlechtes Gewissen, weil ich während meines Studiums mit meinem Kopf oft ganz woanders war. Ich steckte knietief in Projekten, die ich damals für sehr wichtig hielt und mich davon abhielten, vom Studium so viel zu profitieren, wie ich hätte profitieren können. Was ich an der ZHdK sehr genossen habe, war, mit Leuten aus den unterschiedlichsten Disziplinen zusammenzuarbeiten. Das hat mir sehr viel gebracht.

Zilla, mit welcher Darstellungsform kannst du dich (gerade) am besten ausdrücken?
Zilla Leutenegger: Es ist und war schon immer die Zeichnung. Dazu kommen aber viele verschiedene Medien, die ich kombiniere. Ich möchte, dass die Betrachtenden durch meine Kunst zum Nachdenken angeregt werden und jedes Stück für sich eine authentische Aussage hat.

Kann man Kunstmachen lernen?
Zilla Leutenegger: Kunstmachen kann man nicht studieren. Ich finde es aber wichtig, dass man im Studium die Zeit hat, darüber nachzudenken, was es für einen heisst, Verantwortung zu übernehmen. Dass man lernt, damit umzugehen, nicht zu wissen, wohin es geht. Ich habe an der ZHdK gelernt, selbstständig zu arbeiten, Entscheidungen zu fällen und dem eigenen Tun zu trauen. Also eigentlich das, was man auch Kunstmachen nennen kann.

Fabian Chiquet: Man kann es insofern, als man mit den Systemen und Denkmustern umzugehen lernt, die einen «auf dem Markt» erwarten. Und natürlich kann man künstlerische Praktiken und Techniken erlernen. Aber andere Menschen mit seinem Schaffen zu berühren, kann dir keine Schule beibringen.

Wie hat sich euer Schaffen verändert, seit ihr die ZHdK verlassen habt?
Fabian Chiquet: Früher haben mich die Popkultur und ihre Funktionsprinzipien sehr stark beschäftigt. Heute interessieren mich vielmehr die Geschichten der Menschen dahinter. Damit meine ich auch ein ganz allgemeines Interesse daran, was die Menschen antreibt, etwas zu tun. Sei es Selbstverwirklichung in Form von Musik oder der Wunsch, die Welt als Friedensaktivist:innen zu verbessern. Das Dokumentarische, das Sammeln von Erinnerungen und Erinnerungslücken anderer hat heute einen viel grösseren Stellenwert in meiner Arbeit.

Zilla Leutenegger: Ich bin sicherer geworden, eigenständiger. Erwachsener, älter, ruhiger.

Woran arbeitet ihr gerade?
Fabian Chiquet: Momentan arbeite ich an einem Projekt über die Wegbereiter:innen der Schweizer Popmusik. Wir haben dazu mit Musiker:innen aus den 1950er- bis 1970er-Jahren (der Älteste ist 96) während fünf Jahren Interviews geführt, mit ihnen Songs geschrieben, eine Band gegründet und Konzerte gespielt. Daraus sind eine Dokumentarfilmserie und ein Podcast entstanden. Ausserdem arbeite ich an einem Dokumentarfilm über die noch lebende hundertjährige Ikone der Frauen-Friedensbewegung Edith Ballantyne.

Zilla Leutenegger: An verschiedenen Projekten. Einer Ausstellung, die bis Mitte März 2023 in Zürich in der Galerie Peter Kilchmann zu sehen sein wird, an Kunst im öffentlichen Raum und einem Buchprojekt sowie verschiedenen Vorlesungen.

Die ZHdK verleiht einmal pro Jahr die Ehrentitel «Honorary Companion ZHdK» für langjährige Verdienste und «Companion ZHdK» für herausragende Leistungen in jungen Jahren. Die ZHdK-Ehrentitel sind mit keiner finanziellen Zuwendung verbunden. Alle Angehörigen der ZHdK können Preisträgerinnen und Preisträger vorschlagen. Die Hochschulleitung, beraten von einem Ausschusskomitee, entscheidet dann über die Vergabe.
Tessa Apitz (post@tessa-apitz.de) schreibt freiberuflich Texte, Konzepte und Kommunikationsstrategien in Berlin.
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