
Willy Guhl, Flower Box, 1954, Design Collection, Museum für Gestaltung Zürich. Foto: Fachklasse für Fotografie © ZHdK
Christian Brändle, Direktor des Museum für Gestaltung Zürich, und Roman Aebersold, Vizedirektor, sprechen über Forschung am Museum und die Möglichkeiten, welche die Bestände des Museums Forschenden bieten.
VON MIRJAM BASTIAN UND SARAH BLEULER
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Wie gestaltet sich Forschung im Museumsalltag?
Christian Brändle: Bei der Forschung im Museumsalltag geht es darum, Themen zu recherchieren, aufzuarbeiten und die Resultate verständlich darzustellen. Das ist etwas, das in unserer kuratorischen Arbeit sehr spannend ist und zum Alltag gehört.
Roman Aebersold: Forschung im Museumsalltag ist grundsätzlich vom internationalen Museumsrat (ICOM) definiert und festgelegt. Sie gehört zum Museumsalltag und unterstützt das Bewahren, Ausstellen und die Vermittlung. In all diesen Bereichen ist sie selbstverständlich. Täglich werden neue Objekte in unsere Sammlung aufgenommen. Wir beschreiben und bestimmen ihre Provenienz, die Materialien, Informationen zu Druck oder Produktion, Urheber:innenschaft und Kontext. Das ist zugleich Routinearbeit und eine forschende Tätigkeit.
Welchen Beitrag leistet ihr zur Forschung im Hochschulkontext?
Brändle: Wir unterstützen Forschende, das Material übergreifender zu befragen und einzubetten. Wir investieren sehr viel Zeit in das Aufarbeiten von Grundlagen, damit sich die Forschenden inhaltlich mit gewissen Themen und Objekten beschäftigen können – also dem Zusammenführen von Wissen.
Ihr habt das «Researcher-in-Collection-Programm initiiert. Worum geht es bei dem Programm?
Aebersold: Das Programm richtet sich an Forschende, die sich für unsere Sammlungsbestände interessieren. Wir ermöglichen ihnen den Zugang zu Objekten und beraten sie, wie man damit weiterarbeiten könnte. Vorarbeit, Infrastruktur und Arbeitsplätze für interessierte Forschende werden durch das Museum zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus unterstützen wir Forschungsprojekte Dritter oder lancieren selber Vorhaben.
Könnt ihr ein aktuelles Beispiel nennen?
Aebersold: Ja, das SNF-Projekt «Willy Guhl: Denken mit den Händen», an dem wir aktuell mit dem Forschungsschwerpunkt Ästhetik der ZHdK arbeiten. Das vorhandene Material von Willy Guhl und seiner Familie war dafür eine wunderbare Voraussetzung. Es enthält Objekte, Modelle, Notizen, Skizzen, Briefwechsel, Fotos und vieles mehr. Auf dieser Basis lancierten wir mit Dieter Mersch, dem ehemaligen Leiter des Forschungsschwerpunkts Ästhetik, ein gemeinsames Projekt.
Kommen viele konkrete Forschungsanfragen aus den Reihen der ZHdK?
Aebersold: Unserer Meinung nach noch zu wenig, es gibt ein ungenutztes Potenzial. Die ZHdK ist europaweit eine der raren Hochschulen, die eine Sammlung dieser Grösse und Relevanz direkt «im Haus» hat. Unser Archiv umfasst rund 580’000 Objekte. Fürs lokale und internationale Verständnis von visueller und materieller Kultur ist das ein grosser Fundus, der verstärkt für Forschungsprojekte genutzt werden könnte.
Brändle: Wir haben an der ZHdK eine spezielle Situation. Das Museum ist zwar Teil der Hochschule als Institution, gehört aber nicht zur Fachhochschule. Somit sind wir selbst nicht antragsberechtigt, um Forschungsprojekte zu lancieren. Es gibt keine strategische Verzahnung zwischen der bestehenden Forschungs- und Institutslandschaft der ZHdK und dem Museum.
Wie macht ihr auf das Potenzial aufmerksam?
Brändle: Im vergangenen Jahr haben wir Initiativen ergriffen, um latente Forschungsthemen oder einen Forschungskorpus offenzulegen. Ebenso haben wir zu bereits aufgearbeiteten Sammlungsbeständen mögliche Forschungsthemen formuliert. Diese reichen von Entwürfen der 1930er bis 1970er Jahre für Schweiz Tourismus über den Nachlass des Designers und Künstlers Andreas Christen bis zur Sammlung des Gestalters Hans-Rudolf Lutz, der rund 15’000 Piktogramme auf Transportverpackungen aus der ganzen Welt sammelte.
Welche Vorteile geniessen Forschende in eurer Sammlung?
Brändle: Wir bieten sehr gute Voraussetzungen für Forschungsprojekte. Themen, Material und Infrastruktur sind bereits vorhanden. Gleichzeitig dient das Museum als Multiplikator. Die Erkenntnisse des Forschungsprojekts «Briefedition Sophie Taeuber-Arp» sind zum Beispiel in Ausstellungen im Tate Modern in London, in Basel und im Museum of Modern Art in New York eingeflossen. Wer möchte, dass die eigene Publikation im Bookshop des MoMA verkauft wird, sollte also mit uns zusammenarbeiten.
Aebersold: Dazu kommt, dass die Objekte in der Sammlung praktisch immer physisch verfügbar und in Datenbanken aufgearbeitet sind. Im eMuseum, unserem digitalen Archiv, sind bereits über 110’000 Objekte erfasst.
Was braucht es, damit das Potenzial besser genutzt wird?
Brändle: Ich glaube, wir müssen noch stärker unsere Offenheit betonen. Aber auch gegenüber der Lehre und Forschung deutlich machen, dass Designgeschichte eine grössere Rolle für beide Institutionen spielen kann und sollte.
Das Museum für Gestaltung wird ab 2023 vom Bundesamt für Kultur unterstützt. Was bedeutet das für die Forschung?
Brändle: Das ist ein grosser und wichtiger Schritt für uns. Wir sind uns innerhalb der Geschäftsleitung einig, dass wir Mittel in die Forschung investieren möchten. Das ist unsere Chance, Forschung langfristig in die Arbeit des Museums für Gestaltung zu integrieren. Ich würde behaupten: Now or never.