
Filmvertonung im Kompositionsstudio. Foto: Regula Bearth © ZHdK
Erst durch die Musik fangen ein Theaterstück oder ein Film an zu leben. Was hinter der Kraft der Filmkomposition steckt, wie diese gelingt und was dies mit Biotopen, dem Metaverse und Horrorfilmen zu tun hat, erklärt André Bellmont, Studienleiter Komposition für Film, Theater und Medien an der ZHdK.
VON CHRISTINA WALLAT
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Christina Wallat: Wie gelingt eine Filmkomposition?
André Bellmont: Durch Zufall, Trial and Error oder Erfahrung. Martin Scorsese bringt es in seiner «Reise durch den amerikanischen Film» auf den Punkt: «Studiere die grossen Meister.» Ennio Morricone blickt als Komponist auf eine Werkliste von über 500 Filmvertonungen zurück – für «Normalsterbliche» eine ungeheure Zahl. Im Filmmusikstudium muss es also darum gehen, möglichst viel Erfahrung in Kreation und Produktion zu sammeln. Im Toni-Areal sind wir infrastrukturell sehr privilegiert. Wir versuchen Labore und Biotope zu schaffen, in denen Projekte mit Kooperationspartner:innen realisiert werden können, die mit jenen in der realen Berufswelt vergleichbar sind. Wir bereiten unsere Studierenden auf die Berufswelt vor und schon während des Studiums setzen sie ihre Projekte auch ausserhalb der ZHdK erfolgreich um. Letztlich gelingt Filmkomposition vor allem dann, wenn die Beziehung zwischen Regie, Produktion und Komposition funktioniert und auf Vertrauen und Respekt aufbaut.
Musik transportiert Emotionen direkt ins Herz der Hörer:innen und Zuschauer:innen. Warum ist das so?
Der österreichische Drehbuchautor Billy Wilder hat einst gesagt, ein Film sei wie ein Stück Leben, aus dem die langweiligen Passagen herausgeschnitten wurden. Bei einem solcherart verdichteten Lebensabschnitt kommt die Ebene der Gefühle zu kurz. Filmmusik vermittelt, was sich nur schwer mit Bildern, Dialogen und Geräuschen transportieren lässt: Nähe, Gefühle – emotionale Tiefe. Schaut man sich beispielsweise einen Horrorfilm ohne Ton an, verblasst der Schrecken, der Film verkommt zur Komödie. Machen Sie den Test!
Wie werden sich die Kompositionen in Zeiten von Metaverse & Co. verändern?
Noch in den 1990er-Jahren war es für eine Filmmusikkarriere schädlich, für Fernsehserien zu komponieren. Der gesamte Glamour gehörte dem Kino. Mittlerweile zeigen aber auch Filmfestivals qualitativ hervorragende Netflix-Produktionen, und Hollywoods renommierteste Filmkomponist:innen arbeiten sich an Game-Musikscores ab. Eine grosse Bereicherung scheint mir, dass nicht nur beim Bild, sondern auch beim Ton 3D gefragt ist. Leider fehlen oft noch qualitativ gute Abspielsysteme, die dem 3D-Sound gerecht würden. Stichwort Metaverse: Ein 3D-Universum ohne 3D-Sound ist undenkbar. 3D-Musik verlangt nach neuen Produktionsverfahren.
Welches ist das grösste Anliegen des künstlerischen Nachwuchses?
Von unseren Absolvent:innen höre ich öfter, dass sie die technische Infrastruktur im Toni-Areal sehr geschätzt haben, in der Schweizer Berufspraxis aber einfachere Voraussetzungen antreffen. Weil unsere Alumni ihre Projekte auch nach dem Studium auf dem neusten Stand der Technik umsetzen möchten, realisieren sie ihre Produktionen vermehrt in London, Budapest, Prag oder Los Angeles. In der Schweizer Branche sind zurzeit Bestrebungen im Gang, einen «Zürcher Hub für Film- und Medienmusik» zu betreiben.