
Gutenachtgeschichten: Oliver Mannel erforscht, wie man über das Erzählen von Träumen Sprechtechniken entwickelt, die das Theaterpublikum in den Bann ziehen. Foto: Regula Bearth © ZHdK
Träume faszinieren und begleiten uns. Jede Nacht durchlaufen wir komplexe neurophysiologische Prozesse und erleben als Erwachsene im Schnitt fünf Schlafzyklen. Wie wir Nachtträume und Tagträume für künstlerische Prozesse und unsere sprachliche Erzählkraft nutzen können, erforscht Oliver Mannel am Institute for the Performing Arts and Film in Zürich.
VON BIANCA BAUER
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Oliver Mannel ist Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste und lehrt in der Disziplin Theater, in der er unter anderem Schauspieler:innen Sprechunterricht gibt. Neben seiner Lehrtätigkeit forscht er am Institute for the Performing Arts and Film zum Thema «Sprechen und Träumen». In seinem Forschungsprojekt fokussiert er sich auf Traumerzählungen und entwickelt dabei neue Sprechtechniken und Methoden, die den Anwender:innen über das Erzählen von Träumen neue, kreative Wege eröffnen sollen, um beispielsweise Monologe freier und lebendiger vortragen zu können.
Die Stimme als Bindeglied
Der Ansatz seiner Forschung basiert auf der Nutzung von Träumen als Instrument, um das Sprechvermögen und die Vorstellungskraft zu stärken. Die Stimme fungiert dabei als Bindeglied zwischen Traum, Erzähler:in und Zuhörer:in, indem sie das Geträumte verbal nach aussen transportiert. «Nur durch das Erzählen eines Traums wird er für andere erlebbar. Und diese Erzählkraft wollen wir nutzen und uns im Theater zu eigen machen.» Während seines dreijährigen Forschungsdeputats forscht Mannel auch in praktischen Modulen. In diesen kurzen, aber intensiven Unterrichtsblöcken arbeitet er mit einer kleinen Gruppe Theaterstudierender, die sich auf freiwilliger Basis dafür eingeschrieben haben. Die Vorbereitung auf das Modul beinhaltet ein Traumtagebuch, das die Studierenden selbstständig über einen längeren Zeitraum führen und in welchem sie ihre Erinnerungsstücke notieren. Oliver Mannel geht es nicht darum, dass die Teilnehmenden Träume exakt und lückenlos wiedergeben, rekonstruieren oder deuten können. Seine Forschung verfolgt die Absicht, die Intensität der Traumerzählungen für die theatrale Arbeit zu nutzen, damit sich das Publikum gleichermassen in den Bann gezogen fühlt, wie wenn es im privaten Raum einer Traumerzählung lauschen würde.
Ohne Zusammenarbeit keine Forschung
Mögliche Methoden entdeckt und entwickelt er in Kollaboration mit seinen Studierenden. «Ohne das Vertrauen und die Experimentierfreude der Studierenden könnte ich keine brauchbaren Methoden entwickeln.» Die verschiedenen Methoden, die auch in seinen Modulen auf spielerische Weise geübt werden, sollen es den Schauspieler:innen ermöglichen, die im Traum erlebten Emotionen und Erfahrungen auf die Stimme und den Körper zu übertragen. «Gerade weil Träume oft so unverständlich, banal oder bizarr sind, entsteht durch die gemeinsame Traumarbeit im Ensemble eine grosse Freiheit, die sich für die Arbeit an Stimme und Texten nutzen lässt.» Im «Traum- und Sprachmodul» wird nicht nur mit Nachtträumen gearbeitet, sondern es werden auch die Grenzen der Vorstellungskraft ausgelotet. Mit aktiver Imagination arbeiten die Studierenden gezielt an der Verknüpfung von Textbausteinen und Träumen. Diese sogenannten Tagträume oder «Aktivträume» ermöglichen es den Träumenden, verschiedene Szenarien ohne Konsequenzen und grössere körperliche Anstrengungen zu durchlaufen. Die dabei erlebten emotionalen Verknüpfungen können dann durch gegenseitiges Erzählen weiterentwickelt werden.
Grenzenlose Traumwelt
Was es heisst, mit diesen neuen Formen und Methoden zu arbeiten, weiss Anna-Katharina Bánó. Sie studiert im vierten Semester Schauspiel im Bachelor Theater und hat sich aufgrund ihrer Faszination für Träume im Modul eingeschrieben. Getrieben von Neugier und der Suche nach einem versteckten Potenzial, hat sie sich ihren Träumen gestellt. Für sie als angehende Schauspielerin waren das Teilen von Träumen mit ihren Mitstudierenden und die dadurch entstehende Reproduktion auf sprachlicher und körperlicher Ebene spannende Erfahrungen. «Ich habe meinen Traum meinen Mitstudierenden geschenkt, sie haben ihn angenommen, verkörpert und weiterverarbeitet.» Diese physische Darstellung des Geträumten mündet in einer gemeinsamen Analyse des Erschaffenen und wird zum Schluss mit einem dramatischen Text kombiniert. Das experimentelle Modul hat ihrer künstlerischen Arbeit mehr Tiefe gegeben, erklärt Bánó: «Es war bereichernd, mithilfe von Träumen Imaginationen bewusst zu machen und die geschaffenen Traumwelten sprachlich zu nutzen. Wir haben ein komplexes Unterfutter geschaffen, das sich auf subtile Weise in mir absetzt und meinem Text eine neue Ebene eröffnet.»