
Studieren im Master Theater an der ZHdK: Annika Schäfer und Calendal Klose. Foto: Regula Bearth © ZHdK
Regiestudierende im Master Theater erproben und realisieren zukunftsweisende Theaterformate. Sie finden innovative Darstellungsformen und transdisziplinäre Verbindungen und denken das Zusammenspiel von Publikum und szenischem Raum neu. Die Studentinnen Calendal Klose und Annika Schäfer über Institutionskritik, nötige Strukturveränderungen am Theater und ein Publikum, das über seine physische Abwesenheit an Wichtigkeit gewonnen hat.
VON LEA DAHINDEN
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Was beschäftigt Sie derzeit im Regiestudium?
Annika Schäfer: Sowohl als Studentin wie als freischaffende Theaterregisseurin befasse ich mich mit der Frage, wie Theaterhäuser geleitet werden und welche Leitungsmodelle zeitgemäss sind. Ich habe in diesem Zusammenhang das Seminar «Institutionen überschreiben: Die Schweizer Generalintendanz» an der ZHdK besucht, das in Kooperation mit dem Schauspielhaus Zürich organisiert wurde. Wir haben in Kleingruppen Projekte entwickelt, die sich künstlerisch mit Institutionskritik auseinandersetzen. Grundlegend war dabei die Frage, welche Strukturen am Theater geändert werden müssen. Ich glaube nicht, dass die Menschen, die an Machtpositionen sitzen, grundlegend böse sind, sondern dass das Problem systemimmanent ist. Und das muss geändert werden.
Welche Strukturen müssen sich am Theater ändern?
Calendal Klose: Das Spannendste an der Arbeit am Theater ist, dass vieles, was mal als Norm galt, nun aufgebrochen wird. Man denkt laut darüber nach, wie eine Theaterinstitution geleitet werden kann. Machtmissbrauch am Theater gab es schon immer, aber jetzt wird darüber gesprochen. Und das kann zu nötigen Strukturveränderungen führen.
Haben sich die Strukturen noch nicht geändert?
Schäfer: Es gibt einfach Sehgewohnheiten, eine bestimmte Ästhetik, die sich hält und an die auch ich mich gewöhnt habe. Immer wieder muss ich mich dazu anhalten, auch für andere Sachen offen zu sein. Wir kommen nur dann aus dem Schubladendenken heraus, wenn wir uns immer wieder ermahnen, dem Publikum neue, andere Geschichten zu erzählen. Damit wir den Leuten etwas mitgeben, worüber sie nachdenken können.

WUNDERLAND von den «apokalyptischen tänzerin*nen» am Theater Rampe Stuttgart. V.l.n.r.: Jasmin Schädler, Calendal Klose, Mona Louisa-Melinka Hempel. Foto: Dominique Brewing
Wie wichtig ist das Publikum?
Klose: Corona hat das Publikum verschwinden lassen. Doch paradoxerweise hat es über seine Abwesenheit an Wichtigkeit gewonnen. Für mich sind die Grenzen des Möglichen jetzt klarer ersichtlich. Und ich finde, wir und die ZHdK als Institution müssen uns auch mit der Frage auseinandersetzen, wer überhaupt unser Publikum ist. Der Versuch der «Umarmung» marginalisierter Gruppen läuft aus meiner Sicht meist ins Leere. Wichtig ist es, eine sichere Umgebung zu schaffen, in der zum Beispiel von Rassismus Betroffene nicht dazu gezwungen sind, auf Rassismus an der Institution hinzuweisen. Aber es gibt auch die Notwendigkeit, diese marginalisierten Gruppen mitzudenken, wenn man Kunst macht. Dazu sind an der ZHdK Action Groups von Studierenden entstanden.
Was hat Sie an die ZHdK gebracht?
Klose: Annika und ich studieren beide berufsbegleitend. Ich glaube, ich spreche für uns beide, wenn ich sage, dass uns der Wunsch nach Austausch an die ZHdK gebracht hat. Das Studium ermöglicht es uns, die eigene Praxis zu hinterfragen. — Schäfer: Calendal und ich haben beide unseren Bachelor an einer anderen Hochschule gemacht. Was mich unter anderem nach Zürich gebracht hat, ist, dass hier die drei bekannten Häuser – das Theater Neumarkt, das Theaterhaus Gessnerallee und das Schauspielhaus Zürich – kollektiv geleitet werden. Das ist aussergewöhnlich und eine Chance für Theaterinstitutionen.
Was sollen und können Sie persönlich dazu beitragen, dass das Theater an der ZHdK und in Zürich zeitgemäss bleibt?
Schäfer: Ich sehe meine Stärke darin, Menschen zusammenzubringen und offen zu sein für die Themen, die sie mitbringen. Es bereitet mir Freude, eine Gruppe zu leiten und gemeinsam Prozesse zu hinterfragen. Als Regisseurin will ich explizit keine Handschrift entwickeln, da Theaterarbeit immer gemeinsam im Team entsteht und das Entwickeln von Handschriften von der Vorstellung eines meist männlichen «Regiegenies» geprägt ist. — Klose: Auch für mich geht es weniger um eine Handschrift. Wichtig ist mir, einen Arbeitsmodus weiterzuentwickeln, mithilfe dessen wir gemeinsam über mögliche Zukünfte nachdenken können. Der Prozess ist mindestens genauso wichtig wie das Resultat. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Arbeitsmodus auch in der Aufführung erkennbar ist. Wir wollen uns im Team dieselben Fragen stellen, die auch unser Publikum beschäftigen, wenn es die Produktion sieht.