
Mit der Leitung der ZHdK erfülle sich ein grosser Traum: Karin Mairitsch in einer Werkstatt des Toni-Areals. Fotos: Sam Khayari
Im März 2022 wurde Karin Mairitsch zur neuen Rektorin der ZHdK gewählt. Am 1. Oktober 2022 tritt die Bildungs- und Kulturmanagerin ihr Amt an. Im Gespräch verrät Karin Mairitsch, was sie mit Zürich verbindet, wie die Zukunft der ZHdK aussehen könnte und was sie den Studierenden am meisten wünscht.
VON SYLVIA BATTEGAY
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Sylvia Battegay: In einem Satz: Wer sind Sie?
Karin Mairitsch: Zutiefst Mensch, den Menschenrechten, dem Wohl der nächsten Generationen und auch den Künsten verpflichtet.
Was verbinden Sie mit Zürich?
Zürich ist für mich Kindheit und Familiengeschichte. Die Hälfte meiner grossmütterlichen Familie ist nach Zürich ausgewandert. In der Kindheit war ich öfter hier, weswegen ich sehr früh mit dem Schweizerdeutschen in Kontakt kam und überhaupt keine Probleme hatte, es zu verstehen. Darüber hinaus verbinde ich mit Zürich Dada, Urbanität, Klarheit, Weltoffenheit, Vorwärtsstreben, Leistungsorientierung, reichhaltiges Kulturleben als Gegengewicht zum Finanzplatz.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen – oder die Kunst zu Ihnen?
Die Kunst kam eher zu mir. Die ersten künstlerischen Begegnungen, an die ich mich erinnern kann, waren familiärer Natur: eine Grossmutter, die sehr viel las. Eine Mutter, der die Rechtschreibung, korrekte Grammatik und ein elaborierter sprachlicher Ausdruck sehr wichtig waren, sodass ich früh lernte, mich differenziert zu artikulieren. Schliesslich war es mein älterer, zeichnerisch begabter Bruder, der mich inspirierte, ab dem 12./13. Lebensjahr täglich mehrere Stunden zu zeichnen. Ich wollte den Menschen «einfangen» und übte mich in Porträtzeichnen.
Was ist, kann, soll Kunst?
Kunst verträgt keine pauschalen Antworten.
Ein Blick in die Zukunft – wie sehen Sie die ZHdK?
Führend als Hochschule der Künste im globalen Kontext. Mitgestaltend als Hochschule der Künste mit regionaler Verankerung. Relevant als Hochschule der Künste mit gesellschaftlicher Verantwortung. Experimentell als Hochschule der Künste mit visionärer Kraft. Vielfältig, interkulturell, intergenerationell, interdisziplinär, nachhaltig und frei als Hochschule der Künste von und für Menschen.

Pauschale Antworten sind nicht ihr Ding, an der ZHdK will die designierte Rektorin Karin Mairitsch den Menschen darum erst einmal zuhören.
Wie möchten Sie die ZHdK weiterentwickeln? Welche Projekte möchten Sie anstossen?
Ich möchte mir zunächst einen Überblick vor Ort verschaffen und den Menschen in dieser Institution erst einmal zuhören. Nach einer gewissen Zeit werde ich gemeinsam mit den Hochschulangehörigen formulieren können, welche Weiterentwicklungen mit welchen Projekten anstehen. Im Moment erscheint mir bedeutend, das Major-Minor-Modell weiter zu implementieren, den eingeschlagenen Weg Richtung Nachhaltigkeit, Vielfalt, Internationalisierung, Interdisziplinarität, Dissertationsmöglichkeiten, Verschränkung von Lehre, Weiterbildung und Forschung sowie die Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation weiterzuverfolgen.
Welche gesellschaftliche Verantwortung trägt eine Kunsthochschule?
Die Künste verfügen über die Kraft der Imagination: Sie vermögen andere Sichtweisen, neue Perspektiven, überraschende Handlungsoptionen und unkonventionelle Wege aufzuzeigen sowie Sinn zu stiften. Die Kraft der Imagination verpflichtet. Hochschulen für Kunst und Design sind darum in der Verantwortung, Zukünfte in wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht auf ihre Art und Weise mitzuprägen und dabei die Grundrechte des Menschen, die Pluralität an Werte- und Glaubenssystemen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Verfasstheit zu respektieren und zu vertreten. Da Hochschulen zudem Verantwortung für jene Menschen tragen, die sie ausbilden und beschäftigen, sind sie auch dazu verpflichtet, ihr Erneuerungspotenzial laufend auszuloten, um es in den Dienst der Menschen und ihrer Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zu stellen.
Wie verbinden Sie Ihre verschiedenen Perspektiven – Künstlerin, Forschende, Bildungs- und Kulturmanagerin, Lehrende – in Ihrem Berufsalltag?
Ich muss darüber nicht nachdenken, weil mich all diese verschiedenen Aspekte ausmachen und sie in mir verbunden sind. Oder anders gesagt: Wir sind immer viele. Das macht den Menschen so besonders, dass er in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit einzigartig ist. Das bedeutet: Ob ich auf eine Herausforderung, Situation oder einen Menschen mit künstlerischen Strategien, mit forschender Wachsamkeit oder mit geschäftsführendem Pragmatismus reagiere, hängt ganz von der Herausforderung, der Situation und dem Gegenüber ab.
Was wünschen Sie den Studierenden an der ZHdK?
Ich wünsche ZHdK-Studierenden, dass sie immerfort werden, wer sie sind. Dass sich ihr Denken, Fühlen, Imaginieren, Kommunizieren und Handeln, all ihre Sinne weiten. Dass sie an der ZHdK Verbindungen knüpfen, die sie nach dem Studium weitertragen. Dass sie Lehrende finden, von denen sie in der zweiten Hälfte ihres Lebens sagen können, sie seien an ihnen gewachsen. Dass sie experimentieren, entdecken und Umwege gehen dürfen. Dass ihnen Fragen begegnen und sie Reibungsflächen finden, die neue Wege eröffnen. Ich wünsche ihnen, dass sie lebendig sind, wenn sie hier sind.
Was ist Ihnen bei persönlichen Begegnungen wichtig?
Im Miteinander ist mir wichtig, dass wir uns authentisch, wertschätzend und ehrlich begegnen, eine Vertrauensbasis entwickeln, auf der wir uns sowohl loben wie auch reiben können. Ich wünsche mir bei Diskussionen irgendwann einen Punkt, eine Entscheidung. Wichtig ist mir, Stärken und Ressourcen besonders zu beachten, nicht zuletzt auch Kritikfähigkeit und Fehlertoleranz, darin liegt viel Wachstumspotenzial. Ich wünsche mir natürlich, dass auch angenommen wird, was ich geben kann.
Wer oder was inspiriert Sie?
Meistens Menschen, besonders wenn sie feinfühlig und intelligent zugleich sind. Aber auch die Schweizer Berge, Wüsten und fremde Kulturen.
Welches war Ihr grosser Traum als Studentin? Was ist es heute?
Mit der Leitung der ZHdK erfüllt sich mein grosser Traum. Als Kind wollte ich Ärztin werden. Als Studentin war mein grösster Wunsch, genug Geld fürs Essen zu haben, ein WC innerhalb der Wohnung, eine Badewanne und im Winter eine Heizung.
Welches wird die grösste Herausforderung für Sie sein? Was werden Sie wagen?
Meiner Erfahrung nach ist das grösste Wagnis in dieser Funktion, authentisch zu sein. Zu sein, was man ist, ist immer ein Wagnis. Was bei mir bedeutet: Ich bin gerne im Fluss, und das meistens in beachtlichem Tempo, mit recht hoher Komplexität und Weitsicht, verrührt in einer sprachlichen Verdichtung, gewürzt mit einer Portion österreichischen Humors.