ÄSTHETISCHES DENKEN?

Profilscheinwerfer und Kürbiskernöl: Die Lichtprojektion «Floating Shifts» stammt von Sissy Kuhlmann (BA Trends & Identity), Johannes Reck und Nicola Bischof (BA Interaction Design). Sie entstand im Modul «Farbe, Licht und Interaction». Foto: Regula Bearth © ZHdK

Dieter Mersch, was ist ästhetisches Denken?

Der Ausdruck «ästhetisches Denken» hat einen Doppelsinn. Er kann in zwei Genitiven ausgedrückt werden: «Ästhetik des Denkens» und «Denken des Ästhetischen». Der erste verweist auf die Poetik, auf Denken unter Anwendung rhetorischer Figuren oder im Medium der kunstvollen Rede. Der zweite, «Denken des Ästhetischen», ist der interessantere, aber auch umstrittenere, weil philosophisches Denken immer an die Aussage, an Argumentationen und Begründungen geknüpft wird, die wiederum auf einen Diskurs verweisen. Die Behauptung, dass es ein Denken im Ästhetischen gebe, sprengt insbesondere den Alleinvertretungsanspruch des wissenschaftlichen Diskurses und unterstellt, dass es auch andere Formen und Medien gibt, in und mit denen argumentiert, geurteilt oder geforscht werden kann: mit Farben, Tönen und Stillen, Klangsequenzen, Entwürfen, Animationen oder Szenen und dergleichen – dass also Gestaltungen nicht nur Arten sind, sich auszudrücken, sondern auch Erkenntnisse produzieren. Man muss dabei «ästhetisches Denken» wörtlich nehmen: Ästhetik, von griechisch aisthēsis, Wahrnehmung, weshalb es sich um ein Denken nicht in Worten, die etwas sagen, handelt, sondern um Denkweisen im Sichtbaren, Hörbaren oder Fühlbaren, die etwas zeigen und sich stets mitzeigen.

In dieser Rubrik stellen Expert:innen der ZHdK zentrale Begriffe aus dem Kunst- und Kulturgeschehen aus ihrer Sicht vor. Das stetig wachsende Glossar ist zu finden auf: zett.zhdk.ch/was-ist
Prof. Dr. Dieter Mersch war Leiter des Instituts für Theorie (ith) im Departement Kulturanalysen und Vermittlung an der ZHdK.
Teile diesen Beitrag: