Es gibt kein «das macht man so»

Werden ein Jahr lang gemeinsam unterrichten: Christoph-Mathias Mueller (links) tritt im August 2022 die Nachfolge von Prof. Johannes Schlaefli an. Foto: Johannes Dietschi © ZHdK

Die Dirigierklasse der ZHdK hat einen herausragenden Ruf. Die steilen Karrieren der Absolvent:innen machten Johannes Schlaefli mit seinem Ausbildungsmodell «Conductors Studio ZHdK» zum erfolgreichen und gefragten Dirigierdozenten. Nun gibt er nach über zwanzig Jahren den Dirigierstab weiter an Christoph-Mathias Mueller. Ein Gespräch über Stil, Erfolg und was Vielfalt damit zu tun hat. 

VON LEA DAHINDEN
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Johannes Schlaefli: Ich erinnere mich noch gut an unsere erste Begegnung, als du in der Serenata gespielt hast, dem Vorgängerorchester des Kammerorchesters Basel. Ich war gerade fertig mit meiner Ausbildung. Du warst noch im Studium, ein Jungspund, und hast die zweite Geige gespielt.

Christoph-Mathias Mueller: Echt? Ich war immer ein engagierter Spieler, sehr bewegungsintensiv. (lacht) Ich erinnere mich dafür noch, dass du mich zu deiner Generalprobe beim Akademischen Orchester Zürich eingeladen hast. Ich sollte mich ans Dirigierpult stellen, weil du die Akustik überprüfen wolltest. Da habe ich ein Crescendo angezeigt und wumm – was für eine Klangmasse! Ich dachte: Das ist es!

Schlaefli: Also bin ich schuld, dass du Dirigent geworden bist. (lacht)

Mueller: Fast. Dieses Erlebnis war prägend, das habe ich dir zu verdanken. Und jetzt begegnen wir uns wieder, das ist wirklich schön. Ich habe lange nicht daran gedacht, dass ich wieder mal längerfristig in der Schweiz zu tun haben würde – bis ich 2020 künstlerischer Leiter am Murten Classics wurde. Und da habe ich dich eingeladen, bei uns zu dirigieren.

Schlaefli: Als es darum ging, wer meine Nachfolge werden könnte, hatte ich dich ehrlich gesagt nie auf meinem Radar, weil du ja keine Karriere als Dirigierpädagoge verfolgtest. Und als wir uns dann in Murten unterhalten haben, dachte ich: Christoph könnte den Riecher haben für das, was wir hier brauchen.

Mueller: Ich hoffe es. (lacht) Ich komme aus einem Lehrer:innenhaushalt. Das Pädagogische hat bei uns zu Hause zwar immer eine grosse Rolle gespielt, aber ich habe nie primär ans institutionelle Unterrichten gedacht. Im Gespräch mit dir habe ich dann gemerkt, dass wir ähnlich darüber denken, was ein:e junge:r Dirigent:in mitbringen muss, was wir vermitteln wollen und was nicht. Zum Beispiel dass es keine Schablone für alle Studierenden gibt.

Schlaefli: Genau. Es gibt kein «das macht man so». Alle diese Reglementierungen sind unsinnig. Es gibt kein bestimmtes System und keine bestimmte Technik, es gibt Aspekte davon, die energetisch stimmen müssen. Das war für mich zentral, dass du das genauso siehst. Ich kenne genug Dirigierklassen, die stolz sind auf ihre Technik. Und ich erinnere mich, dass ich dem am Anfang auch nacheiferte. Mittlerweile sehe ich es als Kompliment, wenn jemand sagt: «Deine Studierenden dirigieren ja total unterschiedlich.»

Mueller: Ich hatte in Amerika eine sehr klassische, kapellmeisterartige Ausbildung. Das ist als Grundlage nicht schlecht, aber da kam ab und zu der musikalische Ausdruck zu kurz. Du machst es anders und bist erfolgreich mit dem «Conductors Studio ZHdK», weil du die Studierenden befähigst, ihre eigenen Ideen zu vermitteln.

Schlaefli: Ich will den Studierenden Raum geben, sich selber zu erproben. Zugleich ist der Austausch in der Klasse sehr intensiv. Dort lernen sie, die Unterschiede zu sehen und zu verstehen. Je mehr wir zusammen machen, umso verschiedener werden wir. Das klingt paradox, ist aber wirklich so.

Mueller: Wenn ich deinen Studierenden zuschaue, denke ich keine Sekunde daran, ob das jetzt ein Mann oder eine Frau ist. Es spielt einfach keine Rolle. Weil du am Menschen interessiert bist und nicht mit vordefinierten Idealvorstellungen an die Studierenden herantrittst.

Schlaefli: Das war für mich auch ein Punkt, der mir im Rekrutierungsprozess aufgefallen ist: Da gab es Mitbewerber:innen, die gesagt haben: «Selbstverständlich habe ich nichts gegen Frauen, sie müssen einfach gut sein.» Wer das sagt, hat etwas Entscheidendes nicht verstanden: Nämlich dass unsere Beurteilungskriterien auf Beobachtungserfahrungen basieren – im Durchschnitt wohl zu 98 Prozent Beobachtung von dirigierenden Männern. Wenn ich an Studierenden eine unvertraute Bewegung sehe, gefällt sie mir vielleicht nicht auf Anhieb. Ich frage mich dann: Ist das, weil es neu ist oder weil es tatsächlich nicht so gut ist? Oft muss ich dann sagen: Doch, das geht auch so.

Mueller: Auf die Unterrichtsarbeit freue ich mich sehr! Ich bin auch gespannt, wie das mit meinen Gastdirigaten funktionieren wird. Es ist wichtig, dass sie weitergeführt werden, weil die Verbindung zum professionellen Leben bestehen bleiben muss.

Schlaefli: Man ist immer auf der Suche nach Orchestern, die an einer Zusammenarbeit mit der Dirigierklasse interessiert sind. Dafür sind deine Kontakte wertvoll. Als langjähriger Generalmusikdirektor in Deutschland und anderen Ländern bist du super vernetzt. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir total an dich glauben.

Mueller: Ich bin sehr dankbar für diese Lösung mit der gemeinsamen Unterrichtszeit. Üblicherweise ist es ja so, dass der:die abtretende Professor:in die Studierenden bis zum Abschluss begleitet und die Nachfolge nur die Neueintretenden unterrichtet.

Schlaefli: Ich habe immer gesagt: Wenn wir jemanden finden, der:die mir ein gutes Gefühl gibt, möchte ich ein Jahr gemeinsam unterrichten. Und dann haben wir dich gefunden und ich wollte unbedingt weitermachen. Ich freue mich sehr auf das Jahr. Ich habe bisher viel alleine gemacht. Es ist schön, dass ich das, was ich in meinem Gärtchen angepflanzt habe, nun mit dir teilen kann.

Prof. Johannes Schlaefli (johannes.schlaefli@zhdk.ch) ist Professor für Orchesterleitung an der ZHdK und Chefdirigent des Sinfonieorchesters Collegium Musicum Basel. Er wird bis Ende des Studienjahres 2022/2023 die Dirigierklasse zusammen mit Christoph-Mathias Mueller unterrichten.
Prof. Christoph-Mathias Mueller (christophmathias.mueller@zhdk.ch) ist ab August 2022 Professor für Orchesterleitung an der ZHdK.
Die Dirigierausbildung der ZHdK geniesst international einen hervorragenden Ruf. Zahlreiche Studierende und Alumni der ZHdK – darunter auffallend viele Frauen –, bewegen sich äusserst erfolgreich auf dem hart umkämpften Markt. Das «Conductors Studio ZHdK» pflegt dabei eine Lernkultur, die den intensiven Austausch für unterschiedlichste Studierenden-Persönlichkeiten durch curriculäre Aktivitäten und Lerngefässe fördert.
Lea Dahinden war Projektleiterin in der Hochschulkommunikation der ZHdK.
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