Wie Kunst und Biologie die Umwelt in den Computer bringen
Daten sind allgegenwärtig, werden ununterbrochen verarbeitet und versandt, ihre Beschaffenheit wird jedoch kaum hinterfragt. Das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Projekt «Datenflüssen lauschen» des Künstlers und ZHdK-Dozenten Hannes Rickli und seines Forschungskollektivs fragt, wie digitale Daten in der Klimafolgeforschung überhaupt entstehen. Haben sie einen Körper, können wir sie spüren oder hören?
VON EVA VÖGTLI
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Eva Vögtli: Im Juni 2022 zeigt das Projekt «Datenflüssen lauschen» eine Ausstellung im Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven. Weshalb gerade dort?
Hannes Rickli: Wir arbeiten seit 2007 mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven zusammen. Es erhebt in Spitzbergen Daten zur Klimafolgeforschung. Beobachtet werden ein Abschnitt der Unterwasserküste und die Effekte der am Nordpol schnell ansteigenden Wassertemperatur auf Organismen und Habitate. Das Messgerät registriert unter Wasser den Bewuchs von Trümmern eines gesprengten Schiffspiers. Das Unterwasserobservatorium RemOs1 verfügt über zwei Sichtfenster für Kameras, eine Webcam und ein Blitzlicht. Jede halbe Stunde entsteht ein stereometrisches Bildpaar. An diesen Bildern lässt sich die Veränderung der Bioaktivität ablesen – die Besiedlungsabfolge durch Würmer, Algen, Seesterne, Fische, Meeressäuger.
Was untersucht die künstlerische Arbeit?
Mich interessiert, wie diese Daten entstehen. Wie kommen die Forschungsdiagramme zustande und wie können die Arbeitsprozesse dahinter erfahrbar gemacht werden? Wir hören den Forschungsgeräten und ihren Infrastrukturen zu.
Zuhören? Das Gerät macht doch Bilder?
Die Kameras, der Bordcomputer und das Blitzlichtgerät werden mit Strom einer am Meeresboden installierten Steckdose versorgt. Die elektrische Aktivität baut sich jede halbe Stunde auf, bis zum Punkt, an dem die Apparate ein Bildpaar auslösen, der Bordcomputer dieses verpackt, ins Internet stellt und via Seekabel nach Bremerhaven und anschliessend terrestrisch zu uns nach Zürich leitet. Diese elektromagnetischen Aktivitäten hören wir mit Induktionsspulen ab, die wir als kleine Parasiten ins Forschungsgerät eingebaut haben. Seit zwei Jahren betreiben wir auch ein Hydrophon. Damit hört man Tiergeräusche, das Abbrechen eines Gletschers auf der anderen Seite des Fjords oder etwa Geräusche von Schiffsmotoren – also die unmittelbare Audiosphäre des Geräts.
Was passiert mit diesen Geräuschen?
In einer Installation werden live übertragene Bilder und Töne aus Spitzbergen zu sehen und zu hören sein. Einerseits sind dies Livebilder einer Webcam über dem Meeresspiegel sowie stereometrische Bilder, die unter Wasser entstehen, andererseits der dazugehörige Sound. An den Wänden eines 70 Meter langen Korridors sind die seit 2012 aufgezeichneten Bilder als Archiv montiert. Die über 300 000 kleinformatigen Fotografien bilden die Spur des biologischen Arbeitsprozesses, gekennzeichnet durch schwarze Datenlücken elektrischer Blackouts, verursacht durch Korrosion und Eisbergkollisionen, oder Farbveränderungen, die von der Strömung oder der Bioaktivität herrühren. Diese immersive audiovisuelle Inszenierung macht spürbar, dass Daten und ihre Erhebung unheimlich viel Lärm erzeugen und von Umweltkräften mitgeformt werden. Neben der Kunstausstellung gibt es verschiedene Vermittlungsprojekte. Im Rechenzentrum in Bremerhaven, wo die Bilddaten mittels Machine Learning in Zahlen umgewandelt werden, hören Teilnehmende der Arbeit des Supercomputers ad hoc zu. Ein Open Call lädt Klangkünstler:innen zur Nutzung unserer Datenbank für eigene Produktionen ein.
Wen wollt ihr ansprechen?
Nebst Kunst- und Digitalisierungsinteressierten alle Menschen, die elektronische Mediengeräte nutzen und über damit verbundene Umweltfragen nachdenken. Es ist zwar ein Bewusstsein darüber vorhanden, dass private Daten schützenswert sind. Die Materialität der zirkulierenden Daten ist jedoch kaum erforscht, obwohl dies ökologisch grundlegend wäre. Mein Anliegen ist es, zu diesem Diskurs beizutragen.