
Ein Hauptziel von Thomas D. Meier in seiner 13-jährigen Amtszeit an der ZHdK: wach bleiben für die Bedürfnisse der Studierenden. Foto: Alan Maag
Nach 13 Jahren als Rektor der ZHdK verabschiedet sich Thomas D. Meier im Herbst 2022. Zeit, um nicht nur zurück, sondern auch nach vorne zu blicken. Denn Visionen für die Zukunft der ZHdK begleiten ihn auch bei seinem Rücktritt. Ein Gespräch über Verantwortung, das Gespür für Studierende und heimliches E-Bass-Spielen.
VON LEA INGBER
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13 Jahre ZHdK: Welches ist Ihre schönste Erinnerung?
Thomas D. Meier: Das sind vor allem die oft grossartigen Produktionen und Werke von Studierenden, die ich miterleben durfte. All das hat mich beeindruckt, angeregt und meinen kritischen Geist wachgehalten. In solchen Momenten wusste ich immer, wieso ich gerne hier arbeite und wozu unsere Arbeit dient. Und auch der Bezug des Toni-Areals ist eine schöne Erinnerung. Das war ein Meilenstein für unsere weitere Entwicklung. Meilensteine waren auch die grossen Vorhaben im Bereich der Internationalisierung und beim Aufbau der Doktoratsprogramme.
Was fanden Sie herausfordernd?
Veränderungsprozesse, und die waren mir immer wichtig, sind sachliche und emotionale Wechselbäder. Hier mit Gelassenheit, einer positiven und pragmatischen Haltung dranzubleiben, war zuweilen herausfordernd. Ermüdend konnten die wiederkehrenden Anstrengungen sein, kurzsichtiges Silodenken zu überwinden. Aber ich bin ein zähes Arbeitspferd. (lacht)
Verraten Sie uns Ihre Lieblingsanekdote?
Ich schnappe teilweise Ganggespräche zwischen Studierenden auf. Wenn da zum Beispiel eine Musikstudentin einer anderen erklärte, dass sie sich für ein bestimmtes Werk von Schubert zu jung fühle, war das für mich verblüffend und erhellend zugleich. Es macht deutlich, dass Musik sich nicht im technisch perfekten Abspielen von Noten erschöpft. Die Kunst beginnt erst danach und kennt andere Regeln. Und bei der Toni-Eröffnung hörte ich eine Fine-Arts-Studentin sagen, eigentlich wünsche sie sich einen gebrauchten Volvo und kriege nun einen Porsche hingestellt. Diese zufälligen Begegnungen halfen mir zu verstehen, was die Studierenden bewegt und wie eigensinnig die Disziplinen sind.
Was ist Ihnen besonders am Herzen gelegen?
Mir ist wichtig, dass wir das Gespür für die Realität unserer Studierenden nicht verlieren. Die meisten unserer Dozierenden sind in stabilen Arbeitsverhältnissen angekommen, unsere Studierenden hingegen bereiten sich darauf vor, in hoch kompetitiven Berufsfeldern erfolgreich zu sein. Wie können wir dafür wach bleiben? Wie nehmen wir diesbezüglich unsere Verantwortung in Lehre und Forschung wahr? Das hat mich während meiner ganzen Amtszeit beschäftigt.
Welche Form der Kunst praktizieren Sie selbst?
Ich habe lange E-Bass in Rockbands gespielt. Ob das als Kunst durchgeht, wage ich nicht zu beurteilen. Seit meiner Anstellung an einer Kunsthochschule habe ich das nur noch inkognito getan. In den letzten Jahren fehlte mir dafür leider die Zeit. Irgendwann werden wir vielleicht wieder damit beginnen. Virtuos waren wir nie. Das war eher verpönt. Ein Wiedereinstieg sollte deshalb nicht allzu schwierig sein. (lacht)
Und worin sind Sie völlig talentfrei?
Räumliches Vorstellungsvermögen und Small Talk. Beides ist harte Arbeit für mich.
Als Rektor einer Kunsthochschule steht man immer wieder unter Legitimationsdruck. Nervt Sie das?
Nein, ich mache die Übersetzungsarbeit gerne. Ich verstehe durchaus, dass wir einen höheren Erklärungsbedarf haben als Bildungsinstitutionen, die Pflegepersonal oder Lehrkräfte ausbilden. Systemrelevant sind jedoch auch die Künste. Um das klarzumachen, müssen wir Brücken schlagen zu Menschen, die uns nicht unbedingt nahestehen. Sprechen aus der Bubble heraus funktioniert nicht. Mein erster Job war Museumspädagoge, Vermittlung war immer ein wichtiger Bestandteil meines Selbstverständnisses.
Sei es der Zusammenzug der ZHdK von 39 Standorten ins Toni-Areal 2014 oder aktuell das neue Studienmodell Major-Minor. Sie haben viele grosse Neuerungen umgesetzt oder angestossen.
Grosse Neuerungen sind nicht immer das, was sich die Menschen wünschen. Aber wir sind verantwortlich dafür, dass sich die Hochschule im Interesse der Studierenden weiterentwickelt. Die Welt verändert sich rasant und wir müssen uns mit verändern. Innovation habe ich immer so verstanden, dass die Institution über die Veränderung der Rahmenbedingungen die Entstehung von Dingen befördert, für die in der alten Struktur wenig Raum war. Das Toni-Areal und Major-Minor sind Beispiele dafür.
Welche grosse Neuerung steht der ZHdK noch bevor?
Bildungspolitisch bleibt relevant, dass wir als Kunsthochschule in den Fachhochschulen nicht optimal verortet sind. Wir sind kaum mit der Berufsbildung verknüpft, aus der die Fachhochschulen herausgewachsen sind. Zudem fehlt uns das Promotionsrecht, über das unsere internationalen Partner meist verfügen. Das führt zu einem grossen Konkurrenznachteil und hemmt unsere Entwicklung. Da besteht dringender Handlungsbedarf, wenn die ZHdK ihren Platz als eine der führenden Kunsthochschulen Europas halten will.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die ZHdK?
Der Künstler Olaf Breuning, den wir am letzten Hochschultag als Honorary Companion geehrt haben, hat sich im Nachgang bei mir bedankt und dabei festgehalten: «Here in America, the focus is more on victims of life than critical observers.» Diese Entwicklung ist längst bei uns angekommen. Diversität und Chancengerechtigkeit sind für die ZHdK zentrale Werte. Gleichzeitig verbreiten sich auch bei uns Überzeugungen, die aus dem amerikanischen Kontext stammen und hier oft unreflektiert und bis in die amerikanische Terminologie hinein übernommen werden. Klar ist, dass der Fokus auf die Opfer von Geschichte und Gesellschaft vielen eine Stimme gibt, die vorher nicht gehört worden sind. Das ist unbedingt zu begrüssen.
Aber?
In seiner aktivistischen Form kann das entsprechende Engagement jedoch zu einer Instrumentalisierung der Kunst, zu einem reduktionistischen Verständnis davon, was die Kunst zu leisten vermag, zu Sprechverboten und Zensur führen. In dieser Debatte Haltung zu zeigen, halte ich für essenziell, nicht nur für den Kulturbetrieb, sondern auch für Bildungsinstitutionen, die mit ihm verbunden sind.
Im September 2022 treten Sie als Rektor zurück. Und dann?
Da sind vier spannende Stiftungsmandate, die ich weiterführen werde. Wir werden uns zudem einen Hund zulegen und vielleicht ein Haus im Süden bauen. Das reicht für den Anfang. (lacht)