Die Kunst des Nicht-Bereuens – eine Annäherung

Der Moment des sich Exponierens fordert Mut – und keine Reue: Eine Szene aus der Werkstattaufführung «disconnected» des Bachelor Theaters. Bühnenbild von den Theaterstudierenden Sophie Schmid und Noé Wetter. Foto: Djamila Grossman.

Es schwingen Mut, Neugierde und Entschlossenheit mit, wenn wir Entscheidungen treffen. No regrets impliziert, dass man sich dabei nicht von Zweifeln aufhalten lässt – ja sie sogar als Anlass nutzt. Die Zett-Redaktion hat acht ZHdK-Angehörige nach persönlichen Aspekten des Nicht-Bereuens gefragt. Bühne frei für Wagnisse, Aufbruchsstimmung, Fails, Learnings und alles dazwischen.

VON GIANNA BÄRTSCH

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Louisa Goldman
Werkstattverantwortliche Keramik
«Das ‹Konzept Fehler› ist kontextabhängig. Genau das versuche ich den Studierenden zu vermitteln. Ein Riss oder zu viel Glasur können als Fehler gelesen oder als etwas unglaublich Spannendes wahrgenommen werden. Auch die Qualität des Unvorhergesehenen kann im Schaffen mit Ton sehr reizvoll sein: Das Objekt, das ich in den tausend Grad heissen Ofen schiebe, wird sich transformieren. Ich habe keine Kontrolle darüber, muss mich darauf einlassen und mir bewusstwerden, dass ich zwar vieles in den eigenen Händen habe – einiges aber auch nicht. Es ist ein Handwerk, das prädestiniert ist für Enttäuschungen, aber auch für grossartige Lernmomente.»

Dr. Judith Welter
Leiterin Master Fine Arts
«Die Frage, ob ich etwas später bereuen könnte, kann ein positiver Antrieb sein, um eine Entscheidung zu fällen. Im Austausch mit den Studierenden merke ich immer wieder, dass klare Entscheidungen wichtig sind, um Kunst zu machen, denn sie sind Impulse für Produktion und Kreation. Wenn ich eine Entscheidung fälle, beziehe ich Position und stehe dazu. Klar kann ich es in zwei, fünf oder zehn Jahren anders sehen, aber in diesem Moment ist die Entscheidung gut und richtig. Es ist eine spannende Herausforderung, sich nicht von Zweifeln aufhalten zu lassen, sondern sie als Antrieb zu sehen. Darin zeigt sich die Komplexität des Themas ‹Bereuen› oder eben ‹Nicht-Bereuen›.»

Renato Soldenhoff
Co-Vorsitzender Digitalrat, Leiter Programm Digital Skills & Spaces
«Über meinem Bildschirm hängen Post-it-Notes beschriftet mit den Wörtern ‹Improvisation› und ‹Intuition›. Eigenschaften, die ich in unserer Zeit und für meine Arbeit als wichtig erachte. Improvisation hilft im Umgang mit dem Unberechenbaren und ermöglicht einen lustvollen Umgang damit; der Intuition versuche ich aktiv Aufmerksamkeit zu schenken. Mir sind das Machen, das Ausprobieren und das Sich-damit-Exponieren wichtig. So können Ideen und Gedanken erprobt und erfahrbar gemacht werden und ich lerne, ob etwas funktioniert oder nicht. Im besten Fall gelingt es. So oder so helfen diese Erfahrungen, weiterzukommen und ein Vorhaben zu schärfen.»

Noemi Chow
Unterrichtsassistentin Fachrichtung Knowledge Visualization
«Die Folgen des globalen Klimawandels beschäftigen mich – sowohl privat als auch in meiner Rolle als wissenschaftliche Illustratorin und Designerin der Forschungsprojekte ‹Expedition 2 Grad› und der ‹VR Glacier Experience›. In den beiden Projekten schaffen wir einen niederschwelligen und spielerischen Zugang zu abstrakten und komplexen Themen. Das Besondere dabei ist, dass die virtuellen Welten auf wissenschaftlichen Daten beruhen und man dadurch einen Blick in die Zukunft erhaschen kann. Dabei möchten wir unser Publikum nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern über die Faszination der Natur und Umwelt erreichen. Ein künftiges Anliegen ist, gezielter Leute ausserhalb der Nachhaltigkeits-Bubble anzusprechen – sich dort auszutauschen, wo konträre Meinungen herrschen.»

Prof. Michael Krohn
Co-Leitung re-source | Sustainability in the Arts
«Nicht (genau) wissen, was kommt, hat viel mit Kreativität zu tun. Wer Angst vor dem Bereuen hat, wird auch nie mutig sein. Das endet in sich wiederholenden Mustern. Mut, zu Fehlern zu stehen und diese gar als nötig und nützlich zu verstehen, gehört dazu. Erst daraus lernt man. In meiner bald dreissigjährigen Tätigkeit an der ZHdK, unter anderem als Co-Leiter der Geschäftsstelle Nachhaltigkeit, spielt ein unkonventioneller, aber überlegter Umgang mit Herausforderungen der Gesellschaft und der Umwelt eine zentrale Rolle. Darum ist einer meiner Lieblingsgedanken: ‹If you don’t go – you won’t know›.»

Prof. Sergey Malov
Hauptfachdozent Violine
«Es ist gar nicht so schwierig, alles auf eine Karte zu setzen, wenn man ein Ass im Ärmel hat und sich einer Sache sicher ist. Es ist dieses Etwas, in dem ich Erfüllung, Herausforderung und Austausch auf allen Ebenen finde. Es trägt diese tiefe Ehrlichkeit in sich. Musik ist ein erstaunliches Museum und gleichzeitig auch ein modernes Forschungslabor.»

Daniel Späti
Leiter Shared Campus und Transcultural Collaboration
«Am Anfang musst du an deine Idee glauben, Widerstände aushalten – auch ein bisschen stur und cool bleiben. So ging es mir zum Beispiel mit dem internationalen Semesterprogramm ‹Transcultural Collaboration›. Kürzlich haben wir die sechste Ausgabe durchgeführt. Ein Semester lang arbeiten über dreissig Studierende aus Asien und Europa in kultur- und disziplinenübergreifenden Teams an Themen der Transkulturalität. Es ist immer eine sehr intensive Zeit, in der es auch mal etwas chaotisch und unberechenbar werden kann, aber sich eben auch einmalige Begegnungen, Erfahrungen und Momente ergeben. Etwas Rock ’n’ Roll gehört einfach dazu. Und auch wenn es mich jedes Mal an meine Grenzen bringt, lohnt es sich immer wieder, diese Herausforderungen anzunehmen!»

Sophie Schmid
Studentin Bachelor Theater, Bühnenbild
«Ich bereue es nicht, auch wenn es mich immer wieder Überwindung gekostet hat, im Rahmen meines künstlerischen Schaffens Projekte angenommen zu haben, die eine Grenzerfahrung darstellten. Und zwar für mich und für die Menschen, die mit meiner Kunst in Berührung kommen. Für mich ist Scham ein Indikator für gesellschaftliche Normen, die dem Individuum schaden. Der Umgang mit meinem Körper ist Ausdruck meines Mutes, Scham im gesellschaftlichen Kontext zu reflektieren, und die Kunst meine Form des Aktivismus. Scham ist per se nicht schlecht, es gibt Momente im Leben, da schäme ich mich und gleichzeitig hilft mir diese Scham, die Situation richtig einzuschätzen.»

Gianna Bärtsch ist Projektleiterin in der Hochschulkommunikation der ZHdK.
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