Auf dem «Spielplatz» die Sprache gefunden

«Honorary Companion ZHdK» Sonnhild Kestler und «Companion ZHdK» Lisa Brühlmann im Gespräch

Foto: Regula Bearth © ZHdK

Lisa Brühlmann führt Spielfilmregie, Sonnhild Kestler ein Textilunternehmen in Eigenregie. Die beiden Trägerinnen der Ehrentitel der ZHdK über Studienzeit, Entscheidungen und Besessenheit.

VON LEA DAHINDEN

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Lea Dahinden: Sonnhild Kestler, woran erinnerst du dich, wenn du an deine Studienzeit in den 1980er-Jahren zurückdenkst?
Sonnhild Kestler: Da fällt mir zuerst die Ateliersituation ein, die wir an der Schule für Gestaltung Zürich hatten. Wir hatten Werkstätten, wir hatten Platz, wir hatten Zeit. Wenn ich zum Beispiel etwas fotografiert habe, bin ich zu den Fotografen hochgegangen und wir haben den Film zusammen entwickelt. Die Schule war ein Ort, der über das Textile hinaus lehrte.
Lisa Brühlmann: Ja, das war bei uns ähnlich. Ich habe fünf Jahre an der ZHdK studiert, zuerst an der Limmatstrasse und später im Toni-Areal. Ich habe das Studium immer als grossen Spielplatz empfunden. Der ist da, den kannst du nutzen, du kannst Leute fragen und von ihrem Wissen profitieren. Mich hat das total inspiriert: die Freiheit, aber auch die Möglichkeiten.

Warum habt ihr euch für ein Studium an unserer Hochschule entschieden?
Lisa Brühlmann: Ich war ja vorher Schauspielerin. Und es gibt viele Schauspielerinnen, die direkt in die Regie gehen. Aber ich habe klar gesagt: Nein, ich will das Handwerk lernen. Ich möchte wissen, weshalb die Lampe dort stehen muss. So blöd es auch klingen mag: An der ZHdK habe ich zu scheitern gelernt, das hat mir enorm viel gebracht. Natürlich ist es dann cool, wenn man Erfolg hat und Leistung bringt. Aber für diesen Zwischenschritt, für den ist ja die Ausbildung da.
Sonnhild Kestler: Zu meiner Zeit … Ich habe mich für Textilien und Schmuck interessiert, in München gab es da eine tolle Schule. Ich habe dann den Vorkurs bestanden und für mich war es danach total „fadegrad“ mit Zürich. Ich musste nicht mehr schauen, wo noch irgendeine andere Schule wäre.

Wie entwickelt man als Künstlerin eine eigene Sprache?
Sonnhild Kestler: Indem du immer arbeitest und aufmerksam bist. Ich wollte selber rausfinden, was relevant ist oder was ich spannend finde. Ergibt das einen Sinn und will das jemand? Lässt sich das verkaufen? Schliesslich will man ja auch davon leben. Sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen waren alles harte Übungen, jahrzehntelange Übungen.
Lisa Brühlmann: Meine eigene Sprache finde ich in der Auseinandersetzung mit der Welt und mit mir. Einerseits nehme ich wahr, was in der Welt los ist, was mir gefällt und mich zum Erzählen anregt. Andererseits werde ich mir bewusst, was mir persönlich wichtig ist, was ich erzählen möchte und aus welchen Gründen. Das prägt meine Filmsprache. Im Film ist ja alles schon mal gemacht worden – in der Mode auch, oder?
Sonnhild Kestler: Ja, im Textilen war alles schon da.

Und was macht man, wenn alles schon da ist?
Lisa Brühlmann: Man fragt sich zum Beispiel: Warum gefällt mir das und wie kann ich es neu interpretieren? Man richtet den Blick auch gegen innen, um sich selbst besser kennenzulernen. Es ist sehr wichtig, irgendwann zu wissen, wer man ist und welche Geschichte man zu erzählen hat.
Sonnhild Kestler: Ja, die eigene Kunst ist halt einfach dein Leben. Meine Arbeit ist mein Leben. Darum bin ich auch eng verbunden damit, ich habe keine Distanz dazu. Ich frage mich selbst ab und zu: „Warum machst du das? Warum treibt dich das so an?“ Es hat mit dem eigenen Charakter zu tun und damit, dass man hinkriegen will, was man im Kopf oder sonst wo in sich hat. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Textilen grenzt an Besessenheit – wie sie sich wohl auch beim Filmen entwickeln kann. Man tut etwas, weil es sein muss, nicht weil man ein Ziel vor Augen hat. Man macht einfach drauflos.

Die ZHdK verleiht einmal pro Jahr die Ehrentitel „Honorary Companion ZHdK“ für langjährige Verdienste und „Companion ZHdK“ für herausragende Leistungen in jungen Jahren. Die ZHdK-Ehrentitel sind mit keiner finanziellen Zuwendung verbunden. Angehörige der ZHdK können Preisträger:innen vorschlagen. Die Hochschulleitung, beraten von einem Ausschusskomitee, entscheidet über die Vergabe.
Mit Sonnhild Kestler wurde 2021 eine Textildesignerin und ZHdK-Alumna – sie schloss 1985 an der damaligen Schule für Gestaltung Zürich ab – mit dem Ehrentitel „Honorary Companion ZHdK“ für langjährig verdiente Persönlichkeiten ausgezeichnet. Exquisite Qualität und eine eigenständige Sprache machen ihre Arbeiten unverwechselbar. Sonnhild Kestlers Textilien sind bildhaft und erzählerisch. Preisträgerin des „Companion ZHdK“ 2021 ist Lisa Brühlmann. Ihr mehrfach ausgezeichneter Regie-Abschlussfilm „Blue My Mind“ von 2017 ebnete der ZHdK-Alumna den Weg zu einer internationalen Karriere: „Killing Eve“, ihre erste Regiearbeit für BBC America, wurde 2019 für den Emmy nominiert, die höchste Auszeichnung für Fernsehproduktionen.
Lea Dahinden ist Projektleiterin in der Hochschulkommunikationder ZHdK.
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