
Für Vielfalt, gegen Diskriminierung: Patricia Felber, Gleichstellungsbeauftragte der ZHdK, betont die Dringlichkeit der Thematik. Foto: Regula Bearth.
Wo steht die Schweizer Kunst- und Designszene im Umgang mit Diskriminierung? Patricia Felber, Gleichstellungsbeauftragte der ZHdK, zeigt Handlungsbedarf auf und spricht über die besondere Verantwortung von Kunsthochschulen in Gleichstellungsfragen.
VON STEFAN ERDIN
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Stefan Erdin: «Stoppt die Privilegierten!», rufen die einen. «Nieder mit der Identitätspolitik!» die anderen. Über Gleichstellung, Missbrauch und Diskriminierung wird heftig diskutiert. Wie ordnest du die aktuelle Debatte ein?
Patricia Felber: Gleichstellungsthemen haben lange zu wenig Aufmerksamkeit erhalten und werden nun endlich in der Mitte der Gesellschaft diskutiert. Zu Recht: Wenn es beispielsweise um die Akzeptanz unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten, gleiche Löhne oder Diversität am Arbeitsplatz geht, hat die Schweiz noch enorm viel zu tun. Ich persönlich wünsche mir aber, dass der Ton sachlicher wird, dass wir Gemeinsamkeiten statt Unterschiede suchen und dass wir Gleichstellung als Prozess verstehen, in dem auch Fehler passieren. Wir alle haben unbewusst Vorurteile, die wir erkennen und ablegen können. Die Schlüssel zum Erfolg sind Empathie, Toleranz und Reflexion.
Was ist Diskriminierung?
Diskriminierung bedeutet eine Benachteiligung und Ungleichbehandlung aufgrund persönlicher Merkmale wie beispielsweise Alter, Hautfarbe, Geschlechtsidentität oder Behinderung. Innerhalb dieser Definition gibt es insbesondere im Bereich der Kultur, der Pädagogik und der Didaktik sehr spannende Fragestellungen wie zum Beispiel: Kann ein Mensch im Rollstuhl Ballett unterrichten? Kunsthochschulen sollten eine Vorreitrolle einnehmen, Neues wagen und die Erkenntnisse daraus in die Gesellschaft tragen. Aber Diskriminierung ist meist sehr subtil und oft auch unbeabsichtigt. Wichtig ist, dass wir regelmässig reflektieren, diskriminierendes Verhalten identifizieren und reagieren.
In einer Umfrage des Berufsverbands Darstellende Künste SzeneSchweiz aus dem Jahr 2020 gaben rund 80 Prozent der Befragten an, dass sie sexuelle Belästigung erlebt hätten, die oftmals durch Machtgefälle begünstigt wurden.
Ich bin erschüttert über die Häufigkeit von Machtmissbrauch in der Bühnenszene und führe dies auf das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Intendant:in und Künstler:innen zurück. Die Machtkonzentration der Leitung trifft auf einen hart umkämpften Markt und tendenziell tiefe Löhne. Die Kulturbranche muss ein System entwickeln, in dem sich Darstellende und Leitende auf Augenhöhe begegnen. Als Ausbildnerin übernimmt die ZHdK dabei eine Schlüsselrolle. Wir ermächtigen die nächste Generation von Künstler:innen bereits im Unterricht, individuell erlebte Grenzüberschreitungen offen anzusprechen und zu melden.
Die ZHdK engagiert sich stark, um Angehörige vor Diskriminierung zu schützen. Warum tragen Kunsthochschulen in Bezug auf die Achtung von Würde, Integrität und Chancengleichheit eine besonders hohe Verantwortung?
Die ZHdK ist ein Seismograf für gesellschaftliche Probleme. Einerseits tauchen diese in künstlerisch-gestalterischen Arbeiten frühzeitig auf und werden an unserer Hochschule besonders kontrovers diskutiert. Andererseits geht es in den Künsten um Ausdruck und Emotionen. Körperliche Nähe ist in den darstellenden Künsten und in vielen Unterrichtssituationen normal. Die ZHdK versucht ein Klima zu schaffen, in dem Grenzen gemeinsam ausgehandelt, dabei aber Kreativität und Debatten nicht im Keim erstickt werden. Die Hochschulleitung nimmt sich dieser Themen aktiv an und priorisiert sie in der Strategie 2019–2023 entsprechend hoch.
Was macht die ZHdK konkret?
Aktuelle Beispiele sind die Etablierung einer externen Vertrauensstelle und von internen Vertrauenspersonen sowie die Erarbeitung eines Leitfadens, wie wir an der ZHdK möglichst geschlechtergerecht, inklusiv und diskriminierungsfrei sprechen, schreiben und Bilder verwenden können. Die internen Vertrauenspersonen sind unabhängig arbeitende Vertreter:innen aus allen Departementen und Hierarchiestufen, die niederschwellig und anonym für Rat und Beistand konsultiert werden können, einen Schritt für Schritt bei der Konfliktlösung begleiten und bei Bedarf weitere Stellen hinzuziehen. Die Vertrauensstellen sind eine von mehreren Massnahmen, die im Rahmen eines neuen Konzepts eingeführt wurden, welches das Vorgehen bei diskriminierendem Verhalten klar definiert. Sie gliedern sich in bestehende Aktivitäten der Fachstelle Gleichstellung & Diversity ein: beispielsweise die Förderung von Frauen in Führungspositionen, die Kunst- und Designplattform formingdiversity.zhdk.ch und vieles mehr.