In den Verästelungen des Mycels

Wenn sich die Grenzen der Körperlichkeit auflösen: Eine Tiefenkamera fängt die Interaktion des Spielers mit der virtuellen Realität ein und macht sie mittels einer Punktwolke sichtbar. Visualisierung Visualization: Oliver Sahli.

Wenn sich die Grenzen der Körperlichkeit auflösen: Eine Tiefenkamera fängt die Interaktion des Spielers mit der virtuellen Realität ein und macht sie mittels einer Punktwolke sichtbar. Visualisierung: Oliver Sahli

Welche Rolle kann Technologie dabei spielen, unser Denken und Handeln langfristig in Einklang mit der Natur zu bringen? Das Virtual-Reality- und Meditationsprojekt der Game-Design-Studierenden Oliver Sahli und Emma McMillin setzt sich mit dieser Frage auseinander und zeigt, wie durch Summen, Brummen und ruhige Atemgeräusche ein komplexes Pilznetzwerk wachsen kann.

VON FREDERIC POPPENHÄGER

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Frederic Poppenhäger: Welche Idee steckt hinter «Breath Beneath»?
Emma McMillin: Dahinter verbirgt sich ein Virtual-Reality- und Meditationsprojekt, das wir für die Design Biennale Zürich 2021 entwickelt haben. Wir führen unsere Besuchenden in ein Festungsgewölbe unter dem Alten Botanischen Garten in Zürich, in dem unsere Ausstellung aufgebaut ist. Dort steuern sie mit unserer Applikation ein fiktives Pilznetzwerk. Durch meditatives Handeln in Form von sanften Handbewegungen, gleichmässigem Atmen und stetem Summen ist es möglich, sich in einer immersiven Erfahrung in das Eigenleben eines komplexen Pilznetzwerks einzufühlen. Die Spieler:innen schauen dabei auf ihre eigenen Hände und sehen in der virtuellen Umgebung, wie die Pilze aus ihnen erwachsen. Gleichzeitig steuern sie das Wachstum durch ihr eigenes Summen.

Technologie und Meditation – zwei völlig unterschiedliche Ansätze. Wie funktionieren diese beiden Elemente zusammen?
Oliver Sahli: Mithilfe der Technologie können wir die Welt und natürliche Prozesse aus einer völlig anderen Perspektive sehen, verstehen und erleben. Durch die ruhigen Klänge und die atmosphärische Umgebung ruft Breath Beneath eine meditative Erfahrung bei den Besuchenden hervor. Zudem erfordert das Steuern des Pilzwachstums viel Konzentration und Kontrolle – die Pilze wachsen nämlich nur bei gleichmässigem Summen.

Welche Rolle spielt Stille in eurem Projekt?
Emma McMillin: Breath Beneath verlangt von den Besuchenden, sich der Bedeutung von Geräuschen bewusst zu werden und wahrzunehmen, welchen Einfluss diese auf ihre Umgebung haben. Pilze sind entscheidend für die Gesundheit eines Waldes, werden aber oft übersehen, weil sie unterirdisch und fast unsichtbar für uns leben. Mit unserem Ausstellungskonzept wollen wir diese Organismen und ihre Rolle in einem Ökosystem beleuchten – natürlich auf eine sehr abstrakte Weise.

Was ist besonders spannend daran, mit immersiven Technologien zu arbeiten?
Oliver Sahli: Die Arbeit mit immersiven Technologien setzt ein gutes Verständnis der Wirkung von Räumen auf ein Publikum voraus. Wir waren uns nicht sicher, was genau möglich ist, bevor wir das Festungsgewölbe unter dem Alten Botanischen Garten persönlich besichtigen und 3D-Scans des Bereichs machen konnten. Das Umfeld für die immersive Erfahrung muss im Raum so gestaltet werden, dass alles reibungslos läuft und dem Publikum fast verborgen bleibt, dass es noch einen Unterbau von Geräten, Kabeln und Software gibt. Eintauchen im Sinne von Immersion ist ein Zustand der kognitiven Absorption, in dem man gewissermassen die Körperlichkeit verliert. Der Gegensatz dazu ist das Gefühl der totalen Präsenz. Diese beiden Qualitäten auszubalancieren, ist der Schlüssel, um etwas Magisches zu erreichen.

Welche Resonanz erhofft ihr euch auf eure Arbeit?
Emma McMillin: Wir hoffen, dass die Besuchenden von der Begegnung mit einer fremden Welt unter der Erde begeistert sind. Ausserdem werden Geräusche nicht sehr häufig als Steuerungselemente für digitale Erlebnisse oder Spiele verwendet. Daher ist unser Ausstellungskonzept in dieser Hinsicht einzigartig.

Frederic Poppenhäger ist  Kommunikationsverantwortlicher des Departements Design der ZHdK und lehrt in der Fachrichtung Industrial Design.
Das Ausstellungskonzept wurde speziell für die Design Biennale Zürich 2021 (12. August bis 5. September) entwickelt. Das Thema ist eine Erweiterung aus Emma McMillins Diplomarbeit, die sich mit der Natur in Spielen beschäftigt. Oliver Sahli arbeitet im Bereich immersiver Kunst an der ZHdK und erforscht, wie durch neue Perspektiven verschiedene Lebensformen erfahren werden können.
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