Briefpost und Etherpad

«Zu Beginn schrieben wir ausschliesslich von Hand und schickten einander die Texte per Briefpost,» so Dominic Oppliger über den kollaborativen Schreibprozess. Foto: Dominic Oppliger

Dominic Oppliger zum Entstehungsprozess von «Wiedersehen»

Gemeinsam schreiben fordert. Acht ZHdK-Studierende haben sich im Seminar «Kollektives Schreiben» in Mehrautor:innenschaft versucht und eine Geschichte zum Fokusthema «Pst!» verfasst. Dozent Dominic Oppliger verrät, wie aus einzelnen Erzählsträngen eine packende Kurzgeschichte wurde.

VON GIANNA BÄRTSCH

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Gianna Bärtsch: Acht Personen schreiben gemeinsam eine Geschichte. Wie geht das?
Dominic Oppliger: Nach vorbereitender Lektüre und Inputs zu Creative Writing, Short Stories und kollaborativem Schreiben waren die Teilnehmer:innen aufgefordert, sich an individuelle Kollaborationserfahrungen zu erinnern und diese aufzuschreiben. Aus den resultierenden Texten entwickelten wir in Schreib- und Diskussionsrunden eine Hauptfigur und eine Situation. Ziel war, dass alle Autor:innen einen persönlichen Zugang zur Hauptfigur erhalten.

Wie ging es weiter?
Zu Beginn schrieben wir ausschliesslich von Hand und schickten einander die Texte per Briefpost. Nachdem wir uns auf eine Hauptfigur und eine Ausgangssituation geeinigt hatten, wechselten wir auf Etherpad, ein online Texteditor. Die Teilnehmer:innen entwickelten in zwei digitalen Postenläufen acht mögliche Erzählstränge, indem sie gemeinsam an vier Aufträgen arbeiteten: Beschreibe, was passiert ist, beschreibe einen Erinnerungseinschub, baue ein fantastisches Element ein und beschreibe, was die Nebenfigur erlebt, wenn sie sich von der Hauptfigur entfernt. Danach wurden im Kollektiv Stränge diskutiert und festgelegt, Überleitungen geschrieben, Textteile umformuliert, sprachlich vereinheitlicht und viel gekürzt.

Was war befruchtend? Wo lagen die Stolpersteine?
Das gemeinsame Lektorieren und Kürzen auf dem Etherpad hat sehr gut funktioniert. Da Figuren und Handlungsstränge in Kollektivprozessen entwickelt wurden, hatten alle bereits eine gesunde Distanz zum Text. In den Lektoratsrunden legten alle kräftig Hand an, taten ihre Meinungen kund, beharrten auf ihnen oder liessen sich umstimmen. Herausfordernd war, zu entscheiden, welche Teilgeschichten mitgenommen werden und wie diese einzureihen sind.

Die Leser:innen werden am Schluss in der Stille zurückgelassen.
Genau, am Ende schwingt eine Stille mit, die vieles offenlässt. Wir haben auch eine Version diskutiert, in der die Mutter oder auch Vela zum Schluss «Pst!» gesagt hätte. Doch das schien uns zu rund, zu platt. Stattdessen suchten wir nach atmosphärischen Bögen in der Geschichte. Mit dem doch sehr runden «Ich bin’s nur» fanden wir einen Mittelweg, der Interpretationsraum offenlässt.

Zur Kurzgeschichte «Wiedersehen»

Diese Geschichte wurde im Kulturpublizistik-Projektseminar «Kollaboratives Schreiben» unter der Leitung von Dominic Oppliger (dominic.oppliger@zhdk.ch) von acht Studierenden der Masterstudiengänge Art Education und Transdisziplinarität vom ersten bis zum letzten Anführungszeichen im Kollektiv erarbeitet.
Gianna Bärtsch ist Projektleiterin in der Hochschulkommunikation der ZHdK.
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