Die Welt von morgen mitgestalten

In die Kreativität eintauchen: Eric Larrieuxs installative Performance «A Day at the Beach» während der Konferenz Refresh #3 im September 2020. Foto: Regula Bearth ©ZHdK

In die Kreativität eintauchen und neue Perspektiven einnehmen: Eric Larrieuxs installative Performance «A Day at the Beach» während der Konferenz Refresh #3 im September 2020. Foto: Regula Bearth ©ZHdK

Die Berufsfelder in den Künsten, dem Design und der Vermittlung sind kompetitiv. Mit ausgeprägter Eigenständigkeit muss sich darin eine Position erarbeitet werden. Das braucht Stehvermögen und Zeit. Ein Interview mit Thomas D. Meier, Rektor der Zürcher Hochschule der Künste, über Entwicklungsfähigkeit, die Bedeutung von alternativen Sichtweisen und wie eine Kunsthochschule die Zukunft prägen kann.

Thomas D. Meier, welchen Stellenwert hat Kunst in der Gesellschaft und wie beurteilen Sie das Potenzial von Kunst und Design im 21. Jahrhundert?
Thomas D. Meier: Ich glaube, dass die Verbindung zwischen den Künsten, den Wissenschaften und der Gesellschaft immer wichtiger wird, um die Welt der Zukunft zu verstehen und zu gestalten. Jede künstlerische Disziplin ist einzigartig. Gleichzeitig setzt die ZHdK seit Jahren auf Inter- und Transdisziplinarität. Die Zusammenarbeit mit Expert:innen aus anderen Bereichen bietet Künstler:innen, Designer:innen und Vermittler:innen die Möglichkeit, die Rolle der Künste und des Designs in der Gesellschaft neu zu definieren.

Die ZHdK bietet Studiengänge in verschiedenen Bereichen der Künste, des Designs und der Vermittlung – in Bereichen also, in denen derzeit sehr viel in Bewegung ist und die Grenzen immer fliessender werden. Wie stellen Sie sicher, dass die Studien den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft entsprechen?
Durch kompetente Dozierende, zeitgemässe Studiengänge und engagierte Studierende. Als grösste Kunsthochschule der Schweiz und eine der führenden in Europa bieten wir unseren Angehörigen ein herausforderndes und lebendiges Umfeld. Wir fördern ihre Fachkompetenz, Neugierde und Vernetzung individuell, in Kollaborationen und auf internationalem Niveau. Dies befähigt sie dazu, nach Abschluss ihres Studiums substanziell zur Weiterentwicklung der Künste und des Designs beizutragen – und damit zu einer lebenswerten Gesellschaft und einer innovativen Wirtschaft. Unsere Absolvierenden sind es, die Kunstvermittlung, Design, Film, Fine Arts, Musik, Tanz, Theater mit neuen, überraschenden und oft irritierenden Ansätzen prägen und in die Zukunft führen.

Künstlerisches Talent ist wichtig, aber nicht alles. Welche besonderen Eigenschaften benötigen Menschen, die gestalterisch und künstlerisch tätig sein möchten?
Es ist uns ein zentrales Anliegen, Entwicklungsfähigkeit zu vermitteln. Das Engagement der Studierenden, ihre Energie, ihr Wollen und Können sind Voraussetzungen für die Berufswege und Laufbahnen, die sie wählen.

«Das Umfeld ist sehr kompetitiv und man muss sich mit ausgeprägter Eigenständigkeit eine Position erarbeiten. Das braucht Stehvermögen und Zeit.»

Film, Musik, Tanz Design, Kunst – das alles sind Bereiche, in welchen es kaum klassische Grundbildungen gibt. Mit welchen Vorbildungen kommen die Studierenden an die ZHdK? Welchen Stellenwert haben Vorkurse und Propädeutika?
Praktische Erfahrung gehört teils zu den Voraussetzungen, oft auch zu den Empfehlungen, um an der ZHdK zu studieren. Dies kann eine Lehre oder ein Praktikum in einem verwandten Bereich, aber auch ein Vorkurs sein. Eine Vorbildung an der ZHdK ist in verschiedenen Bereichen möglich. So beispielsweise im PreCollege Musik, im Gestalterischen Propädeutikum, im PreCollege Kunst & Design oder im Vorkurs Schauspiel. Vorkurse bieten die Möglichkeit, Einblicke in ein Feld zu bekommen und sich dann gezielt für das persönliche Studium zu entscheiden oder sich optimal auf die Aufnahmeprüfungen vorzubereiten.

Hat sich die Nachfrage bei den Bachelor- und Masterstudien in den letzten Jahren verändert? Wenn ja, in welche Richtung gehen die Interessen der zukünftigen Studierenden?
Stets sehr gefragt ist Visual Communication, immer beliebter wird Cast / Audiovisual Media und die meisten Studierenden sind im Departement Musik zu finden. Relativ neu sind der Bachelor Contemporary Dance und der Master Dance, der 2018 eingeführt wurde. Wir wissen, dass die Studierenden ihren Studienverlauf individuell gestalten wollen und interdisziplinär kompetente Absolvierende im Berufsleben einen Vorteil haben. Sie bringen sowohl Tiefen- als auch Breitenwissen mit. Das Major-Minor-Modell, ein neues Studienmodell, das ab 2022/2023 eingeführt werden soll, ebnet den Weg dazu. Das Studienmodell kombiniert Inhalte aus verschiedenen Disziplinen.

Das Studium abgeschlossen – und nun? Wie beurteilen Sie die Chancen der Studienabgänger:innen, sich künstlerisch und beruflich zu etablieren? Wie kann es gelingen, Kunst zum Beruf zu machen?
Die Berufskarrieren der ZHdK-Absolvent:innen verlaufen sehr individuell. Sie benötigen dafür ebenso spezifische wie vielfältige Kompetenzen. Wir wissen, dass es bei Absolvierenden aus den Künsten und dem Design etwas länger dauert, bis sie sich beruflich etabliert haben. Das Umfeld ist sehr kompetitiv und man muss sich mit ausgeprägter Eigenständigkeit eine Position erarbeiten. Das braucht Stehvermögen und Zeit. Immerhin wissen wir auch, dass sich die genannten Unterschiede zu Absolvierenden anderer Hochschulstudiengänge einige Jahre nach Studienabschluss weitgehend nivellieren. Die ZHdK berät und begleitet die Studierenden beim Übergang in ihre professionelle Tätigkeit, zum Beispiel mit dem Z-Kubator, der Know-how zu Entrepreneurship vermittelt, oder dem Career Centre in der Musik.

«Kunst darf schön, berührend irritierend, widersprüchlich und provokativ sein.»

Sie sind international engagiert. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen der Kunststudien europa- oder weltweit und welchen Stellenwert haben die Schweizer Studiengänge?
Arbeitsfelder der Künste sind international und so ist es auch die Ausbildung. Nur wenn Kunsthochschulen die aktuellen technologischen und sozialen Veränderungen aufgreifen, können sie die Welt von morgen mitgestalten. Diese ist zunehmend vernetzt, digital und interkulturell und erfordert die entsprechenden Kompetenzen. Diese können an der ZHdK unter anderem durch die Angebote des Shared Campus erworben werden. Die von sieben Kunsthochschulen initiierte Kooperationsplattform bietet nachhaltige internationale Ausbildungsformate und Forschungsnetzwerke an. Shared Campus ermöglicht den Studierenden wertvolle Erfahrungen und einen interkulturellen kreativen Austausch in diversen Lernformaten, beispielsweise dem «Transcultural Collaboration», einem transdisziplinären Semesterprogramm, welches hauptsächlich in Asien und zusammen mit Studierenden der Partnerhochschulen stattfindet.
Die Studiengänge profitieren von Zürich als Zentrum der Schweizer Kulturszene und Kreativwirtschaft und als international bedeutsamer Wirtschafts- und Forschungsstandort. Im Toni-Areal vereinen wir eine einzigartige Vielfalt von Disziplinen in den Künsten, im Design und in der Vermittlung. So entsteht ein optimales Umfeld für das Erproben neuer Formen der Zusammenarbeit. Die Infrastruktur bietet optimale Bedingungen: hervorragend ausgestattete Werkstätten, Konzertsäle, Tonstudios, Probebühnen, Ateliers, eine Bibliothek, ein Kino, Ausstellungsräume, den Musikklub Mehrspur und das Museum für Gestaltung Zürich. Das Toni ist ein pulsierender Campus!

Sie sind Rektor einer Hochschule der Künste. Was ist für Sie persönlich Kunst?
Für mich ist Kunst eine Form der Aneignung und Verarbeitung von Welt und Menschsein. Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen vermittelt sie mit ästhetischen Mitteln, sei das in der Musik, im Theater, in der Literatur, im Tanz oder in der Bildenden Kunst. Sie funktioniert vielschichtiger als die wissenschaftliche Erkenntnis, spricht die Sinne an, löst Assoziationen aus, weckt Emotionen. Sie konfrontiert uns mit alternativen Sichtweisen der Welt, darf schön, berührend, irritierend, widersprüchlich und provokativ sein. Sie konfrontiert uns mit unseren eigenen Erfahrungen und Überzeugungen. Und sie schafft das, was bleibt.

Und zum Schluss noch eine Frage zum Bereich der Museen. Auch hier ist vieles in Bewegung: Von der Ausstellung zum Erlebnis. Welche Anforderungen stellen sich heute und zukünftig an die Verantwortlichen von Museen?
Für Museen ist die Digitalisierung ihrer Sammlungen und das online Zugänglichmachen der Bestände genauso ein Schwerpunkt wie das Schaffen interaktiver und partizipatives Ausstellungserlebnisse, die die Besuchenden als Community aktivieren und involvieren. Um das leisten zu können, braucht es auch im Museumsumfeld neue Kompetenzen, z. B. im Bereich Digitalisierung, in der Vermittlung und in der Kommunikation. Die reine Fachlogik reicht nicht mehr aus.

Prof. Dr. Thomas D. Meier ist Historiker und Rektor der ZHdK.
Das Interview erschien erstmalig 2021 im Heft «Kunst&Design», der Chancen-Heftreihe des Verlags SDBB, Bern und wurde für Zett Online leicht redigiert.
www.sdbb.ch
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