Total Space

Der «Säulenwald» des Schweizer Duos Kueng Caputo ist einer von fünf Total Spaces, die internationale Designstudios für die Ausstellung gestaltet haben. Fotos: Pierre Kellenberger © ZHdK Ein Raum in Bewegung und Wände in konstanter Schieflage von Soft Baroque. Ein Verwirrspiel mit Farben und Licht: eine Raumlandschaft von Luftwerk.Ein achteckiges Spiegelkabinett nach Plänen von Leonardo da Vinci: Das Oktagon des Zürcher Architektur- und Designpaars Trix und Robert Haussmann.

Die Ausstellung «Total Space» im Museum für Gestaltung Zürich stellt Design nicht einfach aus. Hier taucht man ganz in die Gestaltung ein. In völlig ungewohnten Räumen kommt man ins Grübeln und Wanken. Und spürt, was Design alles kann. Ein Erlebnisbericht.

VON MELANIE KEIM

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Seit wir Nähe und Distanz tagtäglich verhandeln, Räume zeitweise geschlossen und gemieden werden, sind die Sinne für eine Ausstellung wie «Total Space» geschärft. Hier geht es nämlich um die Verräumlichung von Design, ein Gesamtraumerlebnis, lese ich am Eingang. Und folge dann einer Hand in einem hellblauen Handschuh, die mir mit ausgestrecktem Zeigefinger den Weg weist: hinein in einen Raum mit antik anmutenden Säulen aus Karton, Türmen aus Styropor, einer Mauer aus Backsteinen, die wie Kacheln glasiert sind. Ich weiss nicht recht, was diese vertrauten und doch ungewohnten Baustücke sollen. Und diese Ratlosigkeit ist gar kein schlechter Anfang.

Im Design versinken

Der «Säulenwald» des Schweizer Duos Kueng Caputo ist einer von fünf Total Spaces, die internationale Designstudios für die Ausstellung gestaltet haben. Was ein Total Space sein soll, erfahre ich über einen analogen Wikipedia-Artikel in der kreisrunden Infozentrale in der Mitte der Ausstellung. Gemäss dem Artikel ist Total Space ein Raum, in dem Design nicht als Produkt oder Objekt gezeigt wird, sondern sinnlich erfahrbar und zum Gesamterlebnis wird. Das Konzept will also im Grunde etwas ganz Alltägliches: dass ich Design nicht mit Distanz begegne, sondern mich darin bewege. Nur sind die gestalteten Welten alles andere als alltäglich. In einer Art Kinderspielzimmer für Erwachsene mit überdimensionierten Plüschtieren versinke ich in einem Riesenhai mit drei Köpfen. Musik rieselt aus Lautsprechern, von der Decke baumeln gelbe Sterne an einem königsblauen Ring. Da hängt also eine dekonstruierte EU-Flagge, und am Boden liegt ein Teppich in Form eines zerbrochenen Herzens mit einer entzweiten Weltkarte darauf. Ist das nun politisch? Oder nur eine Spielerei? Oder wollten die vier Designer von Sucuk & Bratwurst, die sich im Kindergarten kennengelernt haben, uns Kind sein lassen in dieser verrückten Zeit?

Spielerei? Politik? Eine Installation von den vier Designern von Sucuk & Bratwurst.

Design kann viel mehr

Auch die anderen Total Spaces werfen Fragen auf, verunsichern, indem sie vertraute Dimensionen durcheinanderbringen. Im Raum von Luftwerk lässt ein Verwirrspiel mit Farben und Licht Räume entstehen, wo eigentlich eine Wand ist. Bei Soft Baroque, die sich mit dem White Cube auseinandersetzen, blättere ich in einem Katalog für ungewöhnliche Galeriewerkzeuge. Da wird etwa die post-passivaggressive Sitzbank vorgestellt, die, mit Kugeln und Kegeln bestückt, vermutlich nicht sehr praktisch ist. Ein Stuhl im Fred-Feuerstein-Look erweist sich denn auch als äusserst unbequem. Dazu kommt, dass über mir eine an Stahlseilen aufgehängte dicke Marmorplatte schwingt. An den Rändern dieser instabilen Decke des Raumes hängt ein Netz, das sich ständig verschiebt und auch die Wände dieses gestalteten Raums konstant in Schieflage bringt. Angenehm ist das nicht, aber interessant. Weil es zeigt, dass noch viel mehr als die gewohnte Normalität und die Räume, die wir kennen, möglich wäre.

Unendlich viele unendliche Räume

Die totale Immersion – eines der in der Infozentrale auftauchenden Stichworte zu «Total Space» – finde ich schliesslich im Oktagon des Zürcher Architektur- und Designpaars Trix und Robert Haussmann. Die beiden haben ein achteckiges Spiegelkabinett nach Plänen von Leonardo da Vinci gebaut. In der wunderbaren Kammer vervielfältige ich mich gleichzeitig mit dem Raum. Ich schwinge die Arme um mich. Hinter, vor und neben mir geschieht genau dasselbe in unendlich vielen unendlichen Räumen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden hier eins, und das lediglich durch richtig positionierte Spiegel. Draussen in der Eingangshalle google ich auf dem Handy «Total Space». Was hat noch einmal jemand in einem der Ausstellungsräume mit Kreide auf eine Wandtafel geschrieben? «Je ne comprends pas trop, mais c’est sympa.»

«Total Space», bis 20. Juni 2021
Museum für Gestaltung Zürich, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
Aktuelle Informationen und Öffnungszeiten: www.museum-gestaltung.ch
Melanie Keim arbeitet als freie Journalistin in Zürich. Sie tanzt gerne, zum Beispiel unbeobachtet und ungestört im Oktagon von Trix und Robert Haussmann.

 

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