Tanzen auf Distanz

Neue Umstände fordern neue Ideen, so wird die Kaskadenhalle im Toni-Areal kurzerhand zum Tanzstudio umfunktioniert. Fotos: Regula Bearth © ZHdK

Eine ZHdK-Disziplin schöpft Kraft aus der Krise

Wie verändert Corona das Tanzstudium? Wie kann man überhaupt tanzen – trotz «Physical Distancing»? Und wie hat der Lockdown die Studierenden – verteilt auf der ganzen Welt – geprägt? Gianni Malfer, operativer Leiter des Bachelors Contemporary Dance, und der kanadische Tänzer Julian Beairsto blicken zurück auf nächtliche Zoom-Trainings und gewähren Einblick in den neuen Tänzeralltag an der ZHdK. 

VON SOPHIE KÄSER

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Montagmorgen, 9 Uhr, Tanzsaal 2: Wie jeden Tag absolvieren die Studierenden des Bachelors Contemporary Dance ihr Training. Alles scheint normal. Doch es ist eine neue Normalität: geprägt von «Physical Distancing» und Corona-Schutzkonzept. Aber wie soll das gehen, tanzen ohne Nähe und Kontakt? Für die Tänzerinnen und Tänzer hat sich viel verändert: So tanzen sie etwa in neu geformten Kleingruppen, die Choreografinnen und Choreografen unterrichten auf Distanz. Auf freiwilliger Basis wird Fieber gemessen. Dies, um den Studierenden ein kleines Stück Sicherheit zu geben, erklärt der operative Leiter Bachelor Contemporary Dance, Gianni Malfer. Getanzt wird ausserdem mit Maske: «Da sie Hochleistungssport betreiben und deshalb viel Sauerstoff brauchen, ist das Tragen einer Maske eine grosse Herausforderung. Aber wir müssen die Studierenden auf eine Berufswelt vorbereiten, in der sie eventuell mit Maske tanzen müssen – international ist das bereits der Fall.»

Neue Ideen sind gefragt

Anpassen an die neue Situation, lautet die Devise. Das war bereits im März 2020 so. Könnten sich die Tänzerinnen und Tänzer nicht ausgiebig bewegen, würden sie schnell in ein psychisches Loch fallen, so Malfer. «Wir mussten deshalb im Lockdown eine neue Struktur aufbauen: mit täglichem Training, Aufgaben in Musiktheorie und Career Development. Zudem engagierten wir Choreografinnen und Choreografen, die mit den Studierenden über Zoom arbeiteten. So hatten diese einen Grund, morgens überhaupt aufzustehen.» Eigentlich sei die Umstellung erstaunlich schnell gelungen: «Die Gruppendynamik war enorm. Alle litten unter den Umständen, waren alleine und hatten wegen Jobverlusten nichts anderes zu tun, als zu tanzen.» Und vor allem hatten alle dasselbe Ziel: unter allen Umständen das Semester beenden! Besonders ein Bild wird Malfer bleiben: «Der Bildschirm mit diesen 15 Zoom-Fenstern und die Vorstellung, dass eine Person in Italien, eine in Japan, eine in Kanada ist – das war schon verrückt.»

Getanzt wird rund um die Uhr…

Aus Kanada schaltete sich jeweils mit neun Stunden Zeitverschiebung Julian Beairsto zu. Er wird diese speziellen Monate nie mehr vergessen: «Wir waren plötzlich in unsere Küchen und Schlafzimmer verbannt, mussten in diesen kleinen Räumen tanzen.» Da es bei ihm zu Hause zu eng war, suchte sich Julian draussen einen Platz zum Trainieren: eine Holzplattform mitten im Wald. Damit er nachts um 1 Uhr etwas sehen konnte, setzte er Flutlicht ein. «Es war wirklich hart. Aber ich war froh, dass ich weiterhin trainieren konnte», so der 20-Jährige. Seine grösste Herausforderung: die Einsamkeit. Etwas, das er mit seinen Mitstudierenden teilte. «Sie hatten Sehnsucht nach dem Tanzpartner, der Tanzpartnerin, nach Körperkontakt – und natürlich nach Vorstellungen vor Publikum. Das bringt Entzugserscheinungen mit sich. Wenn du dein Können nicht zeigen kannst, fehlt dir etwas, ein Sinn», erklärt Malfer. Für Julian war dieses Auf-sich-bezogen-Sein aber auch eine spannende Erfahrung: «Im Tanzsaal vergleicht man sich oft mit anderen. Per Zoom ist man alleine, hat keine äusseren Einflüsse. Ich gab einfach mein Bestes, ob jemand besser oder schlechter war, spielte keine Rolle. Das war erfrischend.»

… auf dem Schiffsteg oder im Wald

Als sie im Herbstsemester 2020 endlich wieder im Tanzsaal trainieren dürfen, ist die Freude bei den Tänzerinnen und Tänzern riesig. «Die Studierenden sind demütiger geworden, schätzen die Infrastruktur an der ZHdK, die grossen Räume, den Sprungboden, dass man überhaupt wieder zusammen tanzen kann», bemerkt Malfer. Und nicht nur das: «Durch die Krise wurden die Studierenden reifer und sich ihres Körpers bewusster.» Einige seien nicht nur reflektierter, sondern als Folge tatsächlich auch technisch besser geworden. Diese Selbstreflexion wolle man nun vermehrt in den Unterricht einbinden. Auch sonst schafft es Gianni Malfer, der einschneidenden Krise positive Erkenntnisse abzugewinnen: «Wir gehen mit Distanzen anders um. So konnten etwa Choreografinnen und Choreografen aus Deutschland oder Israel engagiert werden, die mit den Studierenden via Zoom arbeiteten. Diese Möglichkeit wollen wir beibehalten.» Auch Auditions potenzieller Studierender sollen künftig per Video oder Livestream abgehalten werden können. «Wir sind eine physische Disziplin, die Raum braucht. Aber Corona hat gezeigt: Der Raum kann auch mal irgendwo sein – auf dem Rasen, dem Schiffsteg, im Wald.»

Das Gefühl aber, gemeinsam auf der Bühne zu stehen und für ein reales Publikum zu tanzen, kann kein digitales Medium ersetzen. «It’s magical!», sagt Julian Beairsto. «Dafür leben wir.» Genau das merkt man auch an diesem Montagmorgen im Tanzsaal: eine Energie, einfach magisch!

Sophie Käser (sophie.kaeser@zhdk.ch) ist Kommunikationsverantwortliche des Departements Darstellende Künste und Film der ZHdK.

 

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