Programmieren als Designprozess

Florian Bruggisser entwirft einen Prototypen, der der Natur eine neue Form der Kommunikation geben soll. Foto: Alan Maag © ZHdK

Florian Bruggisser entwirft einen Prototypen, der der Natur eine neue Form der Kommunikation geben soll. Foto: Alan Maag © ZHdK

Informatiker, Lichtkünstler, Kollektivgründer – Florian Bruggisser schaut gern über den Tellerrand. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter lehrt er im Bereich Interaction Design und forscht am Immersive Arts Space. Porträt eines Neugierigen.

VON TESSA APITZ

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«Ping» – «Ping» … Nacheinander wählen sich die Studierenden ins Zoom-Seminar «Physical Computing» ein. Florian Bruggisser, im Hemd und mit Apple Earphones, überträgt seinen Bildschirm. Live schreibt er den Code für einen Schaltkreis, die Teilnehmenden stecken mit ihren analogen Toolkits nach. Wird die LED leuchten? «Programmieren ist erst mal einfach Handwerk», sagt Florian. «Das ist am Anfang nicht leicht und oft trocken. Doch selbst mit den Basics kann man Tolles entwickeln.» Er zeigt seine Installation «åben»: Tore im dunklen Wald beginnen zu leuchten, sobald ein Mensch in ihre Nähe kommt. Mystisch und wunderschön. «Letztlich sind auch das nur simple Schaltkreise.»

Installation «åben» (Dänisch für «offen») zeigt spielerisch, wie wichtig kollektives Zusammenleben ist.

«Programmieren ist erst mal einfach Handwerk.»

Florian will den Studierenden die Freude am kreativen Coden vermitteln. «Programmieren ist ein Designprozess, den die Studierenden durchleben, den ich begleite und an dessen Ende etwas entsteht, das ästhetisch oder gar künstlerisch sein kann – aber nicht muss.» «Interaction-Designerinnen und -Designer sind Schnittstellenmenschen, sie bringen verschiedenste Gebiete zusammen: Technologie, Industrie, Design, Psychologie. Man muss in andere Welten hineinschauen, Kontakte knüpfen.» Der Blick über den Tellerrand ist ihm ebenso wichtig wie der Dialog mit den Studierenden: «Wenn sie etwas spannend finden, mache ich gern einen Switch im Unterricht, und gehe darauf ein.»

«Interaction-Designerinnen und -Designer sind Schnittstellenmenschen.»

Florian ist in einer Lehrerfamilie aufgewachsen. «Schule war für mich Frust, mein Interesse wurde nicht geweckt.» Das änderte sich mit seiner Ausbildung zum Informatiker. «Ab diesem Zeitpunkt musste ich nicht mehr lernen – ich sog buchstäblich alles auf.» Es folgte ein Bachelorstudium der Informatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Den Weg zum Design fand er über Bekannte, mit denen er erste einfache Projekte umsetzte. «Wir haben auf Partys einen Beamer aufgestellt und Sachen an die Wand projiziert», erinnert er sich. Ihre Arbeit machte die Runde, es folgten Aufträge für Ausstellungen und Festivals. 2015 gründeten sie das Kollektiv bildspur, das interaktive Lichtlösungen und Installationen entwickelt. Beim Lichtkunstfestival im «Zauberwald Lenzerheide» trafen sie auf Interaction-Design-Studierende. Florian schrieb sich für den Master ein.

Im Zauberwald: «Silva» (Lateinisch für «Wald») macht die Verletzlichkeit des Ökosystems erlebbar.

«Als ich das erste Mal durchs Toni-Areal ging, eröffnete sich mir eine neue Welt.»

2019 erhielt er für seine Masterarbeit «Deep Vision» den Förderpreis des Departements Design. Seine Ausgangsfrage: Wie nimmt eine Maschine ihre Umgebung wahr? «Die Gesichtserkennung beim iPhone oder den autonom fahrenden Tesla finden die einen spannend, die anderen beängstigend. Ich möchte eine bessere Vorstellung davon geben, wie diese Maschinen sehen.» Seine Studierenden ermutigt Florian, sich auf neue Technologien einzulassen. «Sie sollen sich aber im Klaren sein, was deren Einsatz bedeuten kann.» Seit 2019 lehrt Florian an der ZHdK. Der Wechsel vom Student zum Lehrer fiel ihm leicht. «Mir wurde von Anfang an freie Hand gelassen, das schätze ich sehr.» Im Toni «wetzt» er zwischen den beiden Bereichen hin und her. Im disziplinenübergreifenden Immersive Arts Space ist Florian an einem Forschungsprojekt beteiligt, bei dem 3D-Modellierungen von Menschen für Filme und Games geschaffen werden. Im Interaction Design liegt sein Fokus auf der Lehre. «Mit acht wollte ich Lehrer werden, später Game-Designer. Heute bin ich nah an einer Kombination aus beidem», lacht er. An der ZHdK schätzt er die Interdisziplinarität und die Hands-on-Mentalität. «Als ich das erste Mal durchs Toni-Areal ging, eröffnete sich mir eine neue Welt.» Wenn er eine Idee habe, brauche er die Leute nicht lange zu überzeugen.

«Ich habe keine klassische Designausbildung. Was mir ins Auge sticht, nehm ich mit.»

Themen findet Florian in Büchern, Podcasts und der politischen Debatte. «Ich habe keine klassische Designausbildung. Was mir ins Auge sticht, nehm ich mit.» Ein wiederkehrendes Thema ist der Klimawandel, zum Beispiel bei «Silva» einer Installation aus leuchtenden Birkenstämmen. Wer die Hand ins Licht des Stammes hält, steht plötzlich im Dunkel, erlebt die Verletzlichkeit des Ökosystems und wie schnell ein Eingriff von aussen alles zum Einsturz bringen kann. Es gehe ihm jedoch nicht nur darum zu mäkeln. Menschen sollen auch einfach schöne Installationen erleben dürfen. Durch Ästhetik wolle er die Betrachtenden auf Themen aufmerksam machen, für die sie vorher nicht empfänglich gewesen seien, erklärt er. Zwei Dinge haben all seine Projekte gemeinsam: Licht und Interaktion. «Das Licht ist mein Medium, kombiniert mit Sounds und Bewegungen entsteht ein Raum.» Inspiration findet Florian beim Lichtkünstler Joanie Lemercier oder bei Olafur Eliasson. «Eliasson versteht es, mit visueller Ästhetik Menschen anzulocken, er weckt Neugierde und erzählt dann die Story. Genau das will ich auch erreichen und meinen Studierenden vermitteln: Seht, das alles ist möglich mit kreativem Programmieren.»

Florian Bruggisser (florian.bruggisser@zhdk.ch) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Departement Design und im Departement Darstellende Künste und Film der ZHdK. Er lehrt im Bereich Interaction Design und forscht am Immersive Arts Space. Als freier Künstler realisiert er Projekte und Installationen in einem interdisziplinären Team. www.bildspur.ch
Tessa Apitz (post@tessa-apitz.de) lehrt und forscht nicht, schaut aber beim Texteschreiben, Konzeptedenken und Strategienentwickeln auch gern über den Tellerrand.
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