Während des Lockdowns fand das Leben hauptsächlich auf und vor den Bildschirmen statt. Die Schweiz blieb zu Hause. Gereist wurde aber trotzdem, wenn auch anders. Studierende und Dozierende des Bachelors Fine Arts erlebten eine Studienreise der besonderen Art – ganz ohne Kofferpacken. Denn Ljubljana ist eigentlich nur ein paar Klicks entfernt.
VON LEA DAHINDEN
___
Die erste Studienreise: Fine-Arts-Studentin Lyenne Perkmann freute sich auf Ljubljana. Eine Stadt, die sie hätte kennenlernen wollen, eine Kunstszene, die sie hätte entdecken wollen. Strassen und Gässchen, durch die sie hätte schlendern wollen, Leute, denen sie hätte begegnen wollen, Fragen, die sie hätte stellen wollen. Mit diesen Vorstellungen, was hätte sein können, könnte der gesamte Text bestritten werden. Lyenne Perkmann reiste aber nicht nach Ljubljana, und doch sagt sie: «Auf eine gewisse Art war ich dort.» Wie kommt’s?
So weit weg wie möglich
«Eine Studienreise soll eine Horizonterweiterung sein, ein Eintauchen in die Kunstszene einer anderen Stadt», erklärt Rico Scagliola. Zusammen mit Sadie Plant lehrt er im Bachelor Fine Arts an der ZHdK. Vom ersten Semester an planten sie die Reise mit ihren Studierenden. Ausgewählt wurde eine Stadt, die zwar weit weg von Zürich, aber doch mit dem Zug erreichbar ist: die slowenische Hauptstadt Ljubljana. Als im März der Lockdown über die Schweiz verhängt wird, weigern sich Rico Scagliola und Sadie Plant, die Reise abzusagen. Statt real, soll sie nun virtuell stattfinden.
Digitale Welt schafft Nähe
Vier Tage lang ist Lyenne Perkmann am Bildschirm auf ihrer Studienreise. Während die Eltern nebenan haushalten und arbeiten, warten die Dozierenden beim Treffpunkt am virtuellen Hauptbahnhof auf sie. Oder sollte sie sogar schon unterwegs sein? Ein paar Studierende haben es sich zumindest bereits im Schlafabteil gemütlich gemacht, Bilder lügen bekanntlich nicht. Aber auf dieser Reise kann man zusteigen, wann und wo man will. Für Unterhaltung unterwegs ist ebenfalls gesorgt: Ein Online-Bingospiel macht die Zugfahrt kurzweiliger – und schneller. Da …! Sadie Plant ist bereits am Bahnhof in Ljubljana, wie das Hintergrundbild unschwer erkennen lässt. Statt in die Jugendherberge geht es auf eine City Tour mit Google Maps. Ein Kommilitone von Lyenne Perkmann teilt seinen Bildschirm, er hat eine Street-Art Tour vorbereitet und weiss, durch welche Strassen man sich besonders aufmerksam klicken sollte. Bis zu vier Besuche stehen pro Tag auf dem Programm. Nebst virtuellen Museumsrundgängen haben die Studierenden vor allem immer wieder Gelegenheit, mit slowenischen Künstlerinnen und Künstlern zu sprechen. Ein Maler und Wandkünstler begrüsst sie per Smartphone direkt aus dem alternativen Kunstzentrum Metelkova und lädt spontan zu einer Tour durch sein Atelier ein.
So schafft die digitale Welt Nähe. Manch schüchterne Person traut sich eher, ihre Frage online zu stellen, da die Zoom-Galerieansicht keine Hierarchien kennt. Doch Vorsicht vor Täuschungen! Das Treffen mit dem Philosophen und Kulturkritiker Slavoj Zizek, der auf Zoom zugeschaltet ist, entpuppt sich als Youtube-Videoaufnahme. «Wir haben uns da eine kleine Spielerei erlaubt», meint Rico Scagliola, der das Fake-Interview gemeinsam mit Sadie Plant geführt hat. Für einmal waren den Fragestellenden die Antworten im Voraus bekannt. Die Dozierenden verfolgten damit auch ein didaktisches Ziel, denn Thema der Studienreise war «der digitale Raum und seine Möglichkeiten».
Virtuell ist auch real
So ein Tag in der Kunstszene Ljubljanas ist anstrengend. Im vorliegenden Fall sind es nicht die Kilometer, die man normalerweise in einer Stadt zurücklegt, es sind die Bits und Bytes, die über den Bildschirm flimmern, die ermüden. Zeit also für eine Stärkung. Wie wär’s mit Meerrettichsuppe und Zlikrofi? Rico Scagliola hat die Mise en Place für die slowenischen Ravioli schon gemacht. Auf dieser Studienreise zaubert man sich die kulinarischen Spezialitäten aus der Fremde gleich selber auf den Teller. Eindrücke gibt es viele. Und ein Fazit? «Wir waren neugierig darauf, zu erfahren, wie sich eine virtuelle Studienreise anfühlt. Sie ist zwar kein Ersatz, aber eine Alternative», resümiert Sadie Plant. «Virtuelle Ausstellungen werden wahrscheinlich nie die Norm», ergänzt Rico Scagliola. Nicht jede Kunstform sei digital gleich gut zugänglich. «Es geht erstaunlich gut online», findet Lyenne Perkmann. Sie kann sich vorstellen, dass es in Zukunft mehr internationale Artist Talks am Bildschirm geben könnte – und vielleicht sogar kurze Exkursionen. «Wichtig scheint mir, dass wir virtuelles Reisen nicht ständig mit dem realen Reisen vergleichen», findet Sadie Plant. Schliesslich lässt sich nicht alles voneinander trennen. Wie war das nochmal? War Lyenne nun schon in Ljubljana oder nicht?