Sterbe-Dinge

«Wir verdrängen den Tod und haben Angst vor dem Sterben. Design kann helfen, Sterben als Teil des Lebens zu begreifen.» Bitten Stetter lehrt und forscht in diesem Bereich. Fotos: Regula Bearth

«Objekte können uns die Angst vor dem Sterben nehmen.» Designerin und Forscherin Bitten Stetter im Gespräch über Tod und Design und die «Aura des Lebensendes».

VON TESSA APITZ
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Tessa Apitz: Wie bist du als Modedesignerin zum Thema Tod und Sterben gekommen?
Bitten Stetter: Das hatte persönliche Gründe. Ich habe meine kranke Mutter beim Sterben begleitet und war dadurch viel im Hospiz und auf Palliativstationen. Man ist auf der einen Seite Angehörige und Betroffene, auf der anderen weiterhin Gestaltende. Ich beobachte die Dinge sehr genau: Was umgibt uns? Welchen Einfluss haben Dinge und Objekte auf unser Wohl- und Unwohlbefinden? Ich habe mich gefragt, wie diese letzte Lebensphase gestaltet wird und wie dies im Verhältnis zur Gesellschaft steht.

Was hast du rausgefunden?
Es gibt keine Angebote und Ideen! Man kann sagen, das Sterben als Lebensphase wird von uns als Gesellschaft komplett ausgeklammert. Selbst der Tod ist gestaltet, bis hin zu den Servietten fürs Trauermahl. Für das Sterben selbst gibt es aber nichts Schönes oder Identitätsstiftendes. Unser gesamtes Leben ist auf Individualisierung getrimmt, warum wird diese Sterbenden also entzogen?

Wie passen Tod und Design zusammen?
Sterben ist Teil des Lebens, und ich sehe keinen Grund dafür, dass es nicht wie das Leben behandelt werden sollte. Wir verdrängen den Tod und haben Angst vor dem Sterben. Design kann helfen, Sterben als Teil des Lebens zu begreifen. Indem wir es bewusst gestalten, wird es greifbarer und damit weniger beängstigend.

Das Geschirr für veränderte Essgewohnheiten zeigt Angehörigen und schwer kranken Menschen auf, dass sich Bedürfnisse am Lebensende verändern.

Sterben ist emotional und persönlich, das Umfeld oft karg und funktional, selbst in privaten Sterbezimmern. Paradox?
Ich habe Menschen auch zu Hause begleitet und war schockiert, zu sehen, wie das Zuhause gestaltet wird. Das Karge, Medizinische wird einfach übernommen. Wer schon in einem Hospiz oder auf einer Palliativstation war, spürt diese «Aura des Lebensendes». Diese Atmosphäre entsteht durch Räume und Gegenstände in diesen. Man muss das historisch sehen: Früher sind Menschen im Wohnzimmer im Kreis der Familie gestorben. Dann wurde der Tod an Institutionen delegiert. Das ist stark in unserem kulturellen Gedächtnis verankert, und wir müssen wieder lernen, dass es andere Möglichkeiten gibt. Das sehe ich auch in meiner Arbeit: Ab dem Moment der Diagnose entfällt alles. Es gibt keine Ideen mehr.

Hast du konkrete Ideen?
Ganz einfache Sachen: eine magnetische Steckdose am Bett, damit Sterbende selbstständig ihre Handys aufladen können, um mit der Welt in Kontakt zu bleiben. Eine Lampe, die verschiedene Lichtstimmungen schafft. Ein Korb für die persönlichen Dinge, der am Bett eingehängt wird. Aus meiner eigenen Erfahrung ein absoluter Krisenmoment: Sterbende lagern ihre Sachen im Bett. Bei der Pflege werden die Dinge dann rausgeräumt. Die Betroffenen schämen sich, nach ihrem Taschentuch oder ihrem Notizbuch, also «unwichtigen» Dingen, zu fragen. Sie verlieren ihre Autonomie.

Kann Design zu einem anderen Verständnis des Sterbens führen?
Design ist kein Wundermittel, aber ich glaube, dass wir uns anders mit Sterblichkeit auseinandersetzen, wenn gewisse Produkte im Alltag sichtbar sind. Wenn wir eine Schnullerflasche im Supermarkt sehen, wissen wir automatisch, dass ein Kind in der ersten Lebensphase Flüssigkeit anders zu sich nimmt als wir Erwachsenen. Das Objekt kommuniziert dies. Niemand weiss, wie Flüssigkeit am Lebensende zu sich genommen wird. Früher waren Schnabeltassen aus Porzellan im Fachgeschäft Teil eines Services. Heute bekommt man sie offline nicht mehr, sondern muss auf Pflegebedarf-Sites hässliche Produkte bestellen. Das sagt sehr viel. Design kann hier durch die Anwesenheit von Dingen lebensweltlich und niederschwellig Wissen vermitteln. Darin sehe ich eine Chance.

Das Würfelset gibt Hilfestellungen für eine einfühlsame Kommunikation über das Lebensende und vermittelt Wissen über die letzte Lebensphase.

Welche Sterbe-Dinge hast du schon designt?
Ich habe Prototypen für Pflegehemden entwickelt, nah am klassischen Modell, aber Material und Ästhetik haben sich verändert, und es gibt zusätzliche Features wie Taschen. Mit «Design Interventions» erprobe ich, wie man Produkte anders nutzen kann. Ich kaufe Porzellantassen aus alten Beständen und gebe Porzellanmalstifte dazu, damit Betroffene oder Angehörige sie individualisieren können, also Do-it-your-self-Kits. Oder Sets, die etwas über das Essverhalten sagen – ein grosser Konfliktherd am Lebensende. Sterbende essen weniger, Angehörige akzeptieren das nicht und stopfen sie voll. Ein kleines Geschirr erzählt schon, dass weniger essen möglich ist. So vermittle ich einerseits ein anderes haptisches Erlebnis und andererseits Wissen, weshalb auch immer Anleitungen dabei sind.

Mit welchen Methoden forschst du?
Für mich sind Beobachtung und Ausprobieren der Weg. Ich bezeichne meine Methode als «Multi-Layered Ethnography»: Ich gucke, was global im Bereich Sterben und Design verhandelt wird, welche Dinge früher oder in anderen Kulturen benutzt wurden und noch werden. Ich analysiere, welche Produkte auf dem Markt in anderen Kontexten verfügbar sind und wie ich sie nutzen könnte. Design heisst nicht, alles komplett neu gestalten, es sind oft Kontextverschiebungen, die ich als Gestaltungsmethode verstehe. Also ein sehr offener Designbegriff. Bei meinen «Cultural Probes» geht es um Reflexion: Ich gebe Pflegenden und Angehörigen Tipps und kleine Übungen, die sie durchspielen können, danach interviewe ich sie. Meine Objekte stelle ich dann als Angebot Institutionen zur Verfügung, und diejenigen, die das möchten, können sich bedienen.

In einer Ausstellung hast du Menschen gefragt, welche Dinge sie beim Sterben um sich haben möchten. Was käme in den Koffer für deine letzte Reise?
Ich würde jetzt schon langsam anfangen, meine Tasche zu packen. Wichtig sind persönliche Textilien, ein Schal, der nach mir riecht, der mich begleitet. Eine Kollektion Pflegehemden. Dinge, die mir Sicherheit und Kraft geben, kleine private Erinnerungsstücke. Ein Notizbuch, Musik und mein Handy. Ein Behältnis, in das ich meine Sachen reinpacken kann. Und etwas Lustiges. Es soll keine absolute Betroffenheit herrschen im Umgang mit dem Sterben.

Prof. Bitten Stetter (bitten.stetter@zhdk.ch) lehrt und forscht an der ZHdK in der Fachrichtung Trends & Identity am Departement Design. Aktuell forscht sie zu «Tod + Design im Zeitalter des demografischen Wandels und der digitalen Transformation». Teile ihrer Arbeit finden im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds SNF geförderten Projekts «Sterbesettings – eine interdisziplinäre Perspektive» statt, einer Kooperation zwischen der ZHdK und der Berner Fachhochschule. www.bittenstetter.com
Tessa Apitz (post@tessa-apitz.de) schreibt freiberuflich Texte, Konzepte und Kommunikationsstrategien in Berlin. Seit dem Gespräch denkt sie anders über das Ende und überlegt, ob ihr Wanderrucksack gross genug für ihre letzte Reise wäre.
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