Eine chinesisch-schweizerische Designhochschule

Hier wird urbaner Raum gestaltet: Baustelle der Shenzhen International School of Design (SISD). Foto vom 28. August 2020. Bild: Harbin Institute of Technology Shenzhen

Die Zürcher Hochschule der Künste beteiligt sich gemeinsam mit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (ABK Stuttgart) und dem Institute of Advanced Architecture of Catalonia (IAAC) am Aufbau einer Hochschule für Design und Architektur in China. Im Juli 2020 fand nach mehrjähriger Planung der Spatenstich für die Shenzhen International School of Design (SISD) statt. Die ersten Studiengänge sollen im Herbst 2021 starten. Ein Interview mit ZHdK-Rektor Thomas D. Meier über die Hintergründe, die Freiheit von Lehre und Forschung und wie Kritik und Dialog die akademische Welt zusammenhalten.

VON CAROLINE SÜESS
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Caroline Süess: Wie kam es dazu, dass die ZHdK mit dem chinesischen Harbin Institute of Technology (HIT) in Shenzhen eine Hochschule aufbaut?
Thomas D. Meier: Das HIT ist eine der zehn besten Universitäten in China. Seit 2012 ist die ZHdK mit diesem Partner in Kontakt und die Idee entstand, gemeinsam eine Designhochschule in Shenzhen zu entwickeln. Als Projektpartner von Beginn weg dabei war zudem das IAAC. Im letzten Jahr dazu gekommen ist die ABK Stuttgart. Das Vorhaben bindet sich ein in die seit April 2014 bestehende Partnerschaft des Kantons Zürich mit der Provinz Guangdong, in der auch die Stadt Shenzhen angesiedelt ist.
Von Anfang durfte das Projekt auf das Wohlwollen und die Unterstützung des Fachhochschulrats, des Regierungsrats des Kantons Zürich, des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, der Schweizer Botschaft in Beijing, des Generalkonsulats der Schweiz in Guangzhou sowie von swissnex China zählen.

Was ist die Rolle der ZHdK?
Die ZHdK wird einen wichtigen Beitrag für die Shenzhen International School of Design (SISD) leisten, unter anderem zur Entwicklung der Curricula, der Forschung und Dienstleistungen, der Rekrutierung einer internationalen Faculty und zur Prägung der institutionellen Kultur der neuen gemeinsamen Institution.

Was bringt ein Campus in China der ZHdK in Zürich?
Für die ZHdK und ihre Angehörigen werden Ressourcen und Potenziale in Lehre und Forschung mit der SISD um eine neue Dimension erweitert. Geplant sind unter anderem gemeinsame Projekte aller Partner in Lehre und Forschung. Im Fokus steht zudem die Nachwuchsförderung: Studierenden der ZHdK sollen an der SISD Doktorate ermöglicht werden, was ihnen bislang in der Schweiz verwehrt bleibt. Für das Lehr- und Forschungspersonal der ZHdK bietet die SISD ein interessantes Gefäss für die persönliche berufliche Entwicklung. Die SISD wird der ZHdK, dem Kanton Zürich und der Schweiz darüber hinaus Zugang zu einem spannenden lokalen Innovationsökosystem und zum chinesischen Designmarkt gewähren. Der internationalen Faculty und den Studierenden bietet die SISD die Möglichkeit zu einer vertieften und auch kritischen Auseinandersetzung mit dem chinesischen Kontext.

Was kostet das?
Das Projekt befindet sich seit 2014 in der Planungsphase und wurde vom chinesischen Ministry of Education bislang nicht bewilligt. Die ZHdK hat im beschränkten Rahmen erste Vorbereitungsarbeiten im Rahmen bestehender Anstellungen erbracht, bis jetzt ergaben sich kaum zusätzliche Kosten für die ZHdK. Von der ZHdK organisierte Workshops wurden durch den Partner, das HIT, entschädigt. Dies entspricht der Vereinbarung, dass alle von der ZHdK zugunsten des Projekts erbrachten Leistungen vom Partner bezahlt werden. Weiter wurde vereinbart, dass sich die ZHdK in der zukünftigen Betriebsphase nur an jenen Aktivitäten auf eigene Kosten beteiligen wird, von denen sie direkt profitiert.

Wie steht es um die Reisekosten?
Da sprechen wir von etwa 7‘000 Franken pro Jahr.

Das Harbin Institute of Technology steht auf einer Schwarzen Liste der USA. Warum arbeitet die ZHdK noch mit ihm zusammen?
Das Harbin Institute of Technology ist eine der zehn besten Universitäten in China. Die von den USA geführte Schwarze Liste von Institutionen, mit denen eine Zusammenarbeit für amerikanische Hochschulen und Unternehmen künftig nicht mehr erlaubt sein soll, steht im Zusammenhang mit den aktuellen machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern. Das Engagement der ZHdK mit dem Harbin Institute of Technology bezieht sich ausschliesslich auf die Bereiche Design und Architektur. Die ZHdK geht im Moment davon aus, dass beide Seiten von der Zusammenarbeit gleichermassen profitieren werden.

Kunst, Lehre und Forschung sind gemäss Schweizer Bundesverfassung frei. In China auch?
Für die Bereiche Design und Architektur, welche die ZHdK mitgestaltet, gab es bislang keine Einschränkungen. Sollte es zur Betriebsaufnahme der Shenzhen International School of Design kommen, wird die Praxis zeigen, ob die ZHdK ihre Mitarbeit weiterhin ohne wesentliche Einschränkungen in Lehre und Forschung gestalten kann. Sollte dies nicht der Fall sein, würde die ZHdK das Gespräch mit dem Partner suchen und gegebenenfalls ihr Engagement beenden.

Wird das so einfach möglich sein? Die Bagger sind aufgefahren.
Bereits zum Zeitpunkt des positiven Entscheids des Fachhochschulrats vom 1. Juli 2014 wurde das Reputationsrisiko einer Zusammenarbeit mit einer chinesischen Hochschule thematisiert. Die Modalitäten für einen allfälligen Ausstieg liegen deshalb seit Anbeginn vor. Dafür gibt es eine Ausstiegsklausel in den Agreements. Die ZHdK würde aussteigen, wenn sie in der Kooperation nicht mehr inhaltlich und finanziell verantwortlich handeln könnte und die Sicherheit und Unversehrtheit ihrer Angehörigen nicht mehr gewährleistet wäre.

Kreative Störung – Shenzhen International School of Design (SISD) vor der Zentralachse des Hauptgebäudes von HIT Shenzhen. Visualisierung: Harbin Institute of Technology Shenzhen

Das Vorhaben wird von ZHdK-Angehörigen auch kritisch gesehen. Was sagen Sie ihnen?
Ohne kritische Zugänge können wir die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen nicht bewältigen. Nur ein Wettstreit der Argumente und Meinungen bringt uns weiter, immer verbunden mit dem Anliegen des gegenseitigen Verstehenwollens. Kritische Neugier und selbstkritische Reflexion gehören zum Wesen der ZHdK – diese Haltung ist im Leitbild der ZHdK verankert und wird an der ZHdK gelebt. Darüber hinaus ist es wichtig, zu informieren, Gelegenheit für Fragen und Raum für Diskussionen zu schaffen. Dies haben wir am 8. September mit einer internen Infoveranstaltung getan, sie wurde von rund 30 ZHdK-Angehörigen besucht. Dass sich viele engagiert, kritisch, aber auch interessiert und unterstützend einbrachten, zeugt von einer offenen und vertrauensvollen Kultur an der ZHdK.

Was sind Ihre inhaltlichen Argumente für das Engagement der ZHdK in China?
Wie zahlreiche internationale und schweizerische Hochschulen ist auch die ZHdK in China aktiv. Dies ist seit 2002 der Fall. Die politischen Rahmenbedingungen haben sich in den 18 Jahren immer wieder verändert und sie werden auch künftig im Wandel bleiben. Mit dem Fokus auf akademische Kooperationen ist die ZHdK darum bemüht, mit ihren chinesischen Kolleginnen und Kollegen nach Massgabe der Möglichkeiten weiterhin konstruktiv in Verbindung zu bleiben. Sie nimmt gleichzeitig die Kritik angesichts der aktuellen Situation in China sehr ernst, teilt sie zum Teil und wird sie in ihren künftigen Entscheidungen berücksichtigen.

Gleichzeitig engagiert sich die ZHdK in Hong Kong. Eine konfliktträchtige Konstellation?
Ich würde sie eher verbindend nennen. Die ZHdK baut derzeit mit zwei Hochschulen aus Hong Kong und zahlreichen weiteren aus Asien und Europa den gemeinsamen virtuellen Shared Campus auf. Derzeit ist auch eine chinesische Hochschule, die China Academy of Art, Hangzhou, an Shared Campus beteiligt. Die Konstellation steht für das Bemühen der ZHdK, in ihren Kooperationen auf der akademischen Ebene verbindend zu wirken.
Im Projekt Shared Campus profitierten bzw. profitieren 2019/2020 rund 350 ZHdK-Studierende von den verschiedenen Ausbildungsformaten. Diese reichen von Online-Vorlesungsreihen, Co-Teaching Modulen, über Summer Schools bis hin zu einem 15-wöchigen Semesterprogramm. Der Shared Campus wurde 2018 konzipiert und lancierte 2019 erste Aktivitäten, die nun kontinuierlich ausgebaut werden.

Mit den «Measures for the Employment and Management of Foreign Teachers» sollen ausländische Dozierende in China klaren Regeln unterworfen werden. Darf eine Schweizer Hochschule ihre Angehörigen dem aussetzen?
Dieses Papier ist von den chinesischen Behörden der Schweizer Botschaft sowie unter anderem auch den Botschaften der EU-Mitgliedstaaten zur Stellungnahme unterbreitet worden. Es ist bis anhin nicht in Kraft. Wir werden die finale Version auf ihre möglichen Konsequenzen für die Angehörigen der ZHdK überprüfen.
Es gibt im Übrigen keine Verpflichtung für ZHdK-Angehörige, sich in einem Projekt in China zu engagieren. Ein Engagement ist freiwillig. Falls die Shenzhen International School of Design in die Betriebsphase geht, wird die ZHdK ihre Angehörigen, die sich engagieren möchten, selbstverständlich entsprechend vorbereiten.
Der Bund erarbeitet aktuell eine China-Strategie zur Definition der künftigen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und China. Auf der Grundlage, dass viele Schweizer Hochschulen mit chinesischen Partnerhochschulen kooperieren, wird darin auch die Frage der akademischen Zusammenarbeit thematisiert werden. Die ZHdK wird sich an dieser Strategie orientieren. Orientierung für die ZHdK im Hochschulbereich bieten zudem die am 9. September 2020 von der deutschen Hochschulrektorenkonferenz verabschiedeten «Leitfragen zur Hochschulkooperation mit der Volksrepublik China». Die ZHdK überprüft ihr Engagement auch anhand dieser Leitfragen. Nach meinem Wissen beschäftigt sich auch swissuniversities, die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen, mit der Entwicklung von Kriterien für solche Kooperationen.

Prof. Dr. Thomas D. Meier ist Historiker und Rektor der ZHdK.
Caroline Süess ist Leiterin PR und Medien in der Hochschulkommunikation der ZHdK.
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