Arbeit im Duo statt im Alleingang

«fianc* a fianc*», 2019. «Oft will man uns als ungewöhnliches Paar sehen – genau damit spielen wir gerne», so Michael Meier. Foto: Rico & MichaelFoto: Max EhrengruberFoto: Rico & Michael

Ein Hang zur Melancholie und der Zweifel an der Autorität eines «Selbst» brachten Rico Scagliola und Michael Meier zusammen. Seit ihrem Fotografiestudium an der ZHdK sind die beiden zu einem gefragten Künstlerduo avanciert, das international Erfolge feiert.

VON LUKAS ZITZER

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2008 hat es klick gemacht – im Fotografiestudium an der ZHdK. Doch bevor Rico Scagliola und Michael Meier als künstlerisches Duo zusammenfanden und als Dozenten tätig wurden, waren beide mit eigenen Projekten beschäftigt: Rico setzte sich während des Studiums mit einer Zürcher Agglomerationsgemeinde auseinander, indem er Vorortidyllen als Tatorte inszenierte oder Selbstporträts in der Umgebung machte, um eine Art Enzyklopädie idealisierter Vorstellungen des Lebens in Schweizer Vorstädten zu schaffen. Michael wuchs in einer Berggemeinde auf und wohnte während seines Studiums an der Zürcher Langstrasse. Hier begegnete er randständigen Personen, mit denen er das Gespräch suchte und die er zu porträtieren begann: Er fotografierte Obdachlose, Sex Workers und Suchtkranke und zeichnete Gespräche auf, die er den Bildern gegenüberstellte.

Die Methoden waren zwar unterschiedlich, aber das gegenseitige Interesse an der Arbeit des anderen wuchs. Und bald realisierten sie, dass sich diese sogar in idealer Weise ergänzten: Ricos inszenierte Bildwelten und Michaels direkter Zugang zu fremden Lebensrealitäten waren im Grunde beide vom Interesse getrieben, soziologische Prozesse und Normen zu untersuchen.

Bedachtsamkeit trifft auf Improvisation und Spielerei

Für das erste gemeinsame Projekt, das Buch «Neue Menschen» von 2011 (Edition Patrick Frey), inszenierten und fotografierten sie während dreier Jahre Teenager aus verschiedenen Jugendkulturen. Dies führte ihnen vor Augen, wie sich ihre Arbeitsweisen und Qualitäten ergänzten: Rico erprobt neue Ideen eher vorsichtig und mit Bedacht, während Michael stärker auf Zufall, Improvisation und Spielerei setzt. Ihre Arbeitsweise ändern sie mit beinahe jedem Projekt. Eine bestimmte Arbeitsmethode zu einer künstlerischen Handschrift zu verfestigen, liege nicht in ihrem Interesse, erklärt das Duo. So bleibt auch die Rollenverteilung fliessend. Sie teilen alle Arbeitsschritte auf, fotografieren, schreiben, filmen, editieren, schleppen, werben in harmonischem Austausch.

Spiel mit dem vermeintlich Ungewöhnlichen

Die Frage, ob sie denn ein ungewöhnliches Paar seien, trifft auch gleich eines der Kernthemen ihres künstlerischen Schaffens: Was ist gewöhnlich, was ungewöhnlich? Wo wird Abweichendes akzeptiert? Mit diesen Fragen wollen sie den ihre Kunst Betrachtenden einen Spiegel vorhalten, damit diese auch die eigenen Wertvorstellungen und Normen hinterfragen. Tatsächlich mögen es beide im Alltag aber auch mal ganz gewöhnlich: Sie kochen füreinander, unterhalten sich über Politik, das Wetter oder neue Kleidung. «Ungewöhnlich wären wir vielleicht gerne», erklärt Michael, «und teilweise sind wir das auch, zumindest wenn wir uns selbst als Figuren in Bildern darstellen. Oft will man uns als ungewöhnliches Paar sehen – genau damit spielen wir gerne.»

Das Volksfest und seine soziale Funktion

Zurzeit editieren sie das Filmmaterial, das sie im Sommer 2019 an den «Fêtes des Vignerons» in Vevey aufgenommen haben. Das riesige Volksfest, das nur alle 20 Jahre stattfindet und an dem sich Tausende Statistinnen und Statisten beteiligen, interessiert sie weniger wegen der spezifischen Traditionen als vielmehr wegen der sozialen Mittlerfunktion zwischen öffentlicher und individueller Lebensgestaltung.

Und solange sie zusammenarbeiten, bleibt auch ihr Interesse an neuen Projekten bestehen: Wäre jeder für sich alleine, hätte Rico vielleicht einen kleinen Spezialitätenladen mit Filmverleih und Michael würde sein artistisches und musikalisches Talent auf den Kleinbühnen dieser Welt zum Besten geben.


2018 wurde Rico Scagliolas und Michael Meiers Videoarbeit «Characters with Unknown Power» bei den Swiss Art Awards prämiert. Sie haben unter anderem in der Kunsthalle St. Gallen und am Istituto Svizzero in Palermo ausgestellt. Seit 2013 unterrichten sie am Departement Fine Arts an der ZHdK. www.ricoandmichael.com
Lukas Zitzer ist Kommunikationsverantwortlicher des Departements Fine Arts der ZHdK.

 

 

 

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