
Der Fair Practice Code ist kein fernes politisches Ziel, sondern eine real existierende Verantwortung. Grafik: Thijs Verbeek
Marijke Hoogenboom, was ist Fair Practice?
Labels wie Fair Trade oder Fair Fashion sind inzwischen zu einer wichtigen Orientierung für Konsumierende geworden, die die Gerechtigkeit im internationalen Handel fördern wollen. Als Reaktion auf unbefriedigende Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb haben nun auch Kulturschaffende die Initiative ergriffen, um unter dem Schlagwort «Fair Practice» Richtlinien für eine ehrlichere Kunstpraxis aufzustellen.
In den letzten Jahren sind europaweit Studien erschienen, die nicht nur die prekäre Einkommenssituation professioneller Kreativer dokumentieren, sondern auch die Sorge um soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Machtmissbrauch. Dabei wollen es viele engagierte Kulturschaffende aber nicht belassen. Mit dem Fair Arts Almanac in Belgien und dem sogenannten Fair Practice Code in den Niederlanden haben sie konkrete Instrumente entwickelt, mit denen Theater, Orchester, Compagnien und Ensembles ihre eigene Organisation kritisch reflektieren können. Das Ziel ist eine freiwillige Selbstverpflichtung, Produktionsbedingungen, Führungskultur und Zusammenarbeit auf fünf zentrale Werte hin zu überprüfen: Solidarität, Transparenz, Nachhaltigkeit, Diversität und Vertrauen. Werden all diese Werte bereits im Berufsalltag gelebt? Oder besteht nicht doch noch Handlungsbedarf?
In der Schweiz stand im Frühjahr 2020 erstmals das Performing Arts Manager Meeting im Zeichen von Fair Practice. Auch in der lokalen freien Szene gibt es ein grosses Bedürfnis, zu diskutieren, was faires Zusammenarbeiten und Produzieren – unter herausfordernden Bedingungen wie knappen Budgets und Wettbewerb – bedeuten könnte. In Belgien und den Niederlanden wird die Bottom-up-Initiative inzwischen breit getragen und ist im Bewusstsein der Kunsthochschulen bis hin zu den Förderkriterien der Kulturfonds angekommen: Fair Practice ist zu einer unabdingbaren Voraussetzung geworden, um den Sektor zukunftsfähig zu machen – nicht als fernes politisches Ziel, sondern als real existierende Verantwortung.