Regie ist auch ein bisschen Rock ’n’ Roll

Oft auf Filmsets anzutreffen: Filmregisseur und ZHdK-Dozent Tom Gerber (in Jeansjacke) mit Studierenden in einem Methodikseminar. Foto: Betty Fleck © ZHdK

Tom Gerber ist Filmregisseur, ZHdK-Dozent und sehr umtriebig. Die besten Chancen, ihn anzutreffen, hat man auf einem Filmset. In einem Methodikseminar setzt er mit Studierenden aus dem Bachelor Film verschiedene Drehbuchszenen um, mit dem Ziel, ihre eigene Bildsprache zu schärfen. Ein Porträt.

VON LEA DAHINDEN
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Ein Kunstrasenteppich vor einer bunt gestrichenen Sitzbank. Rundherum Lichtinstallationen, die das Set beleuchten. Eine junge Frau stellt das Bild ihrer Kamera scharf, ein Mann schreibt den nächsten Take auf die Klappe und hält sie vor die Linse. Eine andere Frau schaut konzentriert auf den Bildschirm. Sie hält den Atem an, ihr Blick ist starr, nur ihre Lippen bewegen sich kurz: «Und … bitte!» Gebannt neben ihr steht Tom Gerber, Dozent an der ZHdK und Leiter des Methodikseminars «Découpage». Die Szene beginnt. Eine Schauspielerin in grauem Trainingsanzug und glitzernder Sportjacke stochert gelangweilt mit einem Holzstück auf der bunten Sitzbank rum, lacht hämisch, wendet den Kopf zum Kunstrasenteppich hin in Richtung des Mannes, der ihr bester Kumpel ist. Oder war. Denn der Kumpel mit der lässigen Lederjacke und dem neuerdings durchtrainierten Körper ist nicht mehr das Landei von früher.

Im Bild leben

«Cut», sagt die junge Frau in Jeans und orangem Hemd erleichtert. Sie heisst Lena, ist Studentin im dritten Semester des Bachelors Film und eine der Seminarteilnehmenden. Während dreier Tage wird sie abwechselnd mit ihren Mitstudierenden mal den Lead in der Regie, an der Kamera oder im Ton übernehmen. Sie begibt sich aufs Set und bespricht die eben gedrehte Szene mit dem Cast. Gerber setzt sich mit etwas Abstand dazu, nimmt sich bewusst zurück und lässt Lena die Rolle der Regisseurin üben. Die Schauspielerin fragt Lena: «Ist es gut, wenn ich sitzen bleibe?» Vielleicht wäre es besser, wenn sie nach dem einen Satz schneller wieder zurück auf den Rasen käme? Wie soll sie sich dabei fühlen?

Diese letzte Frage gut zu beantworten, ist für Tom Gerber eine wichtige Qualität einer Regisseurin. «Sie muss der Schauspielerin ein Bild vermitteln können, in das diese sich hineinversetzen kann.» Gerber arbeitet neben seinem ZHdK-Pensum freiberuflich als Regisseur für Spielfilme und Serien. Er weiss, wie wichtig die Kommunikation am Set ist. Und er weiss auch, dass es hektisch zu- und hergehen kann. «Oft stellen wir Szenen kurzfristig um, weil wir erst beim Dreh merken, dass es eben doch nicht so funktioniert, wie wir uns das in der Theorie vorgestellt haben», erklärt der 42-Jährige. Deshalb sei Praxiserfahrung wie jene im Seminar so wertvoll. «Hier darf auch mal etwas schiefgehen, hier können wir uns Zeit lassen und experimentieren.» Aus der Zusammenarbeit mit Studie-renden nimmt er immer etwas für seine eigene Regietätigkeit mit. Und manchmal nimmt er sogar die Studierenden selbst mit. Sie arbeiten während der vorlesungsfreien Zeit für eine seiner Fernsehproduktionen und sind dort beispielsweise als Script Continuity dafür verantwortlich, dass es keine Anschlussfehler gibt. «Meine Studierenden sehen dann, dass auch ich mitunter Bammel habe auf einem Dreh», lacht er.

Ratschläge müssen nicht immer befolgt werden

Seit 2007 ist Gerber Dozent im Departement Darstellende Künste und Film der ZHdK. Er ist damit wieder an die Institution zurückgekehrt, an der er sein Handwerk gelernt hat. Mit seinem Abschlussfilm «Fledermäuse im Bauch», einer humorvollen Vampirgeschichte, schaffte er es bis nach Cannes. Die Leidenschaft zum Film war aber keineswegs von Anfang an eine klare Sache: Nach der Matura mit Schwerpunkt Musik und einer Reise nach Los Angeles entschied sich der Luzerner für ein Englischstudium an der Universität Zürich. Zum Film wechselte er wegen eines Seminars mit dem Titel «Reality as Seen on Television». «Ich war begeistert, dass man an einer Universität über meine Lieblingsfilme sprach. Da realisierte ich: Ich will Film studieren», erklärt Gerber den Moment, in dem es klick machte. Denkt er an seine Zeit als Filmstudent zurück, erinnert er sich vor allem an Momente, die ihn motiviert haben. «Wenn mir Dozierende gesagt haben: ‹Das funktioniert nicht›, wollte ich es ihnen erst recht beweisen», sagt er mit einem herausfordernden Lächeln. Und er fügt hinzu: «Es ist mir völlig bewusst, dass sich auch meine Studierenden manchmal über meinen Rat hinwegsetzen. Das ist okay. Wertvoll ist die eigene Erfahrung.»

Gerber betrachtet es als Privileg, junge Menschen auf ihrem Weg zu begleiten. Wer im Bachelor Film an der ZHdK studiert, lernt die ganze Palette des Filmemachens kennen. Diese breite Ausrichtung sieht Gerber als Chance für die Zukunft. «Es wird immer mehr transmediale Projekte geben, und die Studierenden müssen auf allen Feldern fit sein», ist Gerber überzeugt. Die Vielseitigkeit, die Gerber verlangt, lebt er selbst auch vor. So leitete er letzten Sommer zusammen mit ZHdK-Dozent Claudio Bucher eine Summer School der internationalen Plattform Shared Campus und beteiligt sich am SNF-Forschungsprojekt «Virtually Real» aus dem departementsübergreifenden Lehr- und Forschungsraum Immersive Arts Space der ZHdK.

Fremde Drehbücher und persönliche Haltung

«Wir machen es noch einmal», tönt es am Filmset. Bevor alle sich wieder an ihre Position begeben, wendet sich Tom Gerber der Regisseurin zu und kommentiert das Kamerabild: «Es ist super, dass du da jetzt näher dran bist.» Besonders freut ihn, dass die Studentin selbst auf diese Idee gekommen ist. Die Aufgabe, die Gerber seinen Studierenden in diesem Seminar stellt, ist eine, die sehr nah am Berufsleben ist, das nach der Ausbildung auf sie wartet. Die Teilnehmenden müssen eine Szene aus einem Drehbuch, das sie nicht selbst geschrieben haben, interpretieren. Gerber kennt diese Herausforderung nur zu gut. Die letzte Folge des Fernsehkrimis «Tatort» aus Luzern ist seine jüngste Regiearbeit. Das Drehbuch haben andere geschrieben. Bei einem «Tatort» sind die Produktionsbedingungen vorgegeben. Umso wichtiger ist es, dass der Regisseur das Vertrauen von Cast und Crew gewinnt und seine Vorstellungen schnell und klar vermitteln kann. «Die Aufgabe eines Regisseurs ist es, eine persönliche Haltung zu finden. Entscheidend ist die Antwort auf die Frage: Wieso wird ein Film anders, wenn ich ihn mache?», fasst Gerber zusammen.

Er blickt auf die Uhr. Die Studierenden haben die Zeit für die erste Szene mehr als überschritten. Gerber nimmt es gelassen. Er weiss, dass viel Material gedreht wurde, das gar nicht geschnitten werden kann. Auch das ist eine Berufsrealität. «Gut, dann werden die nächsten beiden Szenen Rock ’n’ Roll», sagt er und klatscht in die Hände.

www.thomasgerber.ch

Lea Dahinden ist Projektleiterin in der Hochschulkommunikation der ZHdK.
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