
Ähnelt einem Schneckenhaus. Ein Kunstwerk von Studierenden und Kindern. Foto: Regula Bearth © ZHdK
Die einen lassen sie kalt, andere triggern sie: rohe, weisse Wände. Um sie hat sich das Modul «Kunst & Wandgestaltung» an der ZHdK gedreht. Ein Experiment mit farbenfrohem Ausgang.
VON EVA KUNZ
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Ein feiner Hauch von frischer Farbe dringt durch die Korridore des Toni-Areals. Eigentlich nichts Besonderes an der Zürcher Hochschule der Künste. Doch etwas ist anders. Denn das Bouquet aus Noten erdiger Dispersions- und beissender Lösungsmittelfarbe kommt nicht aus den Ateliers, sondern hat seinen Ursprung woanders. Das vormals weisse Gemäuer einiger Korridore auf der Ebene 7 ist auf einmal bunt bemalt.
In diesen Mauern steckt viel Geschichte. Seit dem Einzug der ZHdK ins Toni-Areal im Jahr 2014 haben die weissen Wände provoziert – sie wollten gestaltet werden. Studierenden aller Departemente ist es grundsätzlich gestattet, Wände in einzelnen Korridoren frei zu bespielen. So geben in den Gängen der Tanz Akademie Zürich einheitliche Pastellfarben den Ton an, während sich das Departement Musik mit seiner Insektenwand naturverbunden zeigt. Für einige Flächen braucht es eine Bewilligung. So ist manch eine Wand zur stummen Zeugin einer jahrelangen Meinungsverschiedenheit geworden – war weiss, war bunt und dann wieder weiss. Sollen sie nun neutral, roh und weiss bleiben oder als Projektionsflächen Teil des Studiums werden? Das war die Frage im Zentrum des Diskurses. Um diese anzugehen, hat der Bachelor Fine Arts das Modul «Kunst & Wandgestaltung» geschaffen. Insgesamt 16 Studierende haben am Seminar teilgenommen.
Studierende wollen Wandgestaltung für alle öffnen
Geleitet hat das Modul das Zürcher Künstlerkollektiv Mickry 3. Das Trio besteht aus Dominique Vigne, Christina Pfander und Nina von Meiss. Ihre überwiegend skulpturalen Kunstwerke sind von einer konsum- und gesellschaftskritischen Haltung geprägt und oft in den öffentlichen Raum integriert.
«Es war eine intensive Woche», sagt Dominique Vigne. Die Vorgeschichte der «geilen weissen Wand», wie sie im Modul beschrieben wird, habe die meisten der Teilnehmenden beschäftigt. «So haben wir diese Thematik nochmals intensiv verarbeitet. Die Diskussionen drehten sich etwa um die Frage, was eine weisse Wand in einer Kunsthochschule von einer solchen in einem Museum oder im öffentlichen Raum unterscheidet.» Bei Street Art sei es zum Beispiel der Moment des Gestaltens, der für einen Künstler besonders bereichernd sei, so die Studierenden. Diese Art, Kunst zu machen, wollten sie an den weissen Wänden der ZHdK ausprobieren. Es sollte ein Experiment werden. Konsens herrschte auch in Bezug auf ungewisse Veränderungen, wie es sie bei Graffitikunst auf der Strasse gibt. So entstand die Idee, eine riesige Collage zu schaffen, bei der sich die verschiedenen Kunstwerke überlagern sollten. Auch alte Tags, die hier einst zuhauf anzutreffen waren, sollten ein Revival erleben.
«Ein zentrales Bedürfnis der Studierenden war auch, die Wandgestaltung zu öffnen und sie allen zugänglich zu machen», sagt Dominique Vigne. «Die Modulteilnehmenden wünschten sich explizit, nicht die Auserwählten zu sein, die allein die Erlaubnis erhalten, die Wände zu bemalen», ergänzt Christina Pfander, «und wir fanden, wenn dieser Wunsch so zentral im Raum steht, dann wollen wir ihn auch erfüllen.» So standen einige weissen Wände der Ebene 7 drei Tage lang allen offen, die mitmachen wollten. Auch Schülerinnen und Schüler aus der Kindergarten- und der Primarstufe wurden eingeladen. «Kinder deshalb, weil sie eine noch unvoreingenomme-ne Haltung gegenüber einer weissen Wand haben», begründet Christina Pfander die Idee der Modulteilnehmenden.
Von weiss zu schwarz
Es ist Freitagnachmittag, und den Studierenden bleiben nur noch wenige Stunden bis zum Modulschluss. Von weiter hinten schallt Hip-Hop-Musik rüber. Am Ende des Korridors ist eine Wand praktisch schwarz geworden. Ein riesiges Etwas zeichnet sich ab, das am ehesten einem Schneckenhaus ähnelt. Daraus entspringt ein nabelschnurförmiger Strang, der aus der schwarzen Fläche heraus in die weisse übergeht und dort abrupt abstrakt wird. Mit wenigen Strichen gemalte Fabelwesen, Herzen oder Tupfer sind zu sehen. «Hier haben die Kinder auf unser Kunstwerk reagiert», sagt Reto Ritz, der die Wand zusammen mit Julius Jenny bearbeitet hat. So grossflächig zu malen sei eine ziemliche Herausforderung gewesen. «Doch es hat uns sehr viel Spass gemacht», sagen sie. Auf der gegenüberliegenden Wand winden sich zwei riesige schwarze Tausendfüssler um einen Schaukasten. Am Boden kauert Maria Krol, Studierende im Bachelor Fine Arts, und pinselt konzentriert an ihrem Kunstwerk. Die Öffnung des Moduls für alle hat auch sie angelockt. «Ich war mit meiner Kamera auf dem Weg zum Atelier, als ich mitbekam, was hier gerade passiert», sagt sie. «Malen ist eigentlich gar nicht meins, aber hier und jetzt mitzumachen, ist etwas Einmaliges.»
Ein einmaliges Erlebnis war die Modulwoche «Kunst & Wandgestaltung» auch für das Künstlertrio Mickry 3. Die Modulverantwortlichen zeigen sich sehr zufrieden. «Das hier zum Beispiel könnte man direkt ins Museum stellen», sagt Dominique Vigne und zeigt auf eine Wand, auf der collagenartig Auge, Nase und Mund umgeben von abstrakten Malereien abgebildet sind. Eines sei gewiss: «Wir hätten keine so starke Arbeit hingekriegt, hätten sich die Studierenden nicht intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt.»

Könnte man direkt ins Museum stellen: eine Beispielarbeit aus dem Wandgestaltungsmodul an der ZHdK. Foto: Regula Bearth © ZHdK