
Begehrte Zeitzeugen: Renate Menzi sammelt im Auftrag des Museum für Gestaltung Zürich Möbel für die Designsammlung, die sie kuratiert. Die Stücke werden unter anderem in Period Rooms ausgestellt. Foto: Marion Nitsch © Das Ideale Heim
Komm, nimm mich mit
Ob als Vehikel für eine Reise in die Vergangenheit oder als Requisit fürs echte Leben: Möbel aus vergangenen Zeiten können Sehnsucht wecken. In der Designsammlung des Museum für Gestaltung Zürich werden sie als potenzielle Exponate katalogisiert und nach wissenschaftlichen Standards beforscht – doch ihre Akquisition und Vermittlung ist nicht frei von Emotionen, wie Renate Menzi, Kuratorin der Designsammlung, in ihrem Essay darlegt.
VON RENATE MENZI
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Als Kuratorin einer öffentlichen Sammlung stehe ich nicht unter demselben Druck wie ein Privatsammler, der seine Sammlung innerhalb seiner Lebenszeit und mit eigenen finanziellen Mitteln aufbaut. Und doch kenne ich das brennende Gefühl des Habenwollens, das einen etwa bei Auktionen oder an Möbelmessen schlagartig überfällt. Das Konkurrieren mit anderen Bietenden ist nicht angenehm. In solchen Momenten wird das Möbel zum begehrenswerten Objekt, sein Fehlen in der Sammlung als fast schmerzhaft empfunden.
Sich nach Fehlendem sehnen wird erst durch die Ordnung einer Sammlung möglich, das ist das Schicksal aller Sammelnden. Je unerreichbarer beziehungsweise seltener ein Objekt ist, desto grösser die Sehnsucht, es haben zu wollen. Möbelhändlerinnen und -händler wissen genau, wie sie mit diesem Begehren umgehen müssen, schliesslich entscheidet die Intensität der Nachfrage auch über den Verkaufspreis. Doch nicht selten sind diese den Möbeln ebenso verfallen wie ihre Kundinnen und Kunden und selbst süchtig nach bestimmten Namen, Stilepochen oder Materialien. Ich kenne einen Händler, der nur an Personen verkauft, die ihm würdig genug erscheinen, das begehrte Möbel auch zu besitzen.
Trennungsschmerz und Stolz
Die meisten der bedeutenden Möbel der Designsammlung sind Schenkungen. Ihre Übergabe ist jeweils von gemischten Gefühlen begleitet: Der Trennungsschmerz beim Weggeben eines Erinnerungsstücks wird abgelöst vom Stolz, dass der Kleiderschrank der Grossmutter nun ins Museum kommt und damit von öffentlichem Interesse wird. Meist wird dem Objekt noch eine persönliche Geschichte mitgegeben, etwa wie die Familie zum Möbel gekommen, wie und von wem es benutzt worden oder ob es repariert und im Laufe der Zeit verändert worden ist. Viele dieser Möbel tragen Gebrauchsspuren, eine Patina, die den seriell hergestellten Gegenstand individualisiert und auratisiert.
Wenn wir ein wertvolles Stück aus einem Privathaushalt oder von einem Sammler erhalten, bieten wir an, dass es bei uns im Museum besucht werden kann, sollte die Sehnsucht danach zu gross werden. In Ausstellungen und Publikationen nennen wir die Namen unserer Donatorinnen und Donatoren und dokumentieren so die Bindung zwischen Objekt und Person. Manchmal jedoch ist diese Bindung so stark, dass wir gemeinsam mit den Schenkenden einen Vertrag aufsetzen, der sie zur lebenslangen Nutzung des Möbels berechtigt, das sie nach ihrem Tod bei uns gut aufgehoben wissen wollen.
Nostalgie und Habenwollen
Es gibt viele Arten, Möbel zu präsentieren. Museumsbesucherinnen und -besucher lieben die sogenannten Period Rooms mit Möbelensembles, aber auch mit eingebauten Inneneinrichtungen, etwa Wandverkleidungen und Fenstern, seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert. Sie bedienen den touristischen Blick oder nostalgische Sehnsüchte, evozieren eigene oder kollektive Erinnerungen und laden auf eine Zeitreise ein. Das Spiel mit der vermeintlichen Authentizität dieser detailliert ausstaffierten Zimmer, die zuweilen wie Filmkulissen anmuten, wurde aus verschiedenen Gründen kritisiert und doch immer wieder neu erfunden. Der Zeitgeist und die damit verbundenen Lebensstile, aber auch die Haltung und Intention der damaligen Gestalterinnen und Gestalter zeigen sich darin kondensiert wie in einer Momentaufnahme. Für die Betrachtenden können das Wiedererkennen von Exponaten und die dadurch evozierten Geschichten aber auch eine Reise in die eigene Vergangenheit anstossen. So brach etwa eine Besucherin bei einer Führung durchs Schaudepot in Tränen aus, weil sie nach vielen Jahren wieder die Stahlrohrmöbel sah, mit denen sie aufgewachsen war.
Nostalgie als etwas mildere Form der Sehnsucht, als wunschbeladene Hinwendung zu einem Gegenstand aus der Vergangenheit unterscheidet sich vom intensiven Antrieb des Habenwollens. Das anwesende Möbel repräsentiert die «verlorene Zeit», die unwiederbringlichen Momente eines Lebens unmittelbarer und sinnlicher als schriftliche Quellen oder Bilder. Entsprechend möchten viele Besucherinnen und Besucher die ausgestellten Möbel berühren, was leider aus konservatorischen Gründen nicht möglich ist.
Sehnsucht trifft Designgeschichte
Als Kuratorin des Museum für Gestaltung Zürich möchte ich vor allem designhistorische Aspekte, etwa die Entwurfshaltung einer Person oder einer Zeit, vermitteln. Doch stelle ich immer wieder fest, dass Alltagsobjekte aus dem 20. Jahrhundert eine diffuse, allgemeinere Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit wecken. Nach einer überschaubareren Welt, nach Entschleunigung und Dauerhaftigkeit. Und auch dies hat wiederum mit der Gestaltung und der Qualität der Möbel und den Vorstellungen von Wohnen zu tun. Es freut mich, wenn ich erlebe, wie sich persönliche Geschichten in die kollektive Designgeschichte einweben, wenn Designgeschichte vielstimmig wird und etwa bei Führungen oder Workshops gemeinsam mit dem Publikum entsteht. Letztlich beansprucht das Museum keine Deutungshoheit über seine Sammlungsobjekte, sondern stellt sie in immer neuen Konstellationen zur Debatte und fragt sich gleichsam: Wie wird Designgeschichte rekonstruiert?
Museum für Gestaltung Zürich, Ausstellungsstrasse 60, Zürich
Dienstag–Sonntag 10–17 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr
www.museum-gestaltung.ch