
Kunstobjekt und Visitenkarte: Die CD nimmt im digitalen Zeitalter für Musikschaffende neue Rollen ein. Illustration: Chloé Braunschweiger, Pascal Sennhauser
Sie ist erst 36 und sieht glänzend aus, hat aber ihre besten Jahre bereits hinter sich: die Compact Disc, genannt CD. Für Musikschaffende hat sie sich jedoch auch in unserer schnelllebigen, von digitalem Konsum geprägten Zeit einen Wert bewahrt, wie eine Umfrage bei Dozierenden und Studierenden der ZHdK zeigt.
VON LEA DAHINDEN
___
Einst war sie eine Sensation, schickte nach ihrer Markteinführung im Jahr 1982 die Absatzzahlen von Kassetten und Schallplatten in den Keller. Mit ABBAs «The Visitors» startete die weltweit erste industrielle CD-Produktion. Die in Regenbogenfarben schimmernde Scheibe war da, und um sie sollte sich ab sofort alles drehen. Im Nachfeld des Booms Ende der 1990er-Jahre zeigt sich heute aber ein anderes Bild: Der Marktanteil der CD ist international im Sturzflug. Laut dem «Global Music Report 2018» der International Federation of the Phonographic Industry machen Tonträger wie CDs, Kassetten und Schallplatten weltweit gerade noch rund 30 Prozent des Umsatzes der Branche aus. Ein Rückgang von zuletzt 5,4 Prozent pro Jahr. Auch in der Schweiz wird der Markt für Tonträger immer härter, wie der «Creative Economies Report Schweiz» der ZHdK zeigt. Einzig die Vinyltonträger erleben ein Revival und können sich in einem Nischenmarkt positionieren. CD-Geschäfte schliessen, Auto- und Computerhersteller verzichten auf den Einbau entsprechender Laufwerke. Viele Leute besitzen gar keinen Player mehr. Die Plastikhüllen setzen entweder im Keller Staub an oder wurden bereits entsorgt. Mit Streaming ist das Besitzen von Musik obsolet geworden. 170 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer zählt der schwedische Streamingdienst Spotify aktuell und ist damit Marktführer. 75 Millionen Nutzer
bezahlen für ein Abonnement. Wer kein Geld ausgeben will, wählt die Gratisversion mit Werbeunterbrechungen.
Dem kreativen Selbstverständnis Form verleihen
«Die CD wird es auch weiterhin geben», ist Andreas Werner, Leiter der Tonmeisterausbildung Klassik an der ZHdK und international tätiger Aufnahmeleiter, überzeugt. Das Bedürfnis nach Dokumentation sei da und grösser denn je: Werner hat so viele Aufträge wie noch nie. Dazu trägt auch der technische Fortschritt bei, der die Musikproduktion über die Jahre billiger gemacht hat. Waren früher vor allem Labels seine Auftraggeber, sind es heute vermehrt Musikschaffende selbst, die direkt zu ihm kommen. Eine CD-Produktion bis zum fertigen Master kostet zwischen 7000 und 12 000 Franken.
Trotzdem: Wieso hat Werner so viele Interessenten für ein Produkt, das auf dem Markt offenbar gar nicht mehr gefragt ist? Für Andreas Werner gibt eine CD der Musik Wertigkeit. Nimmt eine Künstlerin eine CD bei ihm auf, sind die Ansprüche an das Cover und die Texte im Booklet genauso hoch wie diejenigen an die Tonqualität. Werner erklärt: «Eine CD ohne Booklet gibt es in der klassischen Musik nicht.» Gerade in der Klassik habe die CD mit ihrer Idee des geschlossenen Werkzyklus einen hohen Wert, sie spreche auch in ihrer äusseren Form für das kreative Selbstverständnis des Künstlers.
Das Objekt verbindet mit dem Künstler
Gregor Hilbe, Leiter Jazz und Pop an der ZHdK, mag den Untergang der CD nicht beweinen. Ebenso wenig ist für ihn der aktuelle Trend etwas Ewigwährendes: «Streaming wird überschätzt», sagt er. Die Arten des Musikkonsums würden sich stetig verändern. Er erinnert an die Plattform Myspace, die in den Nullerjahren als das ultimative soziale Netzwerk für die Musikbranche galt, mittlerweile aber längst auf dem absteigenden Ast ist. Gerade weil man eben nie weiss, was sich wie lange halten wird, ermutigt Hilbe seine Studierenden, mit den Formaten zu experimentieren.
Der Familienvater sieht, wie die nächste Generation darauf reagiert. Online schliesst analog nicht aus. Hilbes Töchter, 11 und 14 Jahre alt, stehen auf Vinyl, kaufen sich eine Schallplatte von Rihanna und stellen das Cover im Zimmer auf. Eine Platte oder eben eine CD machen das direkte Musikerlebnis erst möglich. Hilbe erklärt: «Wenn ich Musik höre, will ich mit dem Künstler verbunden sein, und nicht mit einer Firma wie Spotify.» Offline geht das am besten. Das beginnt mit dem Auspacken der Disc, dem Einschieben in den Player, dem ersten Knopfdruck – alles Schritte, die man im Online-Zeitalter gar nicht mehr kennt.
Internet als Chance
Sollen die jungen Musikschaffenden überhaupt noch CDs produzieren? Jazzmusiker und ZHdK-Musikpädagogikstudent Valentin Liechti wurde von seinem Label dazu ermutigt. «Ich kann nun eine CD vorzeigen, aber alle fragen mich nach einem Link», meint er etwas ratlos. Er selbst hat keinen CD-Player zu Hause, konsumiert Musik meist via Streaming. Liechti stört nicht, dass die Tonträgerverkäufe rückläufig sind. Ihn stört, dass die Urheberinnen und Urheber kaum vom Streamingsystem profitieren.
Der Romand fand sich in der Zürcher Musikszene schnell zurecht und hat sich mit dem siebenköpfigen Kollektiv Gamut, bestehend aus ZHdK-Alumni, angefreundet. Mit «Molecules» haben sie 2018 eine CD in einer limitierten Auflage von 300 Stück herausgegeben. «Wir wollten eine CD machen, die so schön ist, dass man sie ins Bücherregal stellt», erklärt Kollektivmitglied Xaver Rüegg ihre Motivation. Zusammen mit Vojko Huter bildet er auch die Hälfte des Jazzensembles District Five. Als sie 2017 den ZKB-Jazzpreis gewannen, bot sich ihnen die Möglichkeit, ein Album aufzunehmen. Oft sind es Auszeichnungen, die Geld und damit den Anstoss für eine CD-Produktion liefern. 1233 Exemplare wurden in der Erstpressung des Albums «Decoy» produziert. Gitarrist Huter ist kein Freund von Streaming: «Wir haben in der Band sogar diskutiert, ob wir da überhaupt mitmachen wollen», sagt der 26-Jährige, der selbst ausschliesslich Platten kauft. Aber schliesslich hätten sie sich dem Markt angepasst. Xaver Rüegg kann dem Internet dennoch etwas Positives abgewinnen: Noch nie war es einfacher, die eigene Musik auf der ganzen Welt zu verbreiten. «Was Qualität hat, erreicht Leute», ist sich der Bassist sicher.
Kunstobjekt und Visitenkarte
Ein weiterer Aspekt ist die Bühnenpräsenz: Wer von der Musik leben will, muss Konzerte spielen, idealerweise im In- und im Ausland. «Mit einer CD ist die Promotionsarbeit leichter», weiss Beda Mächler. Zusammen mit Linus Gmünder und Andreas Achermann bildet er die Indie Pop Band Soybomb. Seit Ende März 2018 leben die drei in Berlin und haben dort ihr erstes Album fertiggestellt. Auftritte sind wichtig, da sich in deren Rahmen am meisten Tonträger verkaufen lassen. Bei Auflagen von 500 Exemplaren nehmen sich die Erträge aber bescheiden aus. Liechti, Rüegg, Huter, Mächler und Hilbe sind sich einig: Wenn schon ein physischer Tonträger, dann einer, der sich sehen lassen kann. Design und Texte müssen Qualität haben. So erhält die CD im besten Fall ein zweites Leben als Kunstobjekt, das man im Wohnzimmer prominent platziert. Oder sie verkommt zur Visitenkarte, die man herumreicht und einsteckt – eher in die Tasche als in den CD-Player.