Im Rausch der Bühne

Von der Tanz Akademie Zürich auf die grossen Bühnen der Welt: Tänzerin Aram Hasler lebt ihren Traum. Bild © Rahi Rezvani, Nederlands Dans Theater

Wenn es um neue Trends und Kreationen geht, schaut die Tanzwelt auf das Nederlands Dans Theater. Die zeitgenössische Compagnie aus Holland setzt Massstäbe in tänzerischer Qualität und Innovation und stellt höchste Ansprüche an ihre Mitglieder. Zu diesen gehört auch die 29-jährige Aram Hasler, Absolventin der Tanz Akademie Zürich der ZHdK. Ein Porträt.

VON JUDITH HUNGER

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2009 – Galavorstellung der Tanz Akademie Zürich im Schauspielhaus. Aram Hasler tanzt das «Erdbeeri Mareili», ein kurzes Solo zu Musik von Vivaldi, choreografiert von Birgit Scherzer. «Vivaldi – vertanzt als Solo? Interpretiert von einer 16-Jährigen? Ob sie es schafft, der Musik gerecht zu werden …?», fragt sich das Publikum. Was dann in den folgenden Minuten auf der Bühne geschieht, ist überwältigend. Kaum ist die letzte Note verhallt, schiessen die Zuschauer aus ihren Sitzen – Begeisterung pur!

«Das Mädchen hat eine Gottesgabe!» So beschrieben Lehrerinnen Aram bereits als Fünfjährige. Und das sieht Steffi Scherzer, künstlerische Leiterin der Tanz Akademie Zürich, ähnlich: «Aram ist zum Tanzen geboren, sie spürt und lebt die Musik, hat eine natürliche Grazie», erinnert sie sich an ihre ehemalige Schülerin. Lobeshymnen, wo man hinhört. Und damit nicht genug: Aram spielt seit ihrer Jugend Geige und ist Trägerin des schwarzen Gurtes in Karate. Hat diese Senkrechtstarterin auch eine dunkle Seite? Lachend erzählt sie über sich als Dickkopf, der sich auch leidenschaftlich etwas oder jemandem verweigern kann. Einem Gastlehrer, beispielsweise, dessen Unterricht sie nicht überzeugte. Weshalb sie auch schon ins Direktorenbüro der früheren Tanzschule zitiert worden ist.

Per aspera ad astra

Ihre Lehrjahre in Zürich waren äusserst anspruchsvoll – gefordert und herausgefordert habe man sie, erzählt Aram. Die Früchte dieser harten Arbeit zahlen sich aber aus, als sie sich eines der begehrtesten Engagements in der Szene ertanzt – beim Nederlands Dans Theater. Erst tanzt sie in der Juniorcompagnie NDT 2, der Talentschmiede für Tänzerinnen und Tänzer zwischen 17 und 22 Jahren. Seit 2011 ist sie Mitglied des NDT 1. Über Technik spricht hier niemand mehr, sie wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Ausdruck ist gefragt, Interpretation, Verve. Genau das, wonach Aram nach der streng strukturierten Ausbildung sucht.

Die Landung in der Berufswelt war für die junge Zürcherin trotzdem alles andere als sanft. Zunehmend wird Autorenschaft verlangt, ein Anspruch, an den man sich zuerst gewöhnen müsse, meint sie. «Mach was draus!», so eine typische Anweisung eines Choreografen an die Tänzerin, nachdem die grundlegenden Schrittfolgen zur Musik erarbeitet worden sind. Eine zusätzliche Anforderung, die Kreativität, Fantasie und Freude an der Improvisation voraussetzt. Alleine in einer Ecke des Studios versuche sie dieser gerecht zu werden, die Handschrift der Choreografin immer vor Augen. «Wird es gefallen? Bin ich auf der richtigen Spur?» Höchst anspruchsvoll sei dies und höchst befriedigend. Wenn die Magie einer genialen Vorstellung sich zum Rausch entwickelt, «wenn ein Choreograf es schafft, mich dahin zu führen, wo Bewegung, Musik, Emotion, Zeit und Raum eins werden. Dann verausgabe ich mich derart – bin zu dreihundert Prozent dabei –, dass ich mich nach der Vorstellung fast übergeben muss.»

 

Strategien für Körper und Geist

Arams Instrument ist ihr Körper. Um dem permanenten körperlichen und mentalen Druck standhalten zu können, entwickelt jeder Tänzer in einem langen Lern- und Leidensprozess eigene Strategien. «Einen Personal Trainer zu konsultieren ist der neueste Trend», erklärt Aram. So ein «Bootcamp für Tänzerinnen» mache durchaus Sinn. Denn Choreografen wie Ohad Naharin, Hofesh Shechter oder Crystal Pite verlangten eine Art von Körperlichkeit, die kaum ein Tanztraining abdecke, unabhängig von dessen stilistischer Ausrichtung. Sie absolviere vor jedem Training, vor jeder Vorstellung zusätzlich spezielle Übungen, die ihre Gelenke aufwärmten und die Muskeln kräftigten, erzählt Aram. Offen sein für alle möglichen Bewegungssprachen ist ihr Credo, Vielseitigkeit ein Wort, das sie oft braucht.

Inseln der Ruhe, Visionen der Zukunft

Wenn Aram nicht auf Tournee ist, startet ihr Tag mit einer einstündigen Zugfahrt von Amsterdam, wo sie wohnt, nach Den Haag, wo die Compagnie zu Hause ist. Sie nutzt die Zeit im Zug, um zur Ruhe zu kommen und zu lesen. Ablenkung vom Tanz findet sie auch beim Filmeschauen – im Kino oder auf Netflix.

Und wo sieht sie sich in zehn Jahren? Das wisse sie nicht, antwortet Aram. Eines aber könne sie mit Bestimmtheit sagen: «Um nichts in der Welt würde ich meinen Beruf gegen einen anderen eintauschen.» Per aspera ad astra – quod erat demonstrandum!

Judith Hunger (judith.hunger@zhdk.ch) ist Kommunikationsverantwortliche im Departement Darstellende Künste und Film der ZHdK.

 

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