
Fotograf Oliviero Toscani und Game-Designerin Philomena Schwab mit ihren Auszeichnungen. Foto: Johannes Dietschi © ZHdK
Was die «Companions ZHdK» Philomena Schwab und Oliviero Toscani zu sagen haben
Eine Studentin, die es sich einfach machen wollte, und ein italienischer Kunstgewerbeschule-Aspirant, der in Zürich nur Bahnhof verstand: Das waren Philomena Schwab und Oliviero Toscani einst. Ihr Weg führte sie an die Weltspitze von Game Design und Fotografie. Für ihre Verdienste wurden die beiden Alumni nun mit den Ehrentiteln «Companion ZHdK» und «Honorary Companion ZHdK» ausgezeichnet. Es trennt sie ein halbes Jahrhundert, es verbindet sie der Glaube, dass Kunst und Design die Welt verbessern.
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Jörg Scheller: Ihr habt beide an der Zürcher Hochschule der Künste studiert – was waren eure prägenden Erfahrungen an der Hochschule im Hinblick auf eure berufliche Laufbahn?
Philomena Schwab: Am stärksten haben mich meine Mitstudierenden geprägt. Das meiste habe ich von ihnen gelernt. Sie waren alle so entschlossen, hatten klare Visionen. Ich dagegen war zu Beginn des Studiums eher bequem – ich tat gerade mal so viel wie nötig –, aber als ich merkte, wie sehr sich meine Mitstudierenden ihren Projekten verschrieben, konkretisierten sich auch in mir höhere Ziele.
«Eine gute Lehrerin war mir auch die Schweizer Mentalität mit ihrer Suche nach Perfektion. Natürlich war nie etwas perfekt! Das war mir ein grosser Antrieb.» Oliviero Toscani
Oliviero Toscani: Bei mir war es der Zeitgeist. Ich studierte in den frühen 1960er-Jahren, die von den Beatles, den Rolling Stones, von Muhammad Ali und Bob Dylan geprägt waren. Wir waren eine Generation, die sagte: Trau keinem über dreissig – heute würde man wohl dasselbe über die unter Siebzigjährigen sagen. Es war eine unglaubliche Zeit. Energie und Mut lagen in der Luft. Wir hatten keine Angst davor, Angst zu haben. Meine Freundinnen und Freunde waren meine besten Lehrerinnen und Lehrer … und auch die Schweizer Mentalität mit ihrer Suche nach Perfektion. Natürlich war nie etwas perfekt! Doch dies wiederum war ein grosser Antrieb, etwas noch besser machen zu wollen.
Jörg Scheller: Was zeichnet die ideale Kunsthochschule der Zukunft aus?
Philomena Schwab: Was ich an der ZHdK schätze, ist, dass sie einem eine Richtung vorgibt und Raum für gemeinsames Arbeiten anbietet, aber auch freie Zeit dafür einräumt, zu tun, was man will. Niemand nimmt dich an der Hand und führt dich von A nach C. Wir Game-Designerinnen müssen fähig sein, neue Programme sehr schnell zu lernen. Die Dozierenden führten uns vielleicht 20 Minuten ein, und dann eigneten wir uns die Materie gemeinsam an. Ich mochte dieses eigeninitiative Lernen mit Mentorinnen und Mentoren sehr. Das scheint mir schon ein grosser Schritt in Richtung einer Kunsthochschule der Zukunft zu sein.
«Niemand nimmt dich an der Hand und führt dich von A nach C.» Philomena Schwab
Oliviero Toscani: John Adams, einer der frühen US-Präsidenten und Gründerväter der Vereinigten Staaten, sagte sinngemäss: «Ich studiere Kampfkunst und Militärstrategie, damit mein Sohn Ingenieurwissenschaften, Geografie und Wirtschaft studieren kann. Seine Kinder sollen dadurch die Freiheit erhalten, zur Schule zu gehen, um Kunst zu studieren.» Ich denke, jeder technologischen oder wirtschaftlichen Ausbildung sollte ein Studium der Kunst vorangehen, ein Vorkurs zum Beispiel. Besonders bei Ausbildungen und Berufen, die sich ums Geld drehen, sollten die Studierenden erst lernen, die menschliche Natur zu verstehen. So könnten viele Probleme vermieden werden. Also: Studiert Kunst! Alle sollten Künstlerinnen und Künstler sein. Diese Hochschule ist eigentlich viel zu klein!
Jörg Scheller: Wenn man die Disziplinen Fotografie und Game Design vergleicht, fällt auf: Beide hatten in ihren Anfängen Mühe, als Kunst anerkannt zu werden. Was hat den Wandel herbeigeführt?
Philomena Schwab: Es sind Momente wie diese Ehrentitelverleihung, in denen ein breites Publikum das neue Medium zur Kenntnis nimmt und ihm Anerkennung zollt. Jede Auszeichnung eines Schweizer Game-Designers ist ein Schritt in diese Richtung. Aber es ist und bleibt ein harter Weg.
Oliviero Toscani: Ich finde, Fotografie ist mehr als Kunst. Erst seit es Fotografie gibt, kennen wir die menschliche Geschichte, ihre Bedingungen. Zuvor wurden diese zwar beschrieben – aber wahrscheinlich stehen sogar in der Bibel Fake News. Religionen sind Fiktionen, Erzählungen. Mit der Fotografie wurde alles viel präziser. Wir kennen das menschliche Verhalten, weil es die Fotografie gibt. Hätte es Kameras gegeben während der Kreuzzüge oder Napoleons Feldzügen, wären dem französischen Feldherren nicht so viele Monumente gewidmet, denn die Fotos hätten dokumentiert, was er getan hat. Fotografie ist die historische menschliche Erinnerung. 95 Prozent der Dinge, die wir heute wissen, wissen wir, weil wir Bilder davon gesehen haben. Deshalb hat ein Fotograf/eine Fotografin eine grosse Verantwortung, denn er/sie dokumentiert Geschichte.
«Games eröffnen die Möglichkeit, das Spielen neu zu entdecken und dadurch etwas zu lernen.» Philomena Schwab
Philomena Schwab: Das Spielen liegt in der Natur des Menschen. Es ist nicht etwas, was Kindern vorbehalten sein sollte. Games eröffnen die Möglichkeit, das Spielen neu zu entdecken und dadurch etwas zu lernen. Deshalb designe ich gerne Games mit einem edukativen Aspekt.
Jörg Scheller: Sollen Künstlerinnen und Designer eine aktive Rolle im öffentlichen, politischen und sozialen Leben spielen?
Philomena Schwab: Künstler sind im öffentlichen, politischen und kulturellen Leben sehr wichtig, weil sie eine andere Sichtweise einbringen können. Ich gebe Oliviero recht: Alle sollten den Vorkurs besuchen! Auch wenn ich dort Sachen lernte, die ich nie mehr anwenden werde, hat der Vorkurs meine Weltanschauung stark verändert und mir andere, neue Denkmuster aufgezeigt. Davon profitiere ich noch heute.
«Fotografie ist die historische menschliche Erinnerung. 95 Prozent der Dinge, die wir heute wissen, wissen wir, weil wir Bilder davon gesehen haben.» Oliviero Toscani
Oliviero Toscani: Künstlerinnen und Künstler sollten sich nicht am Markt oder am Marketing orientieren. Die Kunst, die sie schaffen, sollte nicht von jenen abhängig sein, die Geld haben. Ein Künstler ist seiner eigenen Moral, Ästhetik und Ethik verpflichtet. Er muss den Mut haben, sich vom eigenen Gefühl und von eigenen Visionen leiten zu lassen. Künstlerinnen und Künstler nehmen mit ihrem Schaffen automatisch Einfluss auf die Gesellschaft und auf das öffentliche Leben. Dafür tragen sie Verantwortung.
Zur Medienmitteilung
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Zett-Videobeitrag zu Philomena Schwab