
Erforscht Chemie und Kunst der Düfte: Riechstoffchemiker Philip Kraft. Foto: Sandra Stamm © Philip Kraft
Die Kunst der Parfümerie ist technisch anspruchsvoll, wurde aber von der Kunsttheorie lange Zeit ignoriert. Dabei sind ihre Ausdrucksmöglichkeiten nahezu unbegrenzt. Ein Interview mit dem Riechstoffchemiker Philip Kraft.
VON JÖRG SCHELLER
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Jörg Scheller: Für manche ist Parfüm eine eher triviale Angelegenheit: Mode, Celebrities, Shopping … Bei genauerer Betrachtung erweist es sich jedoch als überraschend komplexes Phänomen. Wie kamen Sie zum Parfüm, und was fasziniert Sie daran?
Philip Kraft: Ich kam über die Chemie, und zwar ziemlich pubertär. Mit elf Jahren interessierte ich mich dafür, was Hormone sind, kaufte mir Karlsons «Biochemie» … und verstand nichts, weil mir die chemischen Grundlagen fehlten. Das nervte mich, und nach und nach kaufte ich weitere Chemielehrbücher, sodass ich als kleiner Punk in einer Hamburger Universitätsbuchhandlung irgendwann der Verkäuferin auffiel, die mir dann ein Probeabonnement von «Liebigs Annalen» schenkte. In diesen fand ich einen Artikel zum Design von Riechstoffen, der mich faszinierte, weil er mir die kreativen Dimensionen einer mir neuen Kommunikationswelt eröffnete.
Nicht gerade alltäglich, dass sich pubertierende Punks für die Chemie der Riechstoffe interessieren! Wie ging es weiter?
Ich schrieb die Riechstofffirma an, die die Verbindungen ausgewertet hatte, wurde eingeladen, erhielt Zugang zu Duftbausteinen und Kontakt mit Parfümeuren, brachte mir das Komponieren von Parfüms aber autodidaktisch bei. In der Folge entschied ich mich für ein Chemiestudium, und heute bin ich Riechstoffchemiker. Die Faszination, neue Düfte durch chemisches Design sowie parfümistische Komposition zu erdenken und zu entdecken, hält mich bis heute in ihrem Bann. Mich begeistern die Ausdrucksmöglichkeiten, die der Geruchssinn eröffnet. Bei 391 funktionalen Riechrezeptoren ergeben sich 5 043 456 793 138 493 339 171 717 132 818 382 567 050 206 626 619 577 173 497 381 555 743 452 386 751 642 958 261 026 080 625 269 202 023 248 382 759 272 448 Kombinationen, was den visuellen Farbraum von 370 bis 680 Nanometern oder den akustischen Hörbereich von 20 bis 20 000 Hertz geradezu mickrig anmuten lässt. Kein Molekül duftet wie ein anderes!
In der Kunstwissenschaft bilden Parfüms bislang eine Marginalie. Das überrascht, experimentiert doch insbesondere die Gegenwartskunst auch mit Düften und Gerüchen. Zeigt sich hier die überholte Privilegierung des Visuellen?
Viel hat wohl mit der irrigen Annahme von Plato, Kant und Hegel bis hin zu Santayana und Scruton zu tun, der visuelle und der akustische Sinn seien die einzigen «theoretischen Sinne». Das Unverständnis dieser Philosophen führte letztlich dazu, dass wir uns im Schulunterricht mit Kunst und Musik, aber nicht mit Parfümerie beschäftigen. Nur weil das Universum der Düfte und auch die Chemie zu komplex für das klassische philosophische Verständnis waren, blieb die Kunst der Parfümerie einer erschreckend grossen Anzahl Menschen so unzugänglich. Hinzu kam, dass Parfümeure ihr Wissen gerne geheim hielten. Heute kann man aber über das Internet fast alle Duftbausteine bestellen, wodurch auch die olfaktorische Dimension künstlerischen Ausdrucks breit erschlossen ist. Leider fristen Düfte an Kunsthochschulen aber immer noch ein elendes Dasein, und entsprechend fehlt die technische Beherrschung des Mediums – ein Teufelskreis.
In Ihrer wissenschaftlichen Forschung spezialisieren Sie sich auf Odorant Design. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff, und wie verhält sich Odorant Design zu Olfactory Art, also zur Duftkunst?
In meiner wissenschaftlichen Forschung geht es um die gezielte Synthese eines Duftes über das Modellieren eines Moleküls: die Architektur der Düfte sozusagen. Es geht um die Technik, wie ein Molekül massgeschneidert werden muss, damit es so riecht, wie es riechen soll. Düfte können aber durch das Kombinieren von Molekülfragmenten oder Duftbausteinen erzeugt werden. Somit kann beides zu Olfactory Art werden, wenn es bewegt und inspiriert. Das Funktionale des Odorant Design ist eine notwendige Vorstufe, Yves Kleins IKB 191 etwa existierte natürlich physikalisch schon vor dem Künstler, während jeder Duft erst materiell realisiert werden muss. Odorant Design erzeugt funktional die Elemente für Olfactory Art. Auf der nächsten Stufe kann es dann aber auch selber ästhetische Gefühle vermitteln, die individuelle Botschaften transportieren, dann wird es zu Olfactory Art: Kunst ist das, was wir als solche akzeptieren.
Parfüm hat auch eine subversive Dimension. Es fügt sich nicht in die traditionellen Gattungen der Künste, manipuliert die Wahrnehmung auf teils unterschwellige Weise, besetzt gleichsam ganze Räume. Besteht hier eine Verbindung zum Punk?
Ich denke nicht. Die Botschaft der Punkbewegung war ja, dass jeder alles machen kann. Man ging also raus und tat es einfach. Also von daher spielt auch keine Rolle, was die Kunsttheorie oder Kant sagen. Der britische Boutiquebetreiber Malcolm McLaren wollte eigentlich nur zwei Kids davon abbringen, Klamotten aus seinem Laden zu klauen – so entstanden die Sex Pistols. Dennoch war das Ergebnis eine enorme kreative Befreiung, ob die nun subversiv genutzt wurde oder nicht, war nur eine Angelegenheit des Herzens. Weder Punk noch die Parfümerie wollen manipulieren, sie wollen höchstens verführen. Und man verführt am besten, wenn man «echt» ist. Duft ist immer «echt». Molekulare Wirklichkeit!
Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Industrie sprechen über ihre Produkte, Projekte und Theorien.
Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
8.–10. November 2018
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