«Machtungleichheiten sind zäh wie Kaugummi»

Christine Weidmann (schwarz gekleidet), ehemalige Gleichstelllungsbeauftragte der ZHdK, und ihre Nachfolgerin Patricia Felber. Fotos: Regula Bearth © ZHdK

Nach 17 Jahren als Gleichstellungsbeauftragte an der ZHdK geht Christine Weidmann in Pension. Andrea Zeller sprach mit ihr und ihrer Nachfolgerin Patricia Felber über traditionelle Rollenmodelle, aktive Rekrutierung und darüber, wie eine Kindertagesstätte auf das Toni-Dach kam.

VON ANDREA ZELLER
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Andrea Zeller: Christine Weidmann, du bist 2001 an der HGKZ als Gleichstellungsbeauftrage gestartet. Welche Themen brannten?
Christine Weidmann: Die Fachstelle wurde im Rahmen des Bundesprogramms für Chancengleichheit an Fachhochschulen geschaffen. Der ursprüngliche Fokus lag auf der Gleichstellung von Mann und Frau. Zusammen mit Gleichstellungsbeauftragten der PHZH, der ZHAW und der HWZ bauten wir in Kommissionen Reglemente gegen Diskriminierung, für Diversity und Nachwuchsförderung auf. Ich führte auch viele Beratungen durch.

Wie habt ihr die Reglemente umgesetzt?
CW: Wir haben beispielsweise Mentoringprogramme aufgebaut, die den Mittelbau fördern und Frauen in Führungspositionen unterstützen. Ich konnte zudem in den Findungskommissionen bei der Personalsuche Einsitz nehmen und dort für Chancengleichheit sensibilisieren.

Trotzdem ist nur eine Frau Direktorin eines Departements.
CW: Leider ja. Doch mittlerweile verfügen wir über Erfahrung, wie erfolgreiche Frauen zu gewinnen sind. Im Zentrum steht die aktive Personalsuche. Bei der Rekrutierung wartet man nicht auf gute Bewerbungen von Frauen, sondern aktiviert Netzwerke, Vermittlungsagenturen und persönliche Kontakte.

Worauf bist du besonders stolz?
CW: Ich merkte schnell, dass wir an der ZHdK Kinderbetreuung anbieten müssen. Ich organisierte also einige Plätze in einer Zürcher Kita. Als die Planung für das Toni-Areal anlief, fiel mir bei einer Orientierungsveranstaltung auf, dass wegen Platzmangels keine Kita angedacht war. Ich nahm die rudimentären Pläne mit nach Hause und schaute sie mit meinem Mann, einem Architekten, an. Bei der nächsten Orientierung ging ich auf die Architekten des Toni-Areals zu, sprach sie auf die fehlende Kita an und schlug vor, diese auf dem Dach zu platzieren. So kam es zur Kita Dachspatzen. Ich bin stolz darauf, dass ich mich dafür eingesetzt habe und dass die ZHdK ihre Angehörigen dabei unterstützt, Arbeit, Studium und Familie miteinander zu vereinbaren. Die Kinder können im spannenden Kunstumfeld viel erleben.

Wie hat sich das gesellschaftliche Klima in den letzten 17 Jahren verändert?
Patricia Felber: Es ist sehr viel passiert im Bereich Gleichstellung. Heute wird nicht mehr diskutiert, ob Frauen überhaupt in Führungspositionen gehören, und dass Männer Pensen für mehr Familienzeit reduzieren, ist kein Einzelfall mehr. Diskriminierung gibt es in meiner Wahrnehmung aber nach wie vor, sie ist einfach subtiler. Oft hängt sie damit zusammen, dass Stereotype tief verankert und bestehende Netzwerke schwer aufzubrechen sind. Da helfen Reglemente und Quoten nur bedingt.
CW: Die Veränderung muss in den Köpfen und im Bauch passieren. Ich denke, dass die Gesellschaft allgemein sensibler geworden ist für Genderthemen und deren Wichtigkeit. Ein aktuelles Beispiel ist das Reglement für Transmenschen an der ZHdK; dieses Thema wäre früher bestenfalls unter Chancengleichheit diskutiert worden, heute hat es einen eigenen Stellenwert.

Ist Gleichstellung in der Schweiz anders als im Ausland?
PF: Das Modell des Manns als Alleinernährer ist bei uns sicher stärker verankert als in anderen Ländern. Einerseits hat dies historische Gründe: In anderen Ländern waren Frauen während und nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Arbeitskräfte. Dem war in der Schweiz, die weitgehend vom Krieg verschont blieb, nicht so. Andererseits sind die Löhne hier sehr hoch, deshalb können es sich Familien leisten, dass nur eine Person arbeiten geht. Das traditionelle Rollenmodell wird auch in Werbung und Medien nach wie vor propagiert und scheint in den Köpfen stark verankert. Ein Beispiel ist die Namenswahl: Der Grossteil der Frauen nimmt bei der Heirat den Namen des Partners an, obwohl sie dies nicht mehr müssten.
CW: Bei Beratungen junger Mütter war es mir immer ein grosses Anliegen, aufzuzeigen, dass die Berufstätigkeit oder das Studium wegen Mutterschaft nicht lange unterbrochen werden müssen, wenn überhaupt. Es ist sehr schwierig, nach einer längeren Auszeit den Einstieg wieder zu finden. Und gerade wenn Beziehungen auseinandergehen, kann das fehlende Einkommen Frauen in eine prekäre Lage bringen.

Was können wir diesbezüglich vom Ausland lernen?
PF: Im Trinity College in Dublin besteht der Bereich Gender & Diversity aus zwanzig Mitarbeitenden, von denen nur eine Person für Gleichstellung von Mann und Frau zuständig ist. Andere Bereiche wie Gender, Behinderung oder Sprache haben einen hohen Stellenwert. An der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist der Bereich Care breiter abgedeckt – wie können Mitarbeitende unterstützt werden, die sich um ein krankes Familienmitglied kümmern müssen? Die Themen in einer Institution sind letztlich aber immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Herausforderungen des jeweiligen Landes und können nicht eins zu eins übernommen werden.

Welche Ungleichheit würdet ihr aufheben, wenn ihr könntet?
CW: Die Machtungleichheiten zwischen Frauen- und Männerwelten. Sie sind so zäh wie Kaugummi auf dem Boden, der einfach nicht ganz abgekratzt werden kann.
PF: Dass Frauen immer noch nach Frisur, Stimmlage oder Schuhgeschmack beurteilt werden und erst im zweiten Anlauf aufgrund der beruflichen Qualifikationen und geleisteten Arbeit. Ich wünsche mir auch, dass sich Frauen mehr zutrauen und ihren Anspruch auf Führungspositionen und gleichen Lohn geltend machen.

Christine Weidmann startete 2001 bei der ehemaligen HGKZ als Gleichstellungsbeauftrage und führte 17 Jahre lang die Fachstelle Gleichstellung & Diversity. Sie wurde im Frühling 2018 pensioniert.
Patricia Felber (patricia.felber@zhdk.ch), promovierte Geografin, ist seit Frühling 2018 Leiterin der Fachstelle Gleichstellung & Diversity an der ZHdK. Davor war sie als Gleichstellungskoordinatorin an der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Bern tätig und entwickelte Gleichstellungspläne für verschiedene Fakultäten dieser Hochschule.
Andrea Zeller war seinerzeit sehr froh über die gute Kinderbetreuung auf der Toni-Dachterrasse. Sie war Projektleiterin in der Hochschulkommunikation der ZHdK.
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