… und ewig lockt die Werkstatt

Damit die Arbeit gelingt, muss alles optimal zusammenspielen: Studentin bei einer filigranen Hartlötarbeit in der Goldschmiedewerkstatt der ZHdK. Foto: Regula Bearth.

An der ZHdK gehören digitale Verfahren wie 3D-Druck längst zum Studienalltag – doch die Studierenden schätzen auch traditionelles Handwerk. Dies passt zum Zeitgeist, denn Do-it-yourself und Upcycling liegen im Trend, wie PETER TRUNIGER und STEFAN WETTSTEIN meinen.

Die Werkstätten der ZHdK scheinen einen Lockstoff zu verströmen. Dieser ruft Studierende in Scharen an die Werkbänke und Maschinen. Sie erkunden und bearbeiten Textilien, gestalten mit Ton, Metall und Holz. Die Digital Natives zeigen Interesse am Handwerk. Die Erfahrung, Dinge von Hand herzustellen, bleibt auch in Zeiten des Digital Manufacturing attraktiv. Einen Gegenstand zu kreieren macht Freude und vermittelt Zufriedenheit: Es ist mein Werk!

Mit der Herstellung von Werkzeugen verschafften sich bereits unsere Vorfahren im Überlebenskampf Vorteile. Geschicktes Hantieren unterstützte in der Evolution die Sprach- und die Hirnentwicklung, wie im 2005 veröffentlichten Sammelband «Die Hand – Werkzeug des Geistes» nachzulesen ist. Heute machen Neurologen mittels bildgebender Verfahren sichtbar, wie sich die Vernetzung von Neuronen in bestimmten Hirnregionen verdichtet, etwa bei Musikerinnen, die ihre Feinmotorik spezifisch trainieren. Unser Gehirn ist demnach handwerkaffin.

Wird Handwerk überflüssig?

Angesichts technologischer Innovationen mit Etiketten wie «Industrie 4.0» oder «digitale Fertigung» stellt sich die Frage nach der Bedeutung handwerklichen Könnens neu. Ein Handwerk bis zur Meisterschaft auszubilden, bedarf eines langjährigen Trainings. Doch immer öfter ersetzen lernfähige Schaltkreise und digitale Steuerungen feinmotorische Handarbeit. Was aber passiert, wenn Fingerfertigkeit und Hand-Hirn-Schnittstellen vorwiegend für das Bedienen von Tastaturen und Joysticks benutzt werden? Wie wirkt sich softwaregestütztes Entwerfen auf den Duktus von Grafikern, Architektinnen und Schriftenmalern aus? Wie verändert sich die Feinmotorik durch computergestützte Produktionsweisen wie 3D-Druck und Roboterfertigung? Was passiert mit unserem Hirn, wenn wir digitalen Helfern die Befehle nur noch mündlich erteilen?

Aus pädagogischer Sicht interessiert besonders das Verhältnis zwischen Hand- und Kopfwerker: Wann und wie weit sollen handwerkliche Fähigkeiten gefördert werden? Derzeit werden Lehrmittel entwickelt, die designorientiertes und künstlerisches Handeln trainieren und gleichzeitig neue technische Mittel nutzen. Bereits heute fliessen in schulischen Herstellungsprozessen analoge und digitale Verfahren ineinander: Die «wissende Hand», um einen Begriff des Historikers Rainer S. Elkar aufzunehmen , wird von künstlicher Intelligenz unterstützt. In den Lehrplänen erhalten entsprechende Fertigkeiten einen grösseren Stellenwert. Wer mit handwerklichen Materialien experimentiert und dabei erlebt, was durch Geschick erzeugt werden kann, gewinnt Selbstvertrauen. Do-it-yourself und Upcycling, also die Aufwertung von Abfallprodukten in neuartige Produkte, werden in einer Welt schwindender Ressourcen wichtiger. Selbermachen liegt im Trend.

Handwerk fühlt sich gut an

Neben der Stimulierung des Hirns, dem Autonomiegewinn und dem Plus für die Nachhaltigkeit spricht auch das erwähnte Hochgefühl für das Handwerk. Die Ausbildung einer differenzierten Fingerfertigkeit ist aufwendig. Doch das Gehirn belohnt dies: Wenn der Strich sicherer wird, sich ein charakteristischer Duktus entwickelt, die Holzverbindung eleganter und robuster und ein Ausdruckswille erkennbar wird, erleben wir durch die Ausschüttung von Endorphinen im limbischen System Gefühle der Zufriedenheit. Die Motivation wächst, mehr Zeit zu investieren, um Expertenstatus zu erreichen. Ein Mehr an Glücksmomenten ist garantiert.

Peter Truniger (peter.truniger@zhdk.ch) ist Leiter des Studiengangs Bachelor Art Education und Freizeitschlagwerker. Er achtet mit zukunftsgerichtetem Blick auf das handwerkliche Erbe und interessiert sich für psychologische Aspekte gestalterischen Handelns.
Stefan Wettstein (stefan.wettstein@zhdk.ch) ist Silberschmied und Schmuckdesigner sowie Dozent im Bachelor Art Education. Er war verantwortlich für die Planung der Werkstätten im Toni-Areal. Aktuell betreut er die Erarbeitung eines Lehrmittels für textiles und technisches Gestalten für die Sekundarstufe I. 
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