Ein Lieblingsstück
VON VALÉRIE HUG
___
«Eingebildete Kuh», «konsumgeile Göre», «Schlappschwanz», «Schnösel», «Egoist». Schaut man sich die Plakate der MTV-Kampagne an, fühlt man sich just in diese Zeit zurückversetzt: in die westdeutschen 90er, eine Zeit mühelosen Wohlstands und spätrepublikanischer Dekadenz. Bezeichnend für diese Zeit war ein ganz spezieller Typ des Herumhängers – der «Slacker». Jugendliche, die nicht viel mehr zu tun hatten, als lässige Klamotten zu tragen, coole Musik zu hören und dabei unangestrengt zu wirken. Kids, die sich nicht wirklich für Politik interessierten, dafür umso mehr für Partys und Drogen. Der Fotograf Daniel Josefsohn lieferte uns mit seinen Schwarz-Weiss-Plakaten eine ganze Spanne solcher Slacker.
Gekrönt wurde die Serie von einem bis heute bekannten Motiv: dem «Miststück», einem leicht bekleideten, lasziv schauenden Mädchen mit Schmollmund, mit dem er die weiblichen Antipoden des Slackers, die Girlies und Bitches, auf eine einprägsame Formel reduzierte und so ein Motiv schuf, das genauso aussagekräftig war wie Jürgen Tellers Foto des nackten, rauchenden Supermodels Kristen McMenamy. Die Bilder sind stilprägend für die Jugend eines ganzen Jahrzehnts, das «Miststück» wurde zur Ikone. Überhaupt stellt Josefsohn die Popkultur oft ironisch, sexualisiert, ungeschminkt und im Kontext kritischer Themen dar. Greift er die Gesellschaft an? Macht er sich über sie lustig? Daniel Josefsohn sagte im «art»-Magazin einmal: «Sollte es Tabus in der Kunst geben? Ich glaube nicht! Dafür ist die Kunst doch da. Wo gibt es denn sonst noch mehr Freiräume?»