In rasantem Tempo wurden in den vergangenen Jahren gleich mehrere Generationen ins digitale Zeitalter katapultiert. Wie geht vor allem die Generation der Pensionäre damit um? Der ZHdK-Abschlussfilm «Digital Immigrants» von Norbert Kottmann und Dennis Stauffer geht dieser Frage nach und trifft damit den Nerv der Zeit.
VON JUDITH HUNGER
___
Judith Hunger: Warum habt ihr ausgerechnet die Generation der Pensionierten für den Film ausgewählt?
Dennis Stauffer: In der Tat ist eine Generation vorher ja auch betroffen, teilweise sogar noch stärker als die Generation, die wir im Film porträtieren. Aber als wir damals recherchierten, sind wir auf die Computeria Bern gestossen, und uns gefiel das Modell der Wissensvermittlung unter Pensionärinnen. Technisch versierte Senioren geben in der Funktion von Moderatoren ihr Computerwissen an andere Senioren weiter. Es ist ein Ausprobieren und gemeinsames Erforschen. Einer der Moderatoren sagte dann auch zu einer Teilnehmerin, das Schöne an der Computeria sei, dass er selbst auch immer wieder dazulernen würde. Zudem hat dieses Modell auch eine soziale Komponente: Die Seniorinnen und Senioren lernen sich kennen und es bilden sich Freundschaften. Viktor (98), einer der Gründer der Computeria Bern, hat dort beispielsweise seine Lebenspartnerin kennengelernt.
Was war der Reiz, diesen Film mit Pensionären zu drehen?
Norbert Kottmann: Für uns Digital Natives ist so vieles selbstverständlich. Ursprünglich drehten wir Interviews mit den Moderatoren der Computeria, die im Film nicht zu sehen sind. Sie schilderten uns, wie sie die Digitalisierung erlebt hatten. Dass es damals im Dorf nur ein einziges Telefon gab, oder wie gewisse Berufe durch die Digitalisierung komplett von der Bildfläche verschwanden – Personen aus dem Bekanntenkreis hätten dadurch die Arbeit verloren und sich neu orientieren müssen. Für uns waren die Pensionäre wichtige Zeitzeugen. Viele dieser Folgen können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Wir hinterfragen die Digitalisierung nicht mehr.
Welche Erfahrungen habt ihr mit den Pensionärinnen in Bezug auf die Digitalisierung gemacht? Gab es richtige «Freaks» unter ihnen?
Dennis Stauffer: Die Moderatoren waren alle auf ihre eigene Art Freaks. Alle hatten verschiedene Spezialgebiete. Der eine kannte sich gut mit Smartphones aus, die andere mit Betriebssystemen und wieder ein anderer mit Skype oder der Fotobearbeitung. Eine Moderatorin war absolute Spitze mit Word und Excel, da sie während ihres ganzen Berufslebens mit den beiden Programmen gearbeitet hatte. Sie machte lieber Buchhaltung in Excel als Hausarbeit. Das entsprach so gar nicht unserem Klischee von Pensionären. Die Interessen waren sehr unterschiedlich, eine Teilnehmerin erstellte beispielsweise eine ganze Rezeptdokumentation in Word mit Stilvorlagen – ein kleines Kunstwerk …
Womit hatten die Protagonisten am meisten zu kämpfen?
Norbert Kottmann: Als wir drehten, hatten sich gerade viele Seniorinnen ein neues Smartphone oder Tablet zugelegt. Sie mussten sich buchstäblich wieder alles von Neuem erarbeiten. Uns wurde schlagartig bewusst, wie schwierig die Touch-Bedienung für sie ist. Man muss sich einiges neu merken – beispielsweise das Zoomen mit zwei Fingern. Da gibt es plötzlich kein Symbol mehr, das einfach angetippt werden kann. Jedes Gerät funktioniert da anders, und das Ganze ist tatsächlich nicht einfach nur intuitiv nachvollziehbar. Viele Fragen gab es zu E-Mail und Internet. Textverarbeitung mit Word, Verwaltung von Fotos oder das Gestalten von Fotobüchern waren sehr beliebte Themen. Wie sichere ich Daten? Oder wie richte ich Skype ein? Denn da waren ja Enkelkinder in fernen Ländern, mit denen man gerne kommunizieren wollte.
Im Film sieht man Archivmaterial, das ein düsteres mögliches Zukunftsbild zeichnet: zum Beispiel die Szene mit Menschen im Restaurant, die alle mit dem Handy zugange sind. Das ist heute tatsächlich Realität. Wie geht ihr damit um?
Dennis Stauffer: Diese Aussage ist in der Tat Realität geworden. Uns fällt das gar nicht mehr auf. Gerade in den öffentlichen Verkehrsmitteln, an Tramhaltestellen oder auf Bahnhöfen schauen alle auf ihr Smartphone. Die «Jungen» würden alle nur noch auf ihr Smartphone glotzen und nicht mehr aus dem Fenster schauen oder mit den Mitreisenden plaudern, meinten viele unserer Protagonisten. Die «Tele-Heimarbeit», die Vorgängerin des Home Office, ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Und die Forderung von damals, nicht länger als vier bis fünf Stunden am Bildschirm arbeiten zu müssen, klingt heute total absurd. Ob das jetzt Fluch oder Segen ist, muss jeder für sich entscheiden.
Wo glaubt ihr, wird diese Entwicklung in vierzig Jahren stehen?
Norbert Kottmann: Wir wagen da keine Prognose. Wenn wir sehen, wie schnell das alles in den letzten vierzig Jahren vorangegangen ist, kann man sich kaum ausmalen, wohin es in den nächsten vierzig Jahren noch gehen wird. Dass dies allerdings in unserem täglichen Leben so einschneidend sein wird wie der Heimcomputer in den 1980er- oder das Mobiltelefon und das Internet in den 1990er-Jahren, glauben wir nicht. Damals hat der Computer schon sehr viel in der Arbeitswelt und im Privaten umgekrempelt.
Wie digital seid ihr unterwegs? Gibt es Bereiche, denen ihr euch verweigert?
Norbert Kottmann: In den sozialen Netzwerken sind wir nicht besonders präsent. Das hat aber mehr mit Faulheit als mit Verweigerung zu tun. Allerdings merken wir stark, wie sehr sich unser Umfeld in diesen Netzwerken bewegt, und denken uns: «Hm, wir müssten da eigentlich aktiver dabei sein, sonst werden wir auch bald abgehängt …» Auch unsere Protagonistinnen aus der Computeria zeigten wenig Interesse an den sozialen Netzwerken. Facebook, Twitter, Instagram waren selten ein Thema.
Euer Film ist sehr erfolgreich. Was denkt ihr, woran das liegen könnte?
Dennis Stauffer: Nach Screenings hören wir von Zuschauerinnen, dass sie sich gut in die Probleme der Protagonisten versetzen könnten. Sie erkannten sich irgendwie wieder. Sie erinnerten sich an ihren ersten Computer und wie schwierig der Einstieg gewesen war. Wir denken, unser Film zeigt auf humorvolle Weise, wie schnell die digitale Welt voranschreitet. Vielleicht hält der Film uns sogar einen Spiegel vor. Man fragt sich: «Was macht die Digitalisierung eigentlich mit mir, und wie stark beeinflusst sie mein Leben? Wo kann ich die Auswirkungen noch steuern und wo nicht?»