Im digitalen Konzertsaal

Die ZHdK erforscht das Potenzial der Digitalisierung für den Konzertbereich bereits seit mehreren Jahren. Telematisches Konzert mit der Hochschule der Künste in Bern im Oktober 2014. Fotos: Regula Bearth © ZHdK

Livekonzert oder Tonkonserve? – Die alte Diskussion, welches Format vorzuziehen sei, ist um viele Facetten reicher geworden. Denn der Konzertsaal ist nicht mehr nur ein Ort physischer Anwesenheit, sondern er ist digital, also virtuell, geworden. Die ZHdK beteiligt sich auf verschiedene Arten an dessen Entwicklung: Sie streamt, sie musiziert über Kontinente hinweg, sie baut virtuelle 3D-Klangräume. Einblicke des Leiters des Departements Musik MICHAEL EIDENBENZ.

Der Entwicklung hin zum digitalen Konzertsaal den entscheidenden Schub verliehen hat der Einzug der ZHdK ins Toni-Areal im Sommer 2014. Martin Huber, Orchestermanager des Departements Musik, erläutert: «Die exzellente Verkabelung und die Infrastruktur im Toni-Areal sind geradezu ein Auftrag. Die Technik verlangt danach, eingesetzt zu werden, um das Spielfeld der Studierenden zu erweitern und ihre beeindruckende Produktivität darzustellen.» Und so ist es mittlerweile schon fast zur Gewohnheit geworden, dass Aufführungen aus dem 400 Personen fassenden grossen Konzertsaal für zusätzliches Publikum per Livestream in einen der kleinen Säle im Toni-Areal übertragen oder ZHdK-Veranstaltungen von externen Orten via Youtube live in die Welt gesendet werden. Dazu gehören seit zwei Jahren auch Wettbewerbsvorspiele. Die entstehenden Videos werden den Studierenden zur Verfügung gestellt, um ihre künstlerischen Portfolios zu ergänzen. Mit den Livestreams wird ein erstaunlich grosses Publikum erreicht, wie Martin Huber bestätigt: Der Youtube Channel ZHdK Music wurde innerhalb von zwei Jahren über 36 000 Mal aufgerufen.

Andreas Werner, ZHdK-Dozent und Tonmeister, prophezeit dem Livestream eine produktive Zukunft: «Von einer in der letzten Reihe aufgestellten kleinen Kamera (wie neulich bei einem italienischen Orchester gesehen) bis hin zum High-End Pay Stream der Berliner Philharmoniker hat Livestream unterdessen viele Gesichter. Anfangs war ich recht skeptisch. Als ich aber bei verschiedensten Übertragungen erfuhr, wo auf der ganzen Welt Publikum dem Geschehen an der ZHdK folgt, musste ich meine Meinung revidieren. Begeisterungsbekundungen kamen unter anderem aus Syrien, der Mongolei, Nepal – meist von jungen Menschen, die so am abendländischen Musikgeschehen teilhaben können.»

3D-Audio: Chance für Livekonzerte

Die ZHdK hat früh auch das technologische Innovationspotenzial erkannt, das darin liegt, nicht nur Bild- und Tonaufnahmen auf fremde Lautsprecher und Bildschirme zu übertragen, sondern auch den eigentlichen Klangraum als dreidimensionales Ganzes zu speichern und zu transportieren. Ein Forschungsprojekt des Institute for Computer Music and Sound Technology unter Andreas Werners Leitung hat hier Pionierarbeit geleistet und ein hochaktuelles Thema aufgegriffen, wie Tonmeister Lars Dölle berichtet: «In Fachkreisen wird die 3D-Audiotechnologie seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Von der Zukunft der Audiotechnologie ist die Rede, von einem Quantensprung, einer Revolution. Bisher wurden aber vor allem Kinos auf 3D-Audio umgestellt. Das grosse Potenzial im Livebereich wurde noch kaum genutzt.»

Die ZHdK hat dies erstmals im Oktober 2015 bei der Einweihung des grossen Konzertsaals getan und eine 3D-Übertragung in einen kleineren Konzertsaal im Haus realisiert. Laut Lars Dölle mit Erfolg: «Die Tiefe des Konzertsaals und die natürliche Höhenstaffelung des Orchesters konnten so plastisch und plausibel abgebildet werden.» Und Andreas Werner ergänzt: «Es gab dort Standing Ovations und Bravorufe, obwohl gar keine leibhaftigen Musiker im Saal waren!» Weitere Produktionen werden folgen.

Telematisches Konzert mit der University of California in San Diego im Frühling 2013. Auf der Bühne mit Querflöte ZHdK-Dozent und -Forscher Matthias Ziegler.

Telematik: unterwegs zum digitalen Unterrichtsraum

Ist die technisch hochwertige Fernübertragung erst einmal gewährleistet, lässt sich schliesslich auch die Idee realisieren, dass auf der Empfängerseite nicht nur ein lauschendes Publikum sitzt, sondern aktive Musikerinnen und Musiker am Geschehen teilnehmen. Das gemeinsame Konzert wird dann weltumspannend, der Konzertsaal erstreckt sich über Kontinente. Matthias Ziegler erprobt solche «telematischen Konzerte» seit Jahren: «Vier Musiker spielen in San Diego, zwei in Zürich, und sie spielen zusammen. Ton und Bild werden via Internet übertragen und zwei parallele Konzertereignisse zusammengeführt: ein telematisches Konzert.» Zwei VJs gestalten mit dem Bildmaterial aus San Diego und Zürich mittels Projektionen aus dem Moment heraus das visuelle Erscheinungsbild des Konzerts.

Acht Mal wurde das Konzept seit 2013 live umgesetzt, unterdessen ist ein Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) daraus geworden. Die gespielte Musik ist improvisiert, sodass sich die Übertragung auch nicht mehr nur auf gespeicherte Klänge und Bilder beschränkt, sondern «der musikalische Verlauf von Kompositionen und Improvisationen wird in einer zeitgleichen Überlagerung der Musik beider Quellen bestimmt. Während also die Musik an beiden Orten dieselbe ist, wird die visuelle Gestaltung der Schnittstelle Internet individuell umgesetzt.» Die nächste Gelegenheit, dies zu erleben, bietet sich im Oktober 2017 gemeinsam mit dem Hong Kong New Music Ensemble. Zusätzlich ist ein zweitägiges Symposium zur Thematik Netzwerkperformance geplant. Matthias Zieglers Absichten gehen über das Künstlerische hinaus: «Eines der Ziele des Telematikprojekts ist die Entwicklung eines Tools für den bidirektionalen Austausch von Ton und Bild, das auch in der Lehre eingesetzt werden kann.» Der digitale Unterrichtsraum wird also bereits erprobt, die telematische Bildung ist der nächste Schritt.

Michael Eidenbenz (michael.eidenbenz@zhdk.ch) ist Leiter des Departements Musik der ZHdK.
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