«Die eigene Erfahrung lässt sich nicht ersetzen»

Studierende informieren Studierende über ihre Erfahrungen im Austauschsemester. Foto: Johannes Dietschi © ZHdK

«Ist das Austauschsemester in Zeiten von Digitalisierung und Klimawandel noch zeitgemäss?», fragt ein aktueller Zett-Artikel. Wir haben bei Bettina Ganz Gorgi nachgefragt, die als Leiterin des International Office der ZHdK seit 22 Jahren Studierende in den Austausch schickt und Studierende aus dem Ausland an der ZHdK empfängt.

VON ISABELLE VLOEMANS
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Isabelle Vloemans: Pro Jahr kommen über 60 Studierende für ein Austauschsemester an die ZHdK und die ZHdK kooperiert mit 140 Hochschulen weltweit, um ihren Studierenden attraktive Austauschmöglichkeiten anzubieten. Wozu der ganze Aufwand?
Bettina Ganz Gorgi: Wir möchten unseren Studierenden neue Tätigkeitsfelder eröffnen. Eine Hochschule vermittelt ihren Studierenden im Idealfall nicht nur Inhalte aus der jeweiligen Disziplin, sondern auch Kontextwissen und -kompetenzen. Dazu gehören auch inter- und transkulturelle Kompetenzen.

Was bedeutet das für Studierende einer Kunsthochschule konkret?
Für eine Zürcher Designstudentin kann es sehr wertvoll sein, ein halbes Jahr in Asien zu verbringen. Arbeitet sie später in einem Projekt mit chinesischen Partnern zusammen, ist das Wissen darum, wie zum Beispiel das Thema Planung in China gehandhabt wird, äusserst hilfreich. Für einen Musiker kann das Erlebnis prägend wirken, wie sich das Zusammenspiel zwischen Dirigent und Orchester in einem Land gestaltet, in dem Hierarchien eine andere Bedeutung zukommt als bei uns. Natürlich lässt sich dies auch alles nachlesen. Wie sich beispielsweise auch nachlesen lässt, was es heisst, ein Team zu führen oder Vater zu sein. Die eigene Erfahrung bietet jedoch ein ungleich intensiveres Lernfeld.

Also lassen sich die Erfahrungen, die Studierende im Austauschsemester machen, nicht per Google nachvollziehen?
Nein, ich glaube nicht. Die Auseinandersetzung beginnt bereits vor der Bewerbung für den Austausch: Will ich überhaupt weg? Wohin will ich? Und weshalb? Teilweise melden sich die Studierenden, noch bevor sie ins Ausland gehen, für einen Sprachkurs an. Klar ist, dass es wie überall grosse Unterschiede zwischen den Einzelnen gibt und dass viel von der persönlichen Offenheit abhängt. Über die Jahre habe ich übrigens eine interessante Beobachtung gemacht: Die Förderpreise, mit denen die ZHdK herausragende Abschluss­arbeiten auszeichnet, gehen auffällig oft an Studierende, die im Austausch waren.

Glaubt man Franziska Nyffenegger und Kathrin Passig, schlägt sich diese Auseinandersetzung jedoch nicht in jedem Fall in einem spannend zu lesenden «Heimkehrbericht» nieder, den die Studierenden ja nach ihrer Rückkehr im International Office abzuliefern haben.
Das liegt teilweise sicher an der schriftlichen Form dieser Berichte. Nicht in jedem steckt ein Alexander von Humboldt. Die Präsentationen, die die Heimkehrer vor ihren Mitstudierenden halten und denen ich teilweise beiwohne, sind meist sehr anregend. Immer wieder entwickelt sich im Anschluss an solche Rückblicke im Gespräch eine vertiefte Reflexion.

Franziska Nyffenegger und Kathrin Passig schlagen vor, sich mit der venezolanischen Angestellten im Café des Toni-Areals zu unterhalten, statt für ein Austauschsemester nach Venezuela zu fliegen – ein valabler Ersatz?
Das eine tun und das andere nicht lassen, würd ich sagen. Wenn ich bereits in Venezuela war, ist die Chance, dass ich mit der Angestellten ins Gespräch komme, übrigens grösser.

Auch wer Austauschsemester grundsätzlich eine gute Sache findet, könnte einwenden, sie seien nicht nachhaltig; die gewonnene internationale Kompetenz rechtfertige nicht das Mehr an Flugreisen. Ein berechtigter Einwand?
Ich stimme zu, dass ökologische Nachhaltigkeit mit Flugreisen in der Tat schwierig zu vereinbaren ist. Ich finde es richtig und wichtig, an der ZHdK darüber zu diskutieren, wie wir mit dem Reisen der Hochschulangehörigen umgehen. Die Studierenden sind immerhin für ein halbes Jahr im Austausch. Das sind keine Kurztrips. Daneben ist natürlich die Entwicklung, dass es immer mehr Kollaborationen zwischen den Hochschulen gibt, die auf technologische Lösungen wie Skype setzen, sehr zu begrüssen. Ich erinnere mich an ein Projekt von Studierenden aus der Vertiefung Cast/Audiovisuelle Medien mit Studierenden aus Peking, bei dem auf diesem Weg ein ganzer Animationsfilm entstand.

Deine letzte grössere Reise hat dich nach England geführt – welche Erkenntnis hast du mit nach Hause gebracht, die dir auf deinem Sofa in Zürich nicht gekommen wäre?
Ich war im letzten Juni in Cornwall und Bristol im Südwesten Englands. Dort drei Tage nach dem Brexit einzutauchen war sehr aufschlussreich. So problematisch ich diesen politischen Entscheid auch finde, ich konnte nach dem Gespräch mit den Menschen dort doch zumindest verstehen, wie er zustande gekommen ist. So wurde der Brexit in der Universitätsstadt Bristol etwa mit dem Argument, «das schadet den Hochschulen», bekämpft. Für eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist eine universitäre Ausbildung jedoch ausser Reichweite, weil sie sich nur schon die hohen Studiengebühren nicht leisten können. Wenn dir jemand diese Zusammenhänge im persönlichen Gespräch auseinandersetzt, erlaubt dies andere Einsichten, als sich aus den Schlagzeilen gewinnen lassen.

Bettina Ganz Gorgi (bettina.ganz@zhdk.ch) ist Leiterin des International Office der ZHdK. Sie ist gerne unterwegs, insbesondere in Regionen, deren Sprache sie etwas kennt, was persönliche Kontakte mit Menschen vor Ort möglich macht.
Isabelle Vloemans war Projektleiterin in der Hochschulkommunikation der ZHdK. Auf Reisen besucht sie am liebsten Freunde und Familie. Zuletzt ihren Vater, der auf der holländischen Nordseeinsel Texel lebt.
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