Dozierendenporträt: Jonas Voegeli

Jonas Voegeli. Foto: Betty Fleck © ZHdK
Jonas Voegeli prägt die Ausbildung in Visueller Kommunikation an der Zürcher Hochschule der Künste. Studierende lernen bei ihm die handwerkliche Expertise und den Wert eines soliden theoretischen Unterbaus, aber auch wie man eigene Arbeiten präsentiert. Der Inhaber der Hubertus Design GmbH weiss: «Gestalterische Lösungen zu finden ist das eine, aber im Berufsalltag ist es ebenso wichtig, die konzeptionellen Ansätze und Detailentscheidungen zu vermitteln.»
VON TAN WÄLCHLI
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Die ZHdK ragt in den strahlenden Februarhimmel. Das noch immer wie neu aussehende Gebäude gleisst im unerwartet warmen Sonnenlicht. Jonas Voegeli, Leiter der Vertiefung Visuelle Kommunikation im Bachelorstudiengang Design, schreitet der nördlichen Front des Toni-Areals in Richtung Musikklub Mehrspur entlang. Vor einem der Ateliers machen die Teilnehmenden eines Praxismoduls Pause. Ein Zweitsemesterstudent der Visuellen Kommunikation joggt heran und bittet Voegeli um Hilfe. Er möchte bei der internen Portfoliopräsentation des vierten Semesters zuschauen, doch sein Praxismodulleiter ist dagegen, weil anderes auf dem Programm steht. Voegeli handelt sofort einen Kompromiss aus. Während er anschliessend die Stufen zum vierten Stock hochsteigt, schmunzelt er. «Eigentlich mache ich hier dasselbe wie zuvor an anderen Kunsthochschulen, nämlich Editorial Design unterrichten. Aber hinzu kommen Leitungsaufgaben, die alles mögliche Vorhersehbare und Unvorhersehbares umfassen.»
Theoriemontag und praktische Module
Zu den längerfristig planbaren Aufgaben gehört die Entwicklung des Curriculums. Der Unterricht ist – abgesehen vom Theoriemontag – in aufeinanderfolgende thematische Module strukturiert, die meist zwischen zwei und fünf Wochen dauern. Im ersten Semester stehen Grundlagen wie Entwerfen, Schriftgestaltung, Zeichnen und Fotografie im Vordergrund, später werden die Aufgaben zunehmend komplexer. «Zudem versuchen wir, direkte Bezüge zwischen den Modulen herzustellen. Zum Beispiel besuche ich die Studierenden in einem Fotografiemodul und halte ein Inputreferat. Anschliessend übernehmen die Studierenden ihre Fotografiearbeiten in mein Editorial-Design-Modul, in dessen Rahmen sie diese mit einem Text ergänzen und ein Layout und eine Dramaturgie entwickeln.» Wichtig ist Voegeli dabei einerseits, dass handwerkliche Fähigkeiten grundlegend erlernt werden, und andererseits, dass die Studierenden schon früh fertige Produkte herstellen. «Ich komme aus einer Lehrerfamilie und habe ein gespaltenes Verhältnis zur Pädagogik», sagt er, «aber die Wissensvermittlung und die Ausbildung von praktischen Fähigkeiten nehme ich sehr ernst.»
«Die Studierenden sollen lernen, ihre Arbeiten zu präsentieren.»
Voegeli ist aber auch die Reflexion der Fachgeschichte ein zentrales Anliegen: «Die Analyse historischer Wissensbestände und Praktiken ergibt immer wieder interessante Anknüpfungspunkte.» So dienten kürzlich in einem Editorial-Design-Modul die von Ursula und Ernst Hiestand in den 1960er-Jahren gestalteten Kataloge der Warenhauskette ABM als Referenz. «Ein spannendes Beispiel für Editorial Design, weil die Kataloge nicht nur eine klar definierte Funktion am Markt erfüllten, sondern auch in vollständiger Eigenverantwortung erarbeitet wurden – vom Konzept über die Fotografie und die Lithografie bis hin zum Layout.» Zudem zogen die Hiestands Mitarbeiter wie etwa den konkreten Poeten Eugen Gomringer bei, der die Texte verfasste. «Ich mochte speziell den Slogan ‹Sympathische Preise›», erwähnt Voegeli. «Aber bei einer Veranstaltung, die wir mit der Klasse besuchten, meinte der mittlerweile 92-jährige Gomringer, heute sollte man besser mit ‹Emphatischen Preisen› werben.»
Ein typisches Voegeli-Modul beginnt mit einem zweistündigen Referat, in dem er die Aufgabenstellung anhand von Beispielen aus Geschichte und eigener Praxis erläutert. Danach befassen sich die Studierenden mit vorgegebenen Arbeitsschritten, und nach jedem Schritt, alle ein oder zwei Tage, finden Einzelbesprechungen statt. «Das ist intensiv, aber wichtig, weil die Studierenden lernen sollen, ihre Arbeiten zu präsentieren.» Hierzu dienen auch die internen Portfoliopräsentationen, die zu Beginn des vierten und des sechsten Semesters durchgeführt werden. «Gestalterische Lösungen zu finden ist das eine, aber im Berufsalltag ist es ebenso wichtig, die konzeptionellen Ansätze und Detailentscheidungen zu vermitteln.» Wie dies in der Praxis funktioniert, können die Studierenden in extracurricularen Projekten lernen, welche die Visuelle Kommunikation mit Partnern aus der Wirtschaft realisiert.
Gestaltungsfabrik in Albisrieden
Um den Praxisbezug glaubhaft zu vermitteln, teilt Voegeli seine Zeit zwischen der ZHdK und seinem Gestaltungsbüro Hubertus Design. Es ist in einer alten Fabrikhalle in Albisrieden eingemietet. In der Mitte des hellen, grossen Raums sitzt das Team an einem Tisch: Geschäftspartnerin Kerstin Landis, eine fest angestellte Mitarbeiterin, ein Freelancer und eine Praktikantin. Ein weiterer Mitarbeiter führt seit Kurzem eine Hubertus-Einmannfiliale im Brooklyner Stadtteil Dumbo. «Er ist Amerikaner, hat hier studiert und vier Jahre bei uns gearbeitet, doch es ist uns nicht gelungen, eine Aufenthaltsbewilligung für ihn zu bekommen», erklärt Voegeli.
«Es ist schwierig, auf einem Plakat differenziert zu argumentieren, dafür braucht es andere Medien.»
Im Albisrieder Büro liegt auf einem Beistelltisch das neue Zett-Magazin (no kidding!), das eine Gruppe von Studierenden unter Voegelis Vermittlung gestaltet hat. An den Wänden hängen Plakate für Miller’s Studio, Ständerat Paul Rechsteiner und den Gewerkschaftsbund. Zwei davon – zum 1. Mai und zur letzten AHV-Initiative – experimentieren wie die «Nein»-Plakate gegen die Durchsetzungsinitative mit grossen, verzerrten Buchstabenformen. «Es ist schwierig, auf einem Plakat differenziert zu argumentieren», sagt Voegeli, «dafür braucht es andere Medien.» So ist es wohl kein Zufall, dass der grösste Teil der Hubertus-Arbeiten seit Jahren in die Buchgestaltung fliesst. Hier hat Voegeli enge Kundenbeziehungen im Kultur- und Wissenschaftsbereich aufgebaut und viele (auch internationale) Preise gewonnen. «Deshalb bin ich bis nach Russland und Asien eingeladen worden, um Vorträge zu halten und in Bücherjurys mitzuarbeiten. In einer Jury in Taiwan mussten wir Bücher beurteilen, in denen ich kein einziges Wort lesen konnte.»
Swiss Design auf Chinesisch
Jonas Voegeli nimmt es mit Humor, sieht aber auch die Grenzen der transkulturellen Vermittlung. Als Beispiel zückt er die vor Kurzem erschienene chinesische Ausgabe von Josef Müller-Brockmanns «Rastersysteme für die visuelle Gestaltung» (1981), einem späten Klassiker des Swiss Design. Da nicht nur das gesamte Beispielmaterial – mit deutschem Text! – beibehalten wurde, sondern auch das Originallayout, stehen die chinesischen Texte in ursprünglich für den deutschen Lauftext definierten Spalten. Der im Original parallel dazu verlaufende englische Text wurde weggelassen. So weist das Buch eine Unmenge willkürlicher Weissräume auf, die dem Autor sicherlich missfallen hätten. Bei der Verabschiedung entschlüpft dem Autor dieses Artikels die Bemerkung, dass Müller Brockmanns Bücher aus historischer Distanz leicht selbstüberheblich und dogmatisch wirken können. Voegeli stimmt zu. Zum Vergleich nennt er Jan Tschicholds Lehrbücher, die zwar auch dogmatisch gewesen seien, aber sprachlich und argumentativ viel elaborierter. Dennoch findet er Müller-Brockmann nach wie vor insofern interessant, als er für eine Generation steht, in der Gestalter überhaupt noch Texte publizierten. «Das vermisse ich heute oft, dass die Gestalter sich nicht mehr zu ihrer Arbeit äussern und keine Gestaltungstheorien mehr formulieren.»