
Serious Games werden immer bedeutsamer in Medizin, Wirtschaft und Wissenschaften. Entsprechend gefragt ist die Fachrichtung Game Design der ZHdK als Kooperationspartner. Foto: Ulrich Götz © ZHdK
Was erfolgreiche Kooperationen im Serious Game Design ausmacht
Serious Games zielen auf Lerneffekte und Vermittlung ab. Sie entstehen oft in Kooperation zwischen Hochschulen und externen Partnern aus der Wirtschaft oder aus anderen Bildungsinstitutionen. Typische Muster prägen diese Zusammenarbeit. Im Gespräch rekapitulieren ULRICH GÖTZ und CORNELIUS MÜLLER ihre Erfahrungen aus über zehn Jahren Serious-Games-Entwicklung an der ZHdK.
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Ulrich Götz: Wenn du auf die Jahre des Projektmanagements zu Serious Games zurückblickst, erkennst du Konstellationen und Ansätze, die typisch sind für solche Kooperationen?
Cornelius Müller: Die Themen kommen oft aus dem Anwendungsfeld der anfragenden Parteien. Bei Hochschulen sind es meist Forschungsfragen, bei anderen steht dagegen der Verwendungszweck im Vordergrund. Für einen erfolgreichen Verlauf von Kooperationsprojekten ist ausschlaggebend, dass die Fragestellungen zu Beginn klar formuliert vorliegen.
Ulrich Götz: Kommerzielle Games decken die Zwecke von Serious Games nicht ab. Durch die ZHdK-Entwicklungen werden Vorhaben möglich, die sonst nicht durchführbar wären. Wichtig ist uns, dass ein Partner den Einfluss und die Kompetenz der Gestaltung achtet, damit Raum für neuartige Entwicklungen entsteht. Das gilt aber nicht nur für die Entstehung, sondern schliesst auch den Anteil am Ergebnis mit ein. Dieses Zusammenarbeiten auf Augenhöhe hat uns oft beschäftigt.
«Für einen erfolgreichen Verlauf von Kooperationsprojekten ist ausschlaggebend, dass die Fragestellungen zu Beginn klar formuliert vorliegen.» Cornelius Müller
Cornelius Müller: Die Komplexität einer Thematik und ihre Abbildung in einem Serious Game werden oft unterschätzt: Das betrifft Umfang, Übersetzung in Spielmechanik, analytische Einarbeitung in Thema und Anwendung, Produktionskosten und anderes mehr.
Ulrich Götz: Zur Umsetzung eignen sich Themen, in deren Zusammenhang die Spielmotivation ein eigenständiges Moment entfalten kann. Thematisches Lernen muss nicht an erster Stelle stehen. Ein Spiel erzielt auch einen Lerneffekt, wenn es nur schon zur Auseinandersetzung mit einer Thematik motiviert.
Cornelius Müller: Schwierig wird es, wenn ein Spiel Zusammenhänge abbilden soll, die keinem Game Flow entsprechen. Denn auch ein Serious Game muss die Kriterien eines guten Spiels erfüllen, sonst bleibt es ein lebloses Konstrukt. Den jeweiligen Partnern müssen die Wirkungsweise und der Aufbau von Spielen erst nähergebracht werden, denn Anfragen zielen oft nur auf eine Simulation oder einen Test ab.
Ulrich Götz: In einem partizipatorischen Prozess wird das Thema geklärt. Dies führt oft zu unerwarteten Lösungen, gerade dank des interdisziplinären Ansatzes.
Cornelius Müller: Es besteht die Gefahr, dass sich die Themenklärung lange hinzieht. Daher ist es hilfreich, möglichst früh Anwendungsmöglichkeiten zu prüfen, zum Beispiel durch die Erstellung von Personas oder durch technologische Prototypen. [Anm. d. Red.: Persona – das Nutzerprofil eines fiktiven, typisierten Benutzers] Ebenso zielführend können Kurzentwürfe sein, wie sie in Game Jams entstehen.
«Auch ein Serious Game muss die Kriterien eines guten Spiels erfüllen, sonst bleibt es ein lebloses Konstrukt.» Cornelius Müller
Ulrich Götz: Wir haben mittlerweile einen Modus gefunden, wie die Menge an Aufgaben in einem solchen Projekt von einem eher kleinen Team bewältigt werden kann. Das geht nur, wenn alle Beteiligten weite Bereiche abdecken und die Rollen möglichst simultan und nicht sequenziell wahrgenommen werden. Die Effektivität entsteht durch die Aufgabenverteilung und den Austausch.
Cornelius Müller: Zentral ist die Position eines strukturell Verantwortlichen, der beispielsweise interne Zuständigkeiten und die Kommunikation regelt, Termine und Infrastruktur bestimmt, die finanzielle Kontrolle gewährleistet, rechtliche Fragen klärt, die Beziehung zum Partner sowie zu externen Angestellten aufrechterhält und Öffentlichkeitsarbeit betreibt.
Ulrich Götz: Dieser Position steht kreatives Personal gegenüber, das durch eine Kreativdirektion geleitet werden sollte. Auf der technologischen Seite sollte ein Programming Supervisor die Mitarbeitenden führen. Qualität und Wert eines Projekts steigen, wenn eine wissenschaftliche Begleitung zur Recherche und Verankerung der eigenen Forschungsfragen eingebunden wird, die später zur Evaluation und Publikation führt. Die Einbindung von Studierenden in einem klar definierten Rahmen führt zu einem Kreislauf zwischen Forschung und Lehre.
Cornelius Müller: Durch persönliche Präsenz an einem gemeinsamen Ort entstehen Experimentier- und Laboratmosphäre. Die Kommunikation mit dem Projektpartner muss den Projektfortschritt erklären und Erwartungshaltungen moderieren.
«Qualität und Wert eines Projekts steigen, wenn eine wissenschaftliche Begleitung zur Recherche und Verankerung der eigenen Forschungsfragen eingebunden wird.» Ulrich Götz
Ulrich Götz: Dies ist auch eine logistische Aufgabe, da viele Mitarbeitende bei kleinen Projektpensen nicht laufend präsent sind. Auch diese kleinen Pensen führen dazu, dass Projekte mit Dienstleistungscharakter nur schwer zu realisieren sind. Problematisch ist beispielsweise, wenn nach Projektschluss weitere Aufgaben auftauchen, die Infrastruktur der Produktionsphase aber nicht mehr existiert.
Cornelius Müller: Personelle Zusammensetzung, Kontinuität der Teams und transparente Kommunikation waren Dauerthemen in unseren Projekten.
Ulrich Götz: Klare Kommunikation mit dem Kooperationspartner entstand immer dann, wenn es auf seiner Seite einen zentralen Ansprechpartner gab, bei dem alle Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse zusammenliefen. Personelle Kontinuität in der Projektleitung des Partners war ein Erfolgskriterium, während wechselnde Zuständigkeiten zu sprunghaften Korrekturen führten. Problematisch sind Direktiven, die beim Partner im Hintergrund ablaufen und im Projektteam nicht besprochen werden.
Cornelius Müller: Kontinuität ist nicht nur in der Umsetzungsphase ein Thema, sondern auch danach. Einerseits haben Serious Games einen hohen experimentellen Entwicklungsanteil, andererseits sollen sie langfristig verwendbar sein. Als Voraussetzung für lange Laufzeiten gilt eine übersichtliche Dokumentation, die wichtige konzeptuelle, gestalterische und technologische Entscheidungen festhält.
Ulrich Götz: Dokumentationen machen spätere Anpassungen oder Übergaben, zum Beispiel an andere Programmierer, erst möglich. Das korrespondiert im gestalterischen Bereich mit einem modularen Vorgehen, das spätere Erweiterungen oder Varianten ohne Brüche erlaubt.
Cornelius Müller: Hohe Personalfluktuation erschwert eine langfristige Planung und den Support. Probleme ergeben sich in dieser Hinsicht auch für Projekte, die spezielles Know-how erfordern oder erzeugen.
Ulrich Götz: Diese Entwicklungsarbeit wird zur verlorenen Investition, wenn sich Ergebnisse später nicht übertragen lassen oder unzugänglich werden. Es ist eine ganz allgemeine Frage, wie sich Entwicklungserfolg aus Sicht der Hochschulen überhaupt definiert. Zunächst ist es natürlich schon ein Erfolg, ein Projekt akquiriert und innerhalb des festgelegten Rahmens umgesetzt zu haben. Der Mehrwert für Hochschulen entsteht aber erst dann, wenn eigene Forschungsfragen platziert, beforscht und publiziert werden. Kommt es nicht zu diesem Rückfluss, wird die Hochschule zum Dienstleister, der Innovation abseits marktüblicher Konditionen liefert.
Cornelius Müller: Innovative Entwicklungen bei überschaubaren Kosten – aus diesem Grund sind Hochschulen ja begehrte Kooperationspartner. Kann die Forschung der Hochschule impliziter Teil eines Kooperationsprojekts sein, wenn die Finanzierung über externe Mittel geschieht?
Ulrich Götz: Verfolgen Hochschulen keine eigene Forschung, arbeiten sie für den Partner, ohne Material für den eigenen akademischen Betrieb zu generieren. Blieben sie ihrem Selbstverständnis treu, müssten sie darauf bestehen, dass eigene Forschung innerhalb von Kooperationen verfolgt wird. Es muss vereinbart werden, dass nicht nur tragfähige Resultate entwickelt werden, sondern gleichzeitig auch geforscht wird. Dies führt zur Diskussion, ob externe Drittmittel hierzu herbeigezogen werden könnten.
«Es ist eine ganz allgemeine Frage, wie sich Entwicklungserfolg aus Sicht der Hochschulen überhaupt definiert.» Ulrich Götz
Cornelius Müller: Definiert man Innovation als erklärten Mehrwert eines Serious Games, dann ist es paradox, wenn externe Finanzierung nicht für eigene Forschung herbeigezogen, sondern nur zur Umsetzung eingesetzt wird. Dies ist umso unverständlicher, als solche Projekte üblicherweise neue Forschungsfragen aufwerfen. Unsere Erfahrungen bei Publikationen zu Projektenden zeigen aber: Im Allgemeinen legen Kooperationspartner ihre Initiative als Anspruch auf die Ergebnisse aus, gemeinsame Publikationen sind eher die Ausnahme.
Ulrich Götz: Man erlebt hier Überraschungen. Was als partnerschaftliches Verhältnis bei der Entwicklungsarbeit beginnt, kann in Alleingänge kippen, wenn es um Forschungsrenommee geht. Der Designprozess beeinflusst auch die inhaltliche Fragestellung stark und kann sogar zur Neuausrichtung eines Projekts führen. Dies müsste sich in gleichberechtigter Autorenschaft an den Resultaten widerspiegeln!
Cornelius Müller: Will man solche Konflikte entschärfen, müssen Absprachen getroffen werden. Man kann Vereinbarungen treffen, zu welchen Themen in welcher Reihenfolge veröffentlicht wird oder wie man auf den Partner verweist. Dies rückt die Klärung rechtlicher Aspekte in den Vordergrund – und diese weist den Weg von einem experimentellen Projektstart hin zu einem Korsett aus Reglementen …
Ulrich Götz: Was als kreatives Brainstorming beginnt, kann rasch in marktrelevante Konzepte münden. Da sich dieser Übergang schleichend vollzieht, können sich die Partner unversehens einem Prototyp mit Anwendungspotenzial gegenübersehen, ohne dass bereits geregelt wäre, wie mit Ergebnissen umgegangen werden soll. Wurden Anteile am Urheber- und Verwertungsrecht festgehalten? Wie sieht es mit dem Verwertungsrecht aus, darf das Ergebnis in Eigenregie weiter beforscht werden? Wer übernimmt die Verteilung von Preisgeldern, wer regelt Lizenzeinnahmen? Wie sieht es mit Spin-offs aus?
Cornelius Müller: Das Konfliktpotenzial dieser Fragen taucht erst spät auf. Man kann dies aber durch die frühe Einbindung rechtlicher Aspekte vermeiden. Das macht umfangreiche Vorgaben der Hochschulen für Forschungskooperationen nötig, auf die man direkt zugreifen können muss.
Cornelius Müller ist Medienpsychologe und war Dozent für Game Design an der ZHdK.