
Wissen, wie erfolgreiches Crowdfunding geht: ETH-Umweltingenieur Moritz Güttinger (links) und ZHdK-Industriedesigner Carina Fischer und Lukas Baumgartner.
Im ZHdK-Channel der Crowdfunding-Plattform «wemakeit» präsentieren Studierende und Alumni ihre Projekte einer breiten Öffentlichkeit und erhalten so finanzielle Unterstützung für deren Realisierung. 2016 erreichten 27 Projekte das Finanzierungsziel, wovon eines über 70 000 Euro lag. An drei erfolgreichen Kampagnen Beteiligte und Crowdfunding-Experten erzählen, worauf es bei dieser Finanzierungsform, die für die Kultur- und Kreativwirtschaft weiter an Wichtigkeit gewinnen wird, ankommt.
VON ISABELLE VLOEMANS
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Über 90 000 Personen haben gemäss dem aktuellen Crowdfunding Monitoring der Hochschule Luzern im Jahr 2015 in der Schweiz ein Projekt unterstützt. Akteurinnen und Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft wurden geschätzte 5,5 bis 6 Millionen Franken vermittelt, Tendenz steigend. Für 2016 gehen die Studienverantwortlichen von 120 000 bis 150 000 Unterstützerinnen und Unterstützern aus.
Bedeutendste Crowdfunding-Plattform im Kulturbereich ist wemakeit. Wemakeit ist auf eine Form des Crowdfundings spezialisiert, bei der Geldgeberinnen und -geber eine einmalige Gegenleistung (Belohnung) in Form von Produkten, künstlerischen Werken oder Dienstleistungen erhalten. Dies nennt sich Crowdsupporting – im Gegensatz etwa zum Crowdinvesting oder Crowdlending. Die ZHdK betreibt bei wemakeit einen eigenen Channel, über den Studierende sowie Alumni ihre Projekte prominent präsentieren können und von der Hochschule ein Startguthaben von 150 Franken erhalten. Gemäss wemakeit liegt der Anteil der Projekte, die ihr Finanzierungsziel erreichen, im ZHdK-Channel bei 78 Prozent. Zum Vergleich: Über alle Crowdsupporting-Kampagnen hinweg, weist das Crowdfunding Monitoring in der Schweiz für 2015 eine Erfolgsquote von 64,6 Prozent aus.
15-Stunden-Tage
Am meisten Geld sammelte im vergangenen Jahr der ZHdK-Alumnus und ehemalige Dozent Franz Reichle: über 70 000 Euro in sechs Wochen. Er wollte aus historischem Filmmaterial von Gesprächen zwischen dem Neurowissenschaftler und Philosophen Francisco Varela und dem Dalai Lama einen Kinofilm machen. Ein alter Hase im Filmbusiness – seinen ersten Dokumentarfilm hat Reichle 1978 realisiert –, war er bis vor Kurzem noch ein Newbie im Crowdfunding. Umso dankbarer war er für die intensive Beratung durch wemakeit. Bei den Filmförderstellen müsse man 30 bis 40 Seiten abliefern und sich darin lang und breit für sein Vorhaben rechtfertigen. «Die Leute von wemakeit sagten mir hingegen wieder und wieder, dass meine eingegebenen Texte zu lang seien.» Und nicht nur das Texten war aufwendig. Unter anderem schrieb der Filmer sämtliche Personen an, die je eine DVD in seinem Webshop bestellt hatten. «Ich durchlebte fiebrige 15-Stunden-Tage während dieser Wochen – zwischendurch schnell was gekocht und gleich weiter gemacht. Teilweise war ich abends um 21 Uhr noch immer im Pyjama.»
Einen speziellen Grund zur Freude bot die Liste der Unterstützerinnen und Unterstützer: «Darunter waren ehemalige Studierende von mir, von denen ich genau weiss, dass sie keinen Stutz haben. Ich war sehr gerührt.»
Céline Fallet, Community Managerin bei wemakeit, weiss: «Die ersten Gelder fliessen immer aus dem engsten Kreis. Erst nachdem die ersten 30 Prozent des Finanzierungsziels erreicht sind, leisten Aussenstehende Beiträge.» Für diese sogenannten Serial Backers, die immer wieder mal ein Projekt unterstützen, seien die angebotenen Belohnungen entscheidend.
«Ich durchlebte fiebrige 15-Stunden-Tage – zwischendurch schnell was gekocht und gleich weiter gemacht. Teilweise war ich abends um 21 Uhr noch immer im Pyjama.» Franz Reichle
Für Filme mit kleinen Budgets sieht Franz Reichle Crowdfunding als grosse Chance: «Der ganze bürokratische Kram entfällt.» Nach der Weltpremiere seines Dokumentarfilms «Mind & Life» an den Solothurner Filmtagen plant Franz Reichle nun, mit seinem Film verschiedene Festivals weltweit zu besuchen.
Populäre, aber aufwendige Belohnungen
Die gelernte Grafikerin und ZHdK-Alumna Zelia Zadra gehört zu einem Dreigespann, das 2016 im ZHdK-Channel erfolgreich Geld für die Realisation eines Kochbuchs der etwas anderen Art (Kochen mit Holz) gesammelt hat. Neben den üblichen Kanälen wie Social Media oder E-Mail nutzte das «Wood Food»-Team ein Pop-up-Restaurant, das es parallel zum Crowdfunding betrieb, als Werbeplattform für das Buchprojekt. Mit der Rechnung kam jeweils ein kleiner Flyer, der auf das Crowdfunding aufmerksam machte. Und auf der anderen Seite bewarb das Crowdfunding auch gleich das Restaurant.
Das Finanzierungsziel von 18 000 Franken haben Zelia und ihre beiden Kollegen leicht übertroffen. Die von ihnen angebotenen, sehr persönlich gehaltenen Belohnungen wie etwa eine gemeinsame Bartour kamen gut an – deren Einlösung beschäftigte die Buchcrew allerdings noch lange nach der Drucklegung. Style & Design-Absolventin Zelia Zadra: «Bei einer nächsten Kampagne würde ich solch aufwendige Belohnungen zurückhaltender anbieten.»
Matchentscheidender Zeitungsartikel
Hinter einer weiteren Erfolgsgeschichte aus dem Jahr 2016 steht unter anderem das berufliche wie private Duo Carina Fischer und Lukas Baumgartner, das sich im Industriedesignstudium kennengelernt hat. Über das schwarze Brett der ZHdK sind die beiden mit Umweltingenieur Moritz Güttinger in Kontakt gekommen, den die Idee einer Schweizer Espressomaschine umtrieb, die unter 1000 Franken kosten und richtig guten Espresso machen sollte.
«Als Industriedesignerin hast du ganz viele Ideen. Das Gute am Crowdfunding ist, dass du von Anfang an merkst, ob auf dem Markt ein Interesse besteht.» Carina Fischer
Ein Jahr später funktionierte der Prototyp nicht nur, er sah auch ansprechend aus. Um die erste Serie vorzufinanzieren, startete Moritz Güttinger ein Crowdfunding. Dank eines Artikels im Tages-Anzeiger waren die anvisierten 30 000 Franken bereits nach sieben Stunden erreicht und die ersten 35 Maschinen vorverkauft. Carina Fischer: «Als Industriedesignerin hast du ganz viele Ideen. Das Gute am Crowdfunding ist, dass du von Anfang an merkst, ob auf dem Markt ein Interesse besteht.» Neben Anpassungen für die zweite Serie wird die Zuriga-Designer 2017 die Entwicklung einer zur Kaffeemaschine passenden Kaffeemühle beschäftigen.

Schön schlicht ist sie, die Zuriga. Und mit nur 17 Zentimetern Breite praktisch klein.
Gewinnen von Fans ab dem ersten Tag
Für Philipp Kotsopoulos, Leiter der Start-up- und Projektplattform «Z-Kubator» an der ZHdK und Crowdfunding-Experte, ist die Zuriga-Geschichte beispielhaft: «Ich glaube aber, dass gerade im Produktbereich noch mehr drinliegt.» Das lässt auch das wemakeit-Rekordprojekt FreezyBoy vermuten, ein innovativer Komposteimer, für den drei Luzerner im vergangenen Jahr 310 000 Franken gesammelt haben.
«Das Projekt muss kurz und knapp in einem Video vermittelt werden können.» Philipp Kotsopoulos
Philipp Kotsopoulos erklärt, dass Crowdfunding gerade für Studierende wichtig sei, weil Stiftungen selten Geld für Bachelor- oder Master-Projekte sprächen: «Aus Sicht der Stiftungen sind das Stipendienwesen sowie die Hochschulen für die Unterstützung der Studierenden zuständig.» Crowdfunding weise zudem den Zusatznutzen auf, dass mit dem Kampagnenstart die Bekanntmachung eines Projekts beginne. Angesichts so vieler Vorteile stellt sich die Frage: Wofür eignet sich Crowdfunding nicht? Gemäss Kotsopoulos stösst diese Finanzierungsart an ihre Grenzen, wenn es um sehr komplexe Projekte geht: «Das Projekt muss kurz und knapp in einem Video vermittelt werden können.»