Die Messe eines Pantheisten

Leos Janacek (1854 – 1928), Czech composer born in Moravia. (Photo by Hulton Archive/Getty Images)

Konzertchor und Orchester der ZHdK führen Leoš Janáčeks «Glagolitische Messe» auf

Am Samstag, 18. Februar 2017, stehen rund 250 Musikstudentinnen und -studenten der ZHdK auf der Konzertbühne der Tonhalle und führen Werke des tschechischen Komponisten Leoš Janáček (1854–1928) auf, darunter seine «Glagolitische Messe». Mit ihr hat der Komponist, der dem Pantheismus nahestand, eine der bedeutendsten Messen des 20. Jahrhunderts geschaffen, wie Dirigent Markus Utz erklärt.

VON CAROLINE SÜESS
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Caroline Süess: Was bedeutet glagolitisch?
Markus Utz: Die beiden Slawenapostel Kyrill und Method haben im 9. Jahrhundert in Osteueropa biblische Texte ins Slawische übersetzt und dafür ein eigenes Alphabet mit neuen Schriftzeichen entwickelt, die glagolitische Schrift. Sie schufen damit die Grundlagen der altslawischen Sprache.

Wodurch zeichnet sich der Komponist Leoš Janáček aus?
Leoš Janáček verkörpert in seiner Musik eine grossartige Synthese von Musik und Sprache. Er sagte «Ich bin nach dem Studium der musikalischen Seite der lebendigen Sprache überzeugt, dass alle melodischen und harmonischen Rätsel in der Musik überhaupt rhythmisch und melodisch nur aus dem Tonfall der Sprache gelöst werden können.» Dieses Zitat ist sein grosses Lebensthema und zeugt davon, wie er den Musikbegriff Anfang des 20. Jahrhunderts erweiterte. In seinem Notizheft transformierte er Unterhaltungen von Menschen, Vogelstimmen oder das Wetter in musikalische Motive und verwendete diese in seiner Musik. Er war der Meinung, absolute Musik gebe es gar nicht, Musik bilde immer das Leben ab, ob dies dem Komponisten bewusst sei oder nicht. Ein Drittel seines beträchtlichen Vermögens vermachte er dem Musikwissenschaftlichen Institut der Brünner Universität – heute die Janáček Academy of Music and Performing Arts Brünn – mit der Auflage, das Verhältnis von Musik und Sprache zu untersuchen. Leider ging dieser Wunsch nie in Erfüllung.

Wie erklären Sie sich Leoš Janáčeks Faszination für die gesungene Sprache?
Das menschliche Stimmorgan ist ein Wunderwerk der Natur und hat als Instrument ein unglaubliches Spektrum. Unsere Stimmlippen, Resonanzräume und Artikulationswerkzeuge produzieren Laute, die Emotionen wie Weinen, Schreien, Lachen, aber auch Informationen in Form von Sprache übermitteln. Beim Singen kommt beides zusammen, und wir benützen die Stimme als Instrument, um Töne, Klänge und Melodien zu erzeugen. Der grosse Unterschied zur Instrumentalmusik ist die zusätzliche Übermittlung von Text und einer damit verbundenen Botschaft. Verstärkend kann dies wirken, wenn sich mehrere Menschenstimmen zu einem Chor vereinigen. Aber natürlich sind gleichzeitig in der Messe gerade auch die vielen Instrumentalisten unglaublich ausdrucksstark und vermitteln eine sprechende Botschaft.

Welchen Stellenwert hat die «Glagolitische Messe» in der Musikgeschichte?
Die «Glagolitische Messe» ist ein einzigartiges Werk und die pantheistische Messe der Weltmusikliteratur. Weil Janáček mit der Kirche nichts zu schaffen haben wollte, ist ihr Charakter völlig anders, als man es von Palestrina bis Bruckner gewohnt ist. Nicht zuletzt deswegen ist sie eine der bedeutendsten Messevertonungen des 20. Jahrhunderts.

Wie klingt diese Messe?
Sie klingt kraftvoll, abwechslungsreich, positiv, aber überhaupt nicht fromm. Die Haltung ist nicht menschliche Demut vor Gott, nicht Bitten, Preisen, Um-Verzeihung-Flehen – nein, sie verkörpert Jubel, Freude und ein Wiederaufschwingen seiner selbst. Janáček sagte dazu: «[…] wie man mit dem lieben Gott zu reden hat […]» Auf Augenhöhe also! Für sehr gläubige Menschen dürfte dies schon Gotteslästerung sein, für Janáček aber war es die einzige Möglichkeit, zu glauben, nämlich dass wir alle mit der Natur und dem Kosmos Teil einer Gottheit sind. Um das zu versinnbildlichen, fährt er Pauken, Trompeten, Orgel, Chöre und vor allem die beiden hohen Stimmen von Frau und Mann, Sopran und Tenor, auf. Sein Glaube ist fröhlich statt frömmelnd, stark statt demütig. Dahin will er uns geradezu mitreissen.

Konzert «Janáček» mit Konzertchor und Orchester der Zürcher Hochschule der Künste
Samstag, 18. Februar 2017, 19.30 Uhr
Tonhalle, Grosser Saal, Claridenstrasse 7, Zürich
Einführung: 18.30 Uhr, Kleiner Saal
Tickets
Prof. Markus Utz  (markus.utz@zhdk.ch) ist Professor für Dirigieren und Chorleitung im Profil Kirchenmusik an der ZHdK. Er leitet das Konzert «Janáček».
Caroline Süess ist stellvertretende Chefredaktorin Zett.
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