Ein Haus für Designikonen
Baustellenbesuch im Museum für Gestaltung
An der Ausstellungsstrasse 60 in Zürich herrscht Hochbetrieb. Der geschichtsträchtige Bau wird derzeit renoviert. Ab 2018 werden hier Wechselausstellungen und die Sammlungen des Museum für Gestaltung neu präsentiert. Eine Hauptrolle spielt auch das Haus selbst, ein herausragendes Beispiel des Neuen Bauens in der Schweiz. SIMONE ROHNER hat die Baustelle mit Museumsdirektor Christian Brändle besucht.
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Ein grauer Winternachmittag im Dezember 2016, typisches Zürichwetter. Der Klingenpark an der Ausstellungsstrasse wirkt trostlos und unbelebt mit seinem leeren Brunnen, den laublosen Bäumen und ein paar Krähen, die im Kies herumpicken. Doch der Schein trügt; am alten Standort des Museum für Gestaltung und der ZHdK ist in diesem Moment alles im Umbruch. Seit der Schliessung Ende September 2014 befindet sich der denkmalgeschützte Bau der Architekten Steger und Egender nach langer Vorplanung im Umbau, das Museum hat derweil seinen neuen Standort im Toni-Areal bezogen.
Das Neue Bauen wiederbeleben
Im Innern des Gebäudes riecht es nach feuchtem Beton und Staub. Der Klinkerboden ist mit Holzplatten geschützt, und die Fenster sind mit Plastik abgeklebt. Das 1933 erstellte Gebäude soll beim Rückbau keinen Schaden nehmen, hat es doch in der Vergangenheit schon viele Anpassungen an seiner Architektur über sich ergehen lassen müssen und erstaunlicherweise mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Die radikalste Veränderung im Rahmen des aktuellen Umbaus hat bereits stattgefunden: Die dreiachsige Ausstellungshalle mit ihren prägnanten Stützen ist über dem Mittelschiff wieder geöffnet und neu zweigeschossig; der Galerieraum und die umliegenden Büros sind verschwunden. In den Sechzigerjahren wurde wegen Platzmangels eine Decke eingezogen. Die Hochschule gewann zwar an Bürofläche, das Haus hingegen verlor an architektonischem Charakter. Erst jetzt erkennt man die Grosszügigkeit der basilikalen Ausstellungshalle wieder. Selbst an diesem nebelverhangenen Tag erscheint sie noch lichtdurchflutet.
«Die Halle wird weiss gestrichen, aber in einigen Räumen und der vorderen Achse nehmen wir das Originalfarbkonzept aus den Dreissigerjahren wieder auf.» Christian Brändle
«Ein guter Bau wird einmal eine schöne Ruine.» Christian Brändle, der Direktor des Museum für Gestaltung, schmunzelt, als er den Architekten Adolf Loos zitiert, einen der Wegbereiter der modernen Architektur. Merkmale des Neuen Bauens sind Funktionalismus, Ökonomie der Mittel und die Reduktion aufs Wesentliche bis ins kleinste Detail. Auch am Museumsgebäude fehlt in dieser Phase des Umbaus eigentlich nichts. Alles für die Architektur Essenzielle ist noch da. «Und zum Glück kommt auch nicht viel mehr dazu!», so Brändle. Die Grundhaltung des Umbaus sei Zurückhaltung. Immer mit der Frage im Hinterkopf, was aus konservatorischer Sicht für den Ausstellungsbetrieb notwendig und was elementar wichtig für die Architektur des Hauses ist. «Die Halle wird weiss gestrichen, aber in einigen Räumen und der vorderen Achse nehmen wir das Originalfarbkonzept aus den Dreissigerjahren wieder auf. Da muss man gelegentlich schon leer schlucken, solche Farbpaletten ist man sich heute nicht mehr gewohnt.» Aus konservatorischen Gründen wird zudem die Galerie gegen die Halle verglast, und Vorhänge ermöglichen das Regulieren des Tageslichts, das über die hohen Fester einfällt.
Meilensteine der Designgeschichte als Fundament
Neben der grossen Treppe in der Eingangshalle findet sich jetzt ein prominenter Durchgang, dahinter erstreckt sich die Treppe in den Untergrund. Wo noch vor zwei Jahren das Werkstatt-Team die aufwendigen Architekturen und Möbel für die Ausstellungen baute, präsentieren sich nun zwei neue Ausstellungsräume. Der vordere, Brändle nennt ihn die «Krypta» des Museums, besticht durch vier schlanke Pilzstützen, die auf Ingenieur Robert Maillart, Pionier des Stahlbeton-Brückenbaus, zurückgehen. Dieser Raum hat geradezu darauf gewartet, sich endlich wieder zeigen zu dürfen. Als Ausstellungsraum geplant, wurde er zusammen mit den umliegenden Räumen sehr schnell zum Lagerraum und zur Werkstatt umfunktioniert, und mit der Zeit gerieten die Maillart-Stützen in Vergessenheit. Dort werden die Highlights der Design-, Grafik-, Plakat-, und Kunstgewerbesammlung endlich die Prominenz bekommen, die sie schon lange verdienen. «Ab 2018 werden wir sammlungsübergreifend Meilensteine der Designgeschichte zeigen. Wir wollen aber in Zukunft auch das Haus selbst und seine Architektur ins Zentrum rücken. Die Besucher sollen es als ‹Exponat› erleben können.»
Das Museum an der Ausstellungsstrasse wird ein breiteres, internationales Publikum anziehen, das vor allem die Schweizer Designikonen sehen will.
Gleich nebenan liegt ein weiterer, niedrigerer Raum mit denselben massiven Stützen wie in der grossen Halle. Ein idealer Ort, um Interieurs aus der Designsammlung effektvoll in Szene zu setzen und für das interessierte Publikum erlebbar zu machen. Auf der ersten Etage, der neu gewonnenen Galerieebene, wird das, was sonst streng verboten ist, zum Programm erklärt: Die Besucherinnen und Besucher können im wahrsten Sinne des Wortes auf Tuchfühlung mit Reeditionen berühmter Designikonen gehen.
Umbau, Umbruch und Aufbruch
Von Weitem kann man Stimmen der Bauarbeiter vernehmen, Hämmern hallt dumpf durch das Haus. Im Moment ist 2018 noch weit weg. Ein Teil des Museumsteams befindet sich im Toni-Areal, die Ausstellungsabteilung dagegen in der Nähe der Ausstellungsstrasse. Die Museumswerkstatt wiederum hat gleich zwei Standorte. «Das ist für alle im Moment eine grosse Herausforderung und keine optimale Arbeitssituation. Wieder als vereintes Team zu arbeiten: Darauf freuen wir uns alle sehr», betont Brändle. «Ein Haus mit zwei Standorten mit unterschiedlichen Identitäten zu sein, ist nicht einfach. Das zeigte sich auch in der Vergangenheit am Beispiel des Museum Bellerive, das wir Anfang 2017 an die Stadt zurückgeben werden.» Doch festgefahrene Strategien und Strukturen sind nicht Brändles Vision für das Haus. «Was der Rückbau für die beiden Standorte und das Ausstellungsprogramm genau bedeuten wird, muss sich erst zeigen.» Im Schaudepot im Toni-Areal soll in Zukunft mehr riskiert werden. Die Ausstellungsstrasse mit ihren wenigen Wechselausstellungen und den neuen Formen, die Sammlungen zu präsentieren, wird ein breiteres, internationales Publikum anziehen, das vor allem die Schweizer Designikonen sehen will.
Bis heute ist das Gebäude eines der besterhaltenen Beispiele des Neuen Bauens in der Schweiz.
Den Ausstellungsauftakt zur Neueröffnung im März 2018 macht das Atelier Oï. Das Designbüro aus La Neuveville, einem kleinen Ort zwischen Biel und Neuenburg, wird die Halle, den eigentlichen Star des Hauses, bespielen. Die Halle ist für Brändle auch ein Symbol: «Sie repräsentiert eine Kathedrale des Designs.» Es sind die hohen Stützen, die grosszügigen Fenster mit handgeschliffenem Kristallglas, die dem Raum eine grössere Bedeutung geben und gleichzeitig verpflichten.
Vom Industriequartier zur Kulturmeile
In den Dreissigerjahren beeindruckte das Gebäude das bürgerliche Zürich und die hiesige Architekturgesellschaft herzlich wenig. Der Bau könne nicht von einer Milchfabrik unterschieden werden, so die Stimme eines konservativen Kritikers nach der Eröffnung 1933. Es würden der standesgemässe Schmuck und ein richtiger Aufgang mit Treppe, Hierarchie fehlen. «Diese Architektur war damals in Zürich wohl nur möglich, weil sich die Bauzone in den Dreissigerjahren im Industriequartier im sogenannten Filterareal befand.» Bis heute ist der Bau eines der besterhaltenen Beispiele des Neuen Bauens in der Schweiz. «Unsere Haltung, nicht von einem Podest runter Ausstellungen zu machen, sondern auf Augenhöhe mit den Besucherinnen und Besuchern, zieht eine interessante Parallele zur Architektur des Hauses, die sich nicht vom Aussenraum abhebt, sondern ihn miteinbezieht», so Brändle. Der Dialog und die Interaktion mit den Besuchenden innerhalb der Ausstellungen sollen weiter gefördert werden. «Das Museum soll den Leuten in Zukunft auch eine Plattform bieten und als Labor dienen.»