Von Mitternachtskonzerten über Programmkonzeptionen bis zum eigenen Orchester: Der 34-jährige französische Dirigent Victor Aviat überzeugte die Jury des diesjährigen prix netzhdk mit seinem vielfältigen und innovativen künstlerischen Schaffen.
VON REBEKKA MEYER
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Er singt, er malt, er spielt Klavier, er fotografiert, er ist Oboist, er dirigiert. Die Künste waren für Victor Aviat von Anfang an da, und die Musik war dabei am selbstverständlichsten. Der Franzose stammt aus einer Musikerfamilie, zu Hause wurde viel musiziert: Zusammen mit seinem Bruder spielte Aviat Sonaten, und abends nach dem Essen sass die ganze Familie zusammen, um Chorale aus Bachs Orgelbüchlein zu singen. Diese Momente gaben dem jungen Mann den Ausschlag, sich von allen Künsten professionell der Musik zu widmen.
«Die Rolle des Musikers besteht darin, den Zuhörenden die Musik als Kunst und Kultur und nicht als blosse Unterhaltung näherzubringen.»
So begann Aviat 2001, Oboe und Klavier am Konservatorium in Winterthur zu studieren, später absolvierte er an der Zürcher Hochschule der Künste einen Master Music Performance mit Vertiefung Dirigieren.
Auf der Suche nach Herausforderungen
Diesen Schritt von der Oboe zum Taktstock, von der Orchestermasse ins Zentrum trug Aviat lange mit sich herum, bis zwei Auslöser die Entscheidung herbeiführten. Einerseits frustrierte den Orchestermusiker, dass er viele Dirigenten als unfähig wahrnahm. Als er immer öfters Momente erlebte, wo das Orchester ohne musikalischen Leiter besser gespielt hätte, entschloss er sich, selbst zu dirigieren: «Ich möchte es besser machen!» Seine hohen Erwartungen an einen Dirigenten haben auch mit seiner eigenen Orchestererfahrung als Musiker zu tun: «Ich durfte mit so vielen aussergewöhnlichen Dirigenten arbeiten, dass ich immer wählerischer wurde.» Andererseits hatte er wie viele Künstler einen Inspirator, und zwar einen der Grössten: Claudio Abbado. Im Orchestra Mozart und dem Lucerne Festival Orchestra spielte Aviat unter Leitung des Maestros und lernte dabei viel von ihm. Als er schliesslich zu einem Wendepunkt seiner Karriere kam, half ihm die Unterstützung seines musikalischen Freundes: «Ich wusste nicht, wie ich mit der Oboe noch weiterkommen könnte, verspürte gleichzeitig aber eine grosse Sehnsucht danach, innerhalb des Orchesters mehr zu bewirken, als ihm nur die eigene Stimme zu leihen.» Diese Lust, Neues zu formen und ins Rollen zu bringen, hat ihn endgültig auf das Dirigentenpodest gehievt.
Mit einem Bein in Zürich…
Dass Aviat für sein Dirigierstudium gerade die Zürcher Hochschule der Künste wählte, war naheliegend: Er hatte bereits in Winterthur studiert, eine Stelle an der Oper Zürich inne und gründete hier mit dem Orchestra Zurich sein eigenes Orchester. Er kannte und schätzte den Dirigierdozenten Johannes Schlaefli noch von seinem Studium der Oboe. Ausserdem gefielen ihm die vielen angebotenen Möglichkeiten.
«Ich durfte mit so vielen aussergewöhnlichen Dirigenten arbeiten, dass ich immer wählerischer wurde.»
Bereits während der Ausbildung erhielten die Studierenden die Gelegenheit, professionelle Schweizer Orchester wie das Musikkollegium Winterthur zu dirigieren und im Ausland, etwa in Bulgarien und Tschechien, Erfahrungen zu sammeln.
…mit dem anderen bereits wieder weg
Nun zieht es den 34-Jährigen aber weiter, dieses Mal auf die Insel. Zu Beginn der Saison 2016/2017 wurde Victor Aviat zum «Young Conductor in Association» beim Bournemouth Symphony Orchestra berufen. Dort wird er nicht nur seine Dirigierfähigkeiten in der Struktur eines professionellen Orchesters erweitern können, sondern auch für die Education- und Community-Konzerte verantwortlich zeichnen. Dieser Bereich liegt Aviat besonders am Herzen. Bereits bei seinem eigenen Orchestra Zurich spielte er mit Formen der Konzertpräsentation und Möglichkeiten der Musikvermittlung. Spricht man ihn darauf an, sprüht er vor Ideen: Besucher sitzen inmitten von Musikerinnen und Musikern, während öffentlicher Künstlerinterviews stellt das Publikum Fragen, oder nach einem gewöhnlichen Konzert können die Zuhörenden aus drei Zugaben auswählen. Es sind Ideen, die sich ohne grossen personellen oder künstlerischen Aufwand bewältigen lassen und die Zuhörerschaft doch auf vielfältige Weise miteinbeziehen.
Musizieren und Vermitteln
Interaktion heisst das Zauberwort der Stunde, das in vielen klassischen Konzerthäusern seltsamerweise immer noch ein Fremdwort ist. Aviat gründet seine Vermittlungsarbeit auf der Annahme, dass der Musiker einen gewissen Leistungsauftrag erfüllen soll, der über dessen eigentliches Kernmetier, das Musizieren, hinausgeht: «Als Künstler soll man das Publikum ausbilden. Die Rolle des Musikers besteht darin, den Zuhörenden die Musik als Kunst und Kultur und nicht als blosse Unterhaltung näherzubringen.» Musik sei eben nicht nur schön, sondern auch bedeutungsvoll und sie besitze einen Subtext, mit dem man sich auseinandersetzen soll. Sei das nun philosophisch, geschichtlich oder musikanalytisch. Zugleich geht es Aviat auch darum, die Welt der klassischen Musik zu entmystifizieren und mehr Nähe zu vermitteln. Der Dirigent dreht dem Publikum gezwungenermassen während des ganzen Konzertes seine Rückseite zu. Gerade aus diesem Grund lautet Victor Aviats Motto denn auch: «Mit den Menschen kommunizieren, nicht nur den Rücken zeigen und dann abhauen!»
Toni-Areal, Konzertsaal 1, Ebene 7
Türöffnung um 19.45 Uhr, Start um 20 Uhr
Ab 21 Uhr Apéro im Konzertfoyer, Ebene 7
Platzzahl begrenzt, Anmeldung erforderlich bis am 21.11.2016 an
alumni@netzhdk.ch mit dem Kennwort «Victor».
Der prix netzdhk wird einmal jährlich durch die Alumni-Organisation vergeben. Der mit 10‘000 Franken dotierte Förderpreis richtet sich an Abgängerinnen und Abgänger von Bachelor- und Master-Studiengängen der ZHdK. Die Nominierten müssen zwischen drei und fünf Jahren Praxis vorweisen und durch eigenständige, ausserordentliche Leistungen in ihrem Fachbereich aufgefallen sein.