
Die Komponisten Volkmar Andreae, Franz Schrecker und Max Reger (von links).
Orchester der ZHdK spielt in der Tonhalle Werke aus den 1910er-Jahren
Das Orchester der Zürcher Hochschule der Künste spielt am 30. November 2016 unter der Leitung von Marc Kissóczy in der Tonhalle Zürich. Die ausgewählten Werke von Max Reger, Franz Schreker und Volkmar Andreae sind um den Ersten Weltkrieg entstanden. DOMINIK SACKMANN erläutert, wie sich diese Zeit des Umbruchs in den Werken widerspiegelt, und was die Komponisten über ihre Suche nach neuen Orchesterklängen hinaus verbindet.
Umbrüche durchziehen die Musikgeschichte, bald sanftere, bald grundsätzlichere. Sie sind entweder bedingt durch neue Perspektiven des musikalischen Materials selbst, durch veränderte Kunstanschauungen oder durch Wandlungen des politischen und wirtschaftlichen Umfelds. Der Umbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte Veränderungen auf allen Ebenen: Die Überwindung der herkömmlichen Harmonik, die Suche nach erweitertem Ausdruck in neuen Formen, die radikale Kunstauffassung der Moderne sowie der Ausbruch des Weltkriegs markieren den Umbruch um 1910.
Die Welten von Reger und Schreker treffen sich in Andreaes Œuvre.
Dass er sich nicht überall gleich rasch und mit derselben Konsequenz ausgewirkt hat, beweisen oft jene Stücke, die nicht zu Weltruhm gelangt sind. Aus heutiger Sicht spielt dabei eine Rolle, wie sich beispielsweise die drei Werke des Konzertprogramms im Rahmen der Biografie und des übrigen Schaffens des jeweiligen Komponisten ausnehmen.
Impressionistische Ästhetik
Max Reger (1873–1916) gilt als Inbegriff deutscher Musik. Orgelmusik und Kammermusik machen das Schaffen seiner Reifezeit aus. Erst spät hat er sich intensiv dem Komponieren für Orchester zugewandt. Er sah sich selbst in der Nachfolge von Johann Sebastian Bach und Johannes Brahms.
Der Umbruch in Regers Spätwerk zielte weniger auf eine Revolutionierung der kompositorischen Technik als auf eine Neubewertung des Klanglichen in der Nachfolge Claude Debussys.
Zu leicht ging dabei vergessen, dass er sich gerade in den letzten Orchesterwerken gegenüber einer französischen, nahezu impressionistischen Ästhetik geöffnet hat. Nirgendwo lässt sich dies besser ablesen als an den «Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin» vom Sommer 1913. Hier steht die formale Konstruktion im Dienst des rein Koloristischen, des empfindsam nachzeichnenden Klangsatzes. Der Umbruch in Regers Spätwerk zielte weniger auf eine Revolutionierung der kompositorischen Technik als auf eine Neubewertung des Klanglichen in der Nachfolge Claude Debussys. Was hätte Reger noch alles aus diesen Erfahrungen gewinnen können, wäre er nicht bereits mitten im Weltkrieg mit nur 43 Jahren verstorben?
Vielfältige Klanggestaltung
Ganz anders als Reger prägte der Österreicher Franz Schreker (1878–1934) seine Begriffe in der Auseinandersetzung mit der Oper. Mit «Der ferne Klang» hatte er einen grossen Publikumserfolg gefeiert, bevor er im Herbst 1916 ausnahmsweise eine rein instrumentale Gelegenheitsarbeit übernahm: Für seine Kollegen an der Wiener Musikakademie schrieb er die Kammersinfonie für 23 Soloinstrumente. Sie besteht aus neun Teilen, wobei bereits das ganze Material im ersten Teil eingeführt wird und der mittlere, fünfte Teil dazu einen gewissen Gegenpol bildet. Der gesamte Verlauf gleicht strukturell einer dreiteiligen Sonatenform. Das wird aber kaum auf Anhieb deutlich, denn in der Instrumentation legte Schreker grossen Wert auf eine möglichst vielfältige und dennoch logische Klanggestaltung. Diesem Instrumentalwerk, das sozusagen die Mitte seines Schaffens darstellt, folgte eine weitere Oper, «Die Gezeichneten». Danach wurde Schreker Direktor der Berliner Musikhochschule. Er konnte aber an frühere kompositorische Erfolge nicht mehr anknüpfen, wurde schliesslich 1933 aus seiner Stellung vertrieben und starb kurz darauf im Alter von 56 Jahren.
Neue Wege im sinfonischen Schaffen
Gewissermassen zwischen diesen beiden Komponisten stand Volkmar Andreae (1879–1962). Als Chefdirigent der Zürcher Tonhalle von 1906 bis 1949 war er eine Zentralfigur des schweizerischen Musiklebens. Lied, Sinfonie und Oper machen sein umfangreiches kompositorisches Schaffen aus – man könnte auch sagen: Die Welten von Reger und Schreker treffen sich in Andreaes Œuvre. Als Interpret wie als Komponist fühlte sich Andreae besonders Reger verbunden. Leitstern blieb für ihn aber die Sinfonik des 19. Jahrhunderts, obwohl er sie in durchaus zeittypischer Weise einseitig deutete: In seiner einzigen Sinfonie von 1919 errichtete er einen zusammenhängenden Werkverlauf, in dem sich die einst separat behandelten vier Satztypen auf direkte Begegnungen untereinander einlassen, ja sogar Themen und Motive untereinander austauschen.
Die Überwindung der herkömmlichen Harmonik, die Suche nach erweitertem Ausdruck in neuen Formen, die radikale Kunstauffassung der Moderne sowie der Ausbruch des Weltkriegs markieren den Umbruch um 1910.
So weltoffen Andreae gegenüber den radikaleren Neuerungen der Zeit um den Ersten Weltkrieg war, so zeigt sein Opus 31 doch, dass sinfonisches Komponieren in C-Dur auch in Zeiten der Umbrüche möglich blieb. Doch schon die Kritiker der Uraufführung bemerkten, dass Andreae mit seiner Sinfonie in zwei Richtungen neue Wege beschritt: Sie tadelten den eher leichten Charakter des Werks und verlangten «seriösere Töne», andrerseits lobten sie die Vielfalt in der Orchesterbehandlung und betonten, «dass die «großartige Instrumentation […] von starker Charakterausprägung» sei.
Einführung: 18.30 Uhr, Kleiner Saal
Tickets: www.tonhalle.ch