Design gestaltet den Alltag der Zukunft für Menschen mit körperlicher Behinderung
Die Weltpremiere des Cybathlons fand Anfang Oktober 2016 in der Swiss Arena in Zürich Kloten statt. Familien reihten sich neben Senioren, Studierenden und Forschenden in die Warteschlange ein. Die Veranstaltung ausverkauft, das Thema innovativ, sozial relevant und auf technologischer Ebene hochgradig komplex: Alle wollten mit dabei sein, wenn mit dem Cybathlon Neuland in Sachen «Prothetik und technischer Assistenzgeräte» betreten wird. Das Departement Design der ZHdK war mit drei Projekten vertreten.
VON MAIKE THIES UND FIONA KNECHT
___
In sechs anspruchsvollen Disziplinen traten Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen als Piloten ihrer technischen Assistenzsysteme gegeneinander an. In Parcours stellten sie die Alltagstauglichkeit der technologischen Innovationen auf die Probe. Rund 70 Teams aus 25 verschiedenen Nationen nahmen am Wettbewerb teil und wurden dabei live vom Schweizer Fernsehen und von bis zu 150 international tätigen Journalistinnen und Journalisten begleitet.
«Die Leute möchten sich gut fühlen, wenn sie neuartige Technologien nutzen.»
Initiiert durch die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich und realisiert mit Unterstützung von zahlreichen Sponsoren und Kooperationspartnern, hatte der vier Millionen schwere Cybathlon das ambitiöse Ziel, die Zukunft der Prothetik aktiv mitzugestalten. Neben der betreffenden Industrie sollten insbesondere auch Menschen ohne körperliche Einschränkung für dieses wichtige Thema sensibilisiert werden.
Innovation durch Design
Dass dem Design der vorgestellten Prothesen eine nicht zu unterschätzende Rolle zukam, bestätigte der Initiator des Cybathlon Robert Riener (Sensory-Motor Systems Lab, ETH Zürich) im Rahmen der Pressekonferenz. «Die Leute möchten sich gut fühlen, wenn sie neuartige Technologien nutzen. Noch wird das Design im Cybathlon nicht mit bewertet. Aber Design spielt eine wichtige Rolle, damit diese Produkte zukünftig Anwendung finden, davon bin ich überzeugt.» Es wunderte also nicht, dass gleich drei Teams des Departements Design der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) in Kooperation mit verschiedenen Abteilungen der ETH Zürich am Cybathlon beteiligt waren: Während die beiden Projekte «VariLeg» und «Scewo» der Vertiefung Industrial Design im Bachelor Design am Wettkampf antraten, entwickelte die Fachrichtung Game Design das Spiel «Brain Runners», mit dem die Brain-Computer-Interface-Wettkampfdisziplin (BCI) ausgetragen wurde.

Team Mahidol BCI in der Brain-Computer-Interface-Wettkampfdisziplin. Foto: © Nicola Pitaro 2016
«Brain Runners»: mit Gedanken Welten bewegen
Ulrich Götz und René Bauer von der Fachrichtung Game Design entwickelten das Videospiel in Kooperation mit dem Sensory-Motor Systems Lab der ETH Zürich. Als Piloten agierten bei dieser Disziplin Tetraplegikerinnen und Tetraplegiker – Menschen also, die vom Hals ab motorisch entweder schwer beeinträchtigt sind oder sich gar nicht mehr bewegen können.
Schauplatz des Spiels ist das Dach eines sich in voller Fahrt befindenden Zuges, der durch eine Cyberstadt rast. Mit eindrucksvoller Leichtigkeit bewegten sich die Avatare der jeweiligen Piloten durch das Spiel und überwanden scheinbar mühelos Hindernisse. Gebannt verfolgten die Zuschauerinnen und Zuschauer den Verlauf des Kopf-an-Kopf-Rennens über grosse, inmitten der Arena hängende Monitore. Fast hätte man bei der Schnelligkeit und Kniffligkeit des Spielverlaufs vergessen können, dass die Pilotinnen und Piloten ihre Avatare durch Hirnsignale, die mittels Elektroenzephalografie (EEG) oder Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) erkannt werden, ins Ziel führten. Nur, wenn die Pilotinnen und Piloten im richtigen Moment gedanklich reagierten, konnten sie an geeigneter Stelle im Spiel beschleunigen oder Hindernissen ausweichen.
«Mit den richtigen Hilfsmitteln und Übung ist mehr möglich, als manch einer sich zugetraut hätte.»
Das Publikum konnte sich im Rahmen von «Hands-on Demos» gleich selbst von der Komplexität der Spielsteuerung und der Präzision der BCI-Unterstützungsgeräte überzeugen. Dutzende standen geduldig Schlange, um eine Publikumsversion von «Brain Runners» zu testen, in der sie dann eins von vier Headsets aufsetzen und selbst einen Avatar ans virtuelle Ziel führen konnten.

Das Publikum testet die «Hands-on Demo» des Spiels «Brain Runners». Foto: © Alessandro Della Bella 2016
Erleichterungen für den Alltag
In vielerlei Hinsicht überzeugte also die erste Ausgabe des Cybathlon das internationale Publikum. Die euphorische Stimmung, der anhaltende Applaus für die Pilotinnen und Piloten, das grosse Interesse von Medien und Öffentlichkeit und die Anzahl der internationalen Teams belegen dies eindrucksvoll. Der 35-fache Paralympicssieger und Rollstuhlsportler Heinz Frei zeigte sich von der Strahlkraft und Öffentlichkeitswirkung des Wettkampfs mehr als begeistert, wies aber auch auf den unabdinglichen Alltagsbezug der Prothesen und der technologischen Erweiterungen des Körpers hin, der in der Entwicklung nicht verloren gehen dürfe. Es gäbe noch so viele Bereiche im Alltag für körperlich behinderte Menschen zu erobern, für die noch keine marktfähigen und erschwinglichen Lösungen erhältlich seien. «Es gibt immer eine Grenze, die ich nicht überwinden kann. Aber mit den richtigen Hilfsmitteln und Übung ist mehr möglich, als manch einer sich zugetraut hätte.»
Es gibt noch viel zu tun bis zur nächsten Ausgabe des Cybathlons: Die gestalterischen wie technologischen Ziele können nicht hoch genug gesteckt werden.