Reflexive Experimentalästhetik?

DMU_Alvin_Lucier

Der amerikanische Komponist und Klangkünstler Alvin Lucier. Foto: @ Amanda Lucier

Dieter Mersch, was ist reflexive Experimentalästhetik?

Als «Ästhetik» wird derjenige Zweig der Philosophie bezeichnet, der sich sowohl mit der Wahrnehmung (griechisch aisthesis) als auch der Theorie der Künste beschäftigt. Der Zusammenhang ist klar: Die Künste sind auf die Wahrnehmung bezogen, artikulieren sich im Wahrnehmbaren, entwickeln unsere Wahrnehmungsweisen weiter, fordern sie heraus. Sie tun dies zumeist experimentell. Viele Kunstformen, vor allem konzeptionelle Formate, lassen sich mit wissenschaftlichen Experimentanordnungen vergleichen: Es gibt eine Fragestellung, eine Hypothese, technische Apparaturen und eine Versuchsanordnung mit Auswertung. Experimente sind, wie das Wort bereits besagt, Prozesse, Passagen, Durchgänge, in deren Verlauf wir Erfahrungen machen und Wissen generieren. Wissenschaftliche Experimente beruhen dabei auf Wiederholungen und der Verifikation allgemeiner Gesetzesaussagen – künstlerische dagegen auf dem Einmaligen, Nichtwiederholbaren und Idiosynkratischen. Die Wissenschaft setzt auf Resultate – Beweise oder Widerlegungen – während die Künste zu überraschen suchen und offene Ausgänge bevorzugen. Sind diese so, dass sie etwas sichtbar oder hörbar machen, was vorher nicht in unserem Fokus war, dass also etwas Neues aufscheint und im selben Masse sogar noch das Sichtbar- oder Hörbarmachen selbst wahrnehmbar gemacht wird, induzieren solche ästhetischen Experimente Reflexionen, lässt sich also von einer «reflexiven Experimentalästhetik» sprechen. Die Arbeiten von Alvin Lucier sind dabei ein Beispiel unter vielen.

10.–14. Oktober 2016
Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Zürich
Programm
Eintritt frei

Vom 10. bis 14. Oktober feiert der amerikanische Komponist Alvin Lucier seinen 85. Geburtstag an der ZHdK im Toni-Areal. Mit neun Konzerten in drei Tagen, Uraufführungen, Installationen und Workshops würdigen internationale Gäste wie Joan La Barbara, Charles Curtis oder Stephen O’Malley von SunnO))) unter Beteiligung zahlreicher Studierender das Gesamtwerk Alvin Luciers.

Informationen zum Forschungsprojekt «Reflexive Experimentalästhetik nach Alvin Lucier»
Prof. Dr. Dieter Mersch (dieter.mersch@zhdk.ch), Philosoph, ist Leiter des Instituts für Theorie, Departement Kulturanalysen und Vermittlung.
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