Im Südosten Marokkos fertigen die Frauen der Aït Khebbach in der Sahara farbenprächtige Teppiche und Kissen aus recycelten Textilien. «Couleurs désert» präsentiert über 120 dieser einzigartigen Kreationen im Museum Bellerive.
VON CATHERINE HEEB
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Seit dem 16. Jahrhundert lebten die Aït Khebbach als Nomaden im Grenzgebiet zwischen Marokko und Algerien. Die Frauen des Stamms verarbeiteten traditionellerweise Ziegenhaar und Wolle von Schafen und Kamelen zu flach gewebten Zeltdecken und Kleidung. Die Zeltwände webten sie im Takt der nomadischen Wanderungen. Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 siedelten sie sich hinter dem Hohen Atlas an. Dort bauten sie schlichte Häuser, deren Böden aus gestampfter Erde und Beton durch Polster zum Schlafen nutzbar gemacht werden mussten. An die Stelle der bislang verwendeten Decken aus Naturwolle traten nun zunehmend Decken aus heterogenen Materialien mit eingeknüpften flauschigen Partien.
Gruppenidentität und kulturelles Erbe
In den 1980er-Jahren schliesslich fanden die Frauen zu geknüpften Teppichen und Kissen mit einem dichten Flor. Diese dominieren die Interieurs, bereiten den Frauen Freude und bringen ihnen Ansehen. In kreativer Auseinandersetzung mit dem Handwerk und sich gegenseitig inspirierend, erschliessen die Weberinnen ihr individuelles gestalterisches Universum. Jeder Teppich ist Teil der Gruppenidentität und trägt zum gemeinsamen kulturellen Erbe bei.

Aïcha Salmi, Ighfnighir, Teppich, 2000–2009. Foto: © Rémi Boissau – Ville de Clermont-Ferrand
Lieblingsstück in der Ausstellung
Eines von vielen Lieblingsstücken unter den Exponaten ist der ausdrucksstarke Teppich (siehe oben) von Aïcha Salmi. Er wurde zwischen 2000 und 2009 in Ighfnighir gewoben. Oft entstehen Teppiche zu Gelegenheiten wie Hochzeiten oder Geburten. Solche mit besonders dickem Flor sind Säuglingen vorbehalten und umfangen diese mit kuscheligem Komfort. Die langen Strähnen verlieren innert weniger Monate ihr Volumen. Keine standardisierten Masse bestimmen die Grösse der Teppiche, vielmehr ist es die Körpergrösse. Unser Beispiel ist die Schlafunterlage eines Kindes und misst 128 mal 70 Zentimeter.
2. September 2016 bis 29. Januar 2017
Museum Bellerive, Höschgasse 3, Zürich
Dienstag–Sonntag 10–17 Uhr
24., 25., 31. Dezember 2016 und 1. Januar 2017 geschlossen
www.museum-bellerive.ch
Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Musée Bargoin, Ville de Clermont-Ferrand, und Ethnistory.
Mit der spektakulären Formen- und Farbenwelt von «Couleurs désert» verabschiedet das Museum für Gestaltung sein Haus am Zürichsee: Es ist die letzte Ausstellung des Museum Bellerive als Teil des Museum für Gestaltung. Ab Mai 2017 sind die Ausstellungsinhalte des Bellerive mit dem Schwerpunkt Kunsthandwerk im Spannungsfeld zwischen Kunst und Design im Museum für Gestaltung zu sehen. Über die künftige Nutzung des Bellerive informiert die Stadt Zürich Ende 2016.